Der Vasall und seine Fronten: Wolfgang Böhm und der Mainstream

Tief erheitert war ich, als ich den journalistischen Befreiungsschlag Wolfgang Böhms in der „Presse“ las. Sehr stark fühlte ich mich bereits nach der Überschrift „Wir Vasallen“ ergriffen und irgendwie an meinen Text an Hubert Patterer erinnert. Ich wusste, hier und heute findet eine Generalabrechnung mit einem ganzen Berufstand, eine ehrliche Auseinandersetzung im Sinne der Leser statt. Jedenfalls kündigt er an, „[d]ie Sache mit der ‚Lügenpresse‘“ richtigzustellen. Ich schraube meine Empfindsamkeit hoch.

Unter der Überschrift liest man: „Journalismus ist die tägliche Gratwanderung zwischen Weltbildern“. Plural? Echt? Ich bin mir sicher, gerade in Sachen EU gibt es bei Herren Böhm nur eines, wie er weiter im Text sogar selbst zugibt. Der erste Schritt zur Besserung.

„Der Jammer des Journalismus ist, dass es für seine Akteure weit einfacher ist, sich manipulieren zu lassen, selbst Partei zu ergreifen, statt sich mit ständiger Skepsis gegen alle Einflüsterer zu stellen.“ Oh nein, die wackeren Journalisten als Hüter des rechten Glaubens! Man darf weinen. Sie, die wahrlich Ehrhaften, würden selbstverständlich nicht von großen Mächten oder Geheimdiensten beeinflusst und schon gar nicht gekauft (in Anspielung an Ulfkottes Buch, das sein ehemaliger Arbeitgeber, die „FAZ“, nicht rezensieren wollte – purer Zufall).

Nun behaupte ich nicht, dass jeder Journalist ein eifriger Auftragsschreiber ist, das ist aber auch nicht der Punkt. Das viel Tieferliegende ist ja, dass man das Gros der journalistischen Klasse nicht einmal zwingen muss, dieses oder jenes zu schreiben: das machen die freiwillig und mit vollstem Selbstverständnis von sich aus. Weil sie glauben, das Richtige zu tun, ergibt sich auch für Böhm überhaupt kein Problem. Deshalb rudert er weiter herum:

„Es relativiert noch nicht die Vorwürfe der ‚Lügenpresse‘, die sich angeblich zum Spielball der Mächtigen und ihrer Lobbyisten machen lässt. Es entkräftet nicht den Vorwurf der ‚Mainstream-Medien‘, die angeblich Teil des Systems sind, statt dieses System immer wieder infrage zu stellen.

Ja, nein, Medien verschleiern, vertuschen, kaschieren überhaupt nichts und lassen auch garantiert nichts unerwähnt. Gerade, was die EU, Migration, Russland, Islam, TTIP, kritische Fragen zur Zeitgeschichte etc. betrifft. Unsere Medien sind selbstverständlich auch nicht vom Staat und seinen Organen abhängig oder ihnen zugetan. Presseförderung gibt es nicht, Inserate spielen keine Rolle. Man ist nur dem Leser verpflichtet und mitnichten Teil des Systems. Gerade die Zweite Republik wurde in ihrem Jubiläumsjahr so harsch wie noch nie kritisiert und durchleuchtet (alles Gute nachträglich, Herzblatt!).

Sie sind kein Spielball, sondern vollkommen unabhängig als Teil großer Medienhäuser, die wiederum Banken und Versicherungen gehören, die allesamt nur das Wohle der Menschheit im Kopf haben. So, wie die Journalisten selbst. Eine Geschichte zum Verlieben.

Doch Böhm findet den Hass der Menschen auf die Medien in deren Begrenztheit begründet. „Geistreichen Argumenten zur Globalisierung, zur notwendigen europäischen Zusammenarbeit oder zu den Fakten des Asylrechts können sie nichts abgewinnen. Eine solche Aufbereitung von Themen befriedigt nicht ihre Wut“. Geistreiche Argumente der Globalisierung, die darf er mir gerne erzählen, vor allem, wie diese zu seiner verherrlichten europäischen Verschmelzung in Beziehung stehen. Das wäre einmal interessant, zu lesen. Böhms geliebte Globalisierung steht auch mit dem letzten Punkt in Verbindung: Keiner kennt die Fakten des Asylrechts besser als die Medienbranche. Ich konsumiere seit Jahren die nicht vorhandenen Mainstreammedien und fühle mich in Fragen der „Flüchtlingskrise“ bestens informiert. Hier wird sachlich, nüchtern und gemäß den Grundlagen des Asylrechts argumentiert. Jawohl, das kann ich bezeugen.

Freilich kann so ein geglückter Befreiungsschlag eines Systemschreibers nicht ohne Larmoyanz vonstatten gehen. Aber selbst in seiner Betroffenheit hat er eine Erklärung bereit; so, wie es sich für einen Fachmann gehört, lässt er nicht die abgebrühte Analyse vermissen (er verfällt nicht - wie dies die BRD-Vasallen tun - in eine obskure Kompensation). „Dass die Angriffe auf den Journalismus in Krisenzeiten schärfer werden, ist kein Zufall. Denn in diesen Phasen geraten Medien stets zwischen die Fronten“. Zwischen welchen Fronten denn eigentlich? Solange er nicht versteht, dass diese Fronten zwischen der Masse, der auch sein Leser angehört, und dem herrschenden System, dem der Journalist angehört, verlaufen, ist jegliche Selbsterklärung wertlos.

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fischundfleisch

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dohle

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