Ohne Veränderungen würden wir Menschen heute gar nicht existieren…

Andererseits lieben wir die Freiheit, die möglichst grenzenlose Auswahl von Optionen. Alles tun zu können, auszuprobieren, und das mit möglichst geringem Risiko. Dass Freiheit auch Scheitern bedeuten kann, auch Verlieren, wird im modernen Freiheitsbegriff oft vernachlässigt. Wenn wir heute scheitern, dann soll bitte sofort ein Netz da sein, das uns auffängt, uns rettet oder zumindest den Zustand vor der Niederlage wiederherstellt.

Das ist die Freiheit in ihrer Luxusvariante: baden, ohne nass zu werden. Wenn schon fallen, dann möglichst weich. Bei der Transformation in eine ökologisch sinnvoll handelnde Gesellschaft ist es genauso. Wir wissen nicht, was das alles bedeuten wird. Wir wissen aber eigentlich schon, dass wir uns verändern müssen. Aber, und jetzt kommt das große Aber, aber bitte so, dass wir die Wende kaum bemerken. Alles bitte nur in kleinen Dosen, ohne allzu schmerzhafte Einschnitte. Bitte nur ganz weiche Störungen…

Nur mal kleine Veränderungen ausprobieren. Technische Entwicklungen lassen wir uns gerne gefallen, die verlangen scheinbar relativ geringe Veränderungen, unter anderem genau deshalb, weil erfolgreiche Technologien sogar darauf beruhen, dass sich ein Ablauf exakt wiederholt. Immer das Gleiche, null Veränderung. Eine technische Innovation ist dann eine leichte Variation des bereits Bekannten, das wiederum sehr stark auf präzise Wiederholung drängt. Das gilt zum Beispiel für die Mobilitätstechnologie im Fall von Flugzeugen, Schiffen oder Automobilen.

Es gilt eigentlich für sämtliche Technologien um uns herum, sie basieren auf möglichst perfekten, exakten Wiederholungen. In dem Moment, wo ihre Stabilität in irgendeiner Weise labil wird, wird Technik zum Risiko. Die Unkenntnis über die Konsequenzen erzeugt Unsicherheit und die Möglichkeit des Scheiterns. Solange aber die Bedingungen immer gleich sind, ist alles in bester Ordnung. Es ist beeindruckend, wie stark sich die unveränderliche technische Stabilität inzwischen in unser Leben eingeschlichen hat und heute die Grundbedingung für das moderne Dasein bildet.

Was bleibt denn von unserem Leben, wenn wir alle modernen Technologien wegdenken? Fast nichts mehr. Denkt einmal darüber nach. Kein Telefon, kein Computer, kein Auto, keine Flugzeuge, kein elektrischer Strom. Wir sind längst zu Abhängigen der Technik geworden, fühlen uns aber noch als freie Wesen. Dabei steckt die stabile Wiederkehr des möglichst Immerselben in allen technischen Geräten, die unseren Wunsch nach freier Kommunikation, Mobilität und globalisierter Ökonomie überhaupt erst möglich machen. Ich wiederhole mich gerne – denkt nach!

Interessant, wie weit wir von den Zwängen sich exakt wiederholender Technologie abhängen, wenn es um unsere Freiheit geht! Veränderungen stören da eher, da sie den möglichst reibungsfreien Ablauf aus dem Takt bringen könnten. Und auch in uns wiederholen sich Vorgänge, allerdings nicht technisch in einem Takt, sondern rhythmisch. Rhythmus bedeutet, dass es gewisse Spielräume gibt, ein leichtes Hin und Her, einen Korridor, eine Bandbreite…

Und in dieser Bandbreite können Schwankungen und damit auch sanfte Veränderungen stattfinden. Ohne Veränderungen würden wir Menschen heute gar nicht existieren. Wenn sich seit Jahrmilliarden immer das Gleiche exakt wiederholt hätte, immer und seitdem immer wieder, wie ein technischer Apparat, dann hätte sich der Homo sapiens nicht entwickelt. Wir sind das Resultat von Veränderungen, von sprunghaften wie auch von allmählichen. Das Allmähliche ist die Anpassung an das, was um uns herum ist. Das Sprunghafte hat damit zu tun, dass auf einer bestimmten Ebene von materieller Organisation, auf der Molekularebene, spontane Veränderungen auftreten können, man sagt auch: sogenannte Mutationen. Mutationen haben häufig keinerlei Auswirkung auf die Anpassungsfähigkeit, aber falls sie positive Auswirkungen haben sollten, setzen sich diese auf lange Sicht durch.

Das heißt, wir sind eigentlich der Beweis dafür, dass die Wirklichkeit, in der wir leben, dass die Natur – die sich von selbst macht, wie Aristoteles sie definierte – ganz grundlegend auf Veränderungsprozessen basiert. Natur ist überhaupt nur Natur, weil sie sich verändern kann, weil sie eben instabil ist. Ein Wechselspiel von Ursachen und Wirkungen, die auf sich selbst zurückwirken und so den Kreislauf des Lebens ermöglichen.

Das Leben dreht sich mit sich im Kreis von Wirkungen und Ursachen und macht sich so vor allem auch zukunftsfähig. Was morgen kommt, ist allerdings offen, auch die Natur ist kein Prophet. Aber sie sorgte dafür, dass die Bedingungen lebenswerter wurden. Ein Beispiel dafür ist, wie der Sauerstoff in die Atmosphäre kam. Bestimmte Einzeller hatten die Photosynthese entwickelt und dadurch gleichzeitig die Atmosphäre in der Weise verwandelt, dass sich eine Ozonschicht hat bilden können, die das Leben auf der Erde vor der ultravioletten Strahlung der Sonne schützte.

Damit war die Tür geöffnet für Leben in den oberen Schichten der Meere und an Land und auch für immer komplexere Lebewesen, denn die zerstörerische UV-Strahlung kam seit dem Aufbau der Ozonschicht nur noch sehr abgeschwächt auf der Oberfläche der Erde an. Solche Veränderungsmechanismen, die sich selbst unterstützen und durch Rhythmen und vernetzte Prozessketten auf sich selbst wirken und immer wieder leicht verändern, das nennen wir Leben.

Ohne diese positive Rückkopplung würde das alles nicht funktionieren. Am Grunde des Lebens steht also die Tendenz komplex organisierter organischer Materie, immer wieder neue Kombinationen auszuprobieren. Man könnte aus einer ganz menschlichen Perspektive von einer Neugier der Natur sprechen. Ständig was Neues, nie aufhören. Dagegen steht das Beharrungsvermögen der individuellen Lebewesen. Auch wir Menschen wollen keine pausenlose Veränderung, obwohl wir schon ungeheuer neugierig sind und wissen wollen, was sich hinter Bekanntem verbirgt.

Im Moment erleben wir eine Wandlung der uns bekannten Welt, sei es in der Natur, sei es geopolitisch oder gesellschaftlich. Unsere Spezies steht vor dem nächsten Evolutionssprung. Und umso unbekannter, unvorhersehbarer diese Wandlung stattfindet, löst sie Angst in uns aus – Furcht, die immer mit Existenzangst einhergeht – aber damit – auch die Möglichkeit in sich trägt – damit wir uns verändern können…

Habt Mut zur Veränderung, sie hat uns schon unser ganzes Leben begleitet – wir haben sie nur durch die illusorische Sicherheit der erfundenen Techniken - verlernt. Das wird schon wieder…

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