Seit Tagen beschäftigt mich ein bestimmtes Gefühl, das keinen Namen hat. Jedenfalls kenne ich ihn nicht. Es überkam mich als ich am Freitag vor einer Woche immer wieder von meinem privaten Arbeitsplatz an dem ich eine lange aufgeschobene, verhasste Büroarbeit verrichtete, ins Wohnzimmer ging, vor den Fernseher, der normalerweise um diese nachmittägliche Zeit nicht läuft. Dort saß auch meine Mutter und mein kleiner Sohn. Die Attentäter haben sich verschanzt, die Ereignisse überschlugen sich im halbstundentakt. Eine Unruhe hatte mich als gesamte Person erfasst. Hier in Europa, dort in Paris, dort wo ich selbst auch schon mal gewesen war, fand etwas statt, was mein statisches Sicherheitsempfinden, das ich mir ein ganzes Leben aufbauen durfte, empfindlich störte.

Da saßen wir, meine Mutter und ich. Mein Sohn kullerte mit den Augen. Er kletterte auf meinen Schoß und suchte meinen Blick. Er spürte, dass etwas anders war, dass wir abwesend waren und besorgt. Er wollte instinktiv versichert sein und ich drückte ihn in einer Gefühlsaufwallung fest an mich. Meine Mutter sah mich an und sie wusste was ich fühlte und ich wusste was sie fühlte. Ein Elementargefühl, das sich zusammensetzt aus Angst und Hilflosigkeit und Ausgeliefert fühlen und beschützen-wollen und wissen dass man das Kind wohl nicht vor allem beschützen wird können.

Beim Nachdenken über dieses Gefühl denke ich an die Erzählung meiner Großmutter, die als Mädchen mit ihren Schwestern in den Dachboden geschickt wurde, als die Russen übers Land zogen. Was muss in meiner Urgoßmutter wohl vorgegangen sein, als sie die Mädchen versteckte? Gefühle versteht man selbst bei allergrößter Empathiebemühung immer erst, wenn man sie selbst verkostet.

Demütig macht dieses Gefühl, finde ich. Das Wort Demut mag ich eigentlich nicht sonderlich, aber es beschreibt eine gewisse Achtung vor der Normalität und eine Dankbarkeit, dass man haben darf was man hat. Wenn ich ganz genau hinspüre auf die vergangene Woche, gehe ich soweit zu behaupten, dass auch andere Leute dieses Elementargefühl hatten und sich dieses im Universalverhalten wiederspiegelte. Man rückt ein wenig enger zusammen und man ist etwas achtsamer. Ein starkes Gefühl, aber vielleicht auch ein gefährliches, weil es wohl irgendwo aus dem Krokodilsgehirn kommt und dort brauen sich auch oft die Instinktgewitter zusammen, die kultiviertes Verhalten nicht im Repertoire haben.

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robertsteirer

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Kristallfrau

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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