Ganz ehrlich: Wer hat nicht ein paar Träume, die er sich irgendwie selbst verbietet? Geht nicht, ist nicht, was das kostet, dafür bin ich schon zu alt oder noch zu jung. Und der Klassiker: Was würden denn die Leute sagen? Der Kufsteiner Reinhard Karner pfeift auf all diese selbsterdachten Mauern. Wie schon so oft in seinem Leben nimmt er wieder einmal eine Herausforderung an und geht einen Schritt weiter: im übertragenen Sinn.

An einem nebeligen Tag, am 31. Januar 1988, änderte sich für den damals 18-jährigen Leistungssportler und Schüler Reinhard Karner beim Schifahren mit Freunden im ehemaligen Schigebiet Steinberg das Leben. Komplett. Beim Abschwingen verkantete er den rechten Schi. Hätte er sich noch auf den Schistock stützen können, hätte der ausgezeichnete Schifahrer das wahrscheinlich gar nicht richtig bemerkt, über das Missgeschick geschmunzelt, vielleicht noch einen frechen Kommentar seiner Freunde kassiert. Aber er konnte sich nicht mehr abstützen.

Ein Bruch als starkes Bindeglied

Der heute 45-Jährige brach sich den fünften Halswirbel, der Sturz durchtrennte das Rückenmark. Was eine Lähmung ab dem Brustbereich und bewegungslose Finger, Arme und Beine bedeutet. Ein Schicksal, das den Kufsteiner mit dem Zillertaler Hannes Kinigadner und dem Niederösterreicher Wolfgang Illek verbindet. Auch sie waren junge Sportler, Hannes Kinigadner Motocross-Fahrer und Wolfgang Illek Radler. Doch über ihr Schicksal hinaus verbindet die drei Männer eine Leidenschaft. Die Leidenschaft für Geschwindigkeit und Abenteuer. Und gäbe es da nicht den Vater von Hannes, Heinz „Kini“ Kinigadner, würden sie ihren Traum, wie wahrscheinlich so viele von uns, einfach weiterträumen. Träumen müssen.

Benzin im Blut

„Kini“ ist im Motorsport eine Legende; 2-facher Motocross-Weltmeister, Sieger der Pharaonen- Rallye, Paris-Moskau-Peking Rallye und Dubai-Rallye. Ein Mann wie er akzeptiert nicht, dass er mit seinem Sohn keinen Spaß mehr im Gelände haben sollte. Und fand die Antwort in „Side-by-Sides“. 400 Kilogramm leichte Buggies mit Allrad und 100 PS, in denen ein Pilot und Co-Pilot Platz haben. Vor zwei Jahren lud Hannes Kinigadner seine Freunde Reinhard Karner und Wolfgang Illek zu einer Testfahrt ein. Beide Rollstuhlfahrer waren begeistert von dieser neuen Freiheit und genossen die Fahrt auf Schotterpisten im Zillertal. Sie hatten Feuer gefangen für diese neue Art der Fortbewegung ohne Einschränkungen.

Kein navigationsloses Herumeiern

Wer so viel Benzin im Blut hat wie Kini, lebt auch im restlichen Leben auf der Überholspur. Kurzentschlossen kaufte er zwei weitere Buggies für Reinhard und Wolfgang und finanzierte die nötige Adaptierung für die Bedürfnisse der Rollstuhlfahrer. Klar, der Spaß stand im Vordergrund. Aber für einen Sportler wie Reinhard Karner reichte das nicht. Er wollte konkrete Ziele, suchte Herausforderungen. Also stieg der Buggy-Pilot mit seinen beiden Kollegen in das Kini KTM Rally Team für die Hellas-Rallye-Raid ein. Eine Rallye, die auch für Fußgänger eine große Belastungsprobe darstellt. Denn bei dieser Rallye bekommen die Fahrer die Informationen über die Strecke erst am Abend vor der Fahrt und können den Verlauf nicht trainieren. Im Roadbook - dem Straßenverlauf - sind lediglich die Start- und Zielpunkte sowie Abbiegungen und Gefahrenpunkte angeführt. Diese Art der Rallye heißt auch Marathon-Rallye, weil die Motorradfahrer, Buggy- und Autopiloten an sechs Tagen 1.250 von den 2.400 Kilometer langen Distanzen mit Zeitwertung fahren müssen.

Nicht neu, aber anders

Mit einem Marathon hat der Kufsteiner kein Problem. Er weiß, was es heißt, seinen Körper an die Grenzen zu führen und darüber hinaus. Damals, als Jugendlicher im Boxring und vor fünf Jahren, als er den Berlin-Marathon bei strömendem Regen und Kälte mit dem Handbike beendete. Auch wenn sich das Training dieses Mal wesentlich unterscheidet: Sein Handbike ist ihm nur Mittel zum Zweck, um seine Grund-Kondition wieder aufzubauen. Das eigentliche Training verlangt neben Kraft und der Überschreitung von Schmerzen vor allem Disziplin und Ausdauer im Kopf. Drei Mal in der Woche trainiert er in einer Kraftkammer am Ergometer. Heißt: Er kurbelt 60 Minuten mit der linken, in einer Lenkgabel fixierten, Hand an einem Lenker. „Unsere Höhe der Verletzung hat auch den Trizeps-Muskel lahmgelegt, den wir durch verschiedene Trickbewegungen mit anderen Muskeln kompensieren müssen“, erklärt der Rollstuhlfahrer. Sein Auto kann er dank Servolenkung mit einer Hand lenken. Aber die Buggies haben keine Servo-Lenkung und die rechte Hand bedient den Gas-Brems-Hebel.

Unter Gleichgesinnten. Punkt.

Zur Vorbereitung auf die Rallye fuhr Reinhard Karner letztes Jahr mit seinen Kollegen Anfang März für eine Woche nach Tunesien. Mit dabei waren auch die anderen Fahrer des Kini KTM Rallye Teams: Motocrossweltmeister Matthias Walkner, Peter Resch und Deutschlands erfolgreichster Extrem-Endurofahrer Andi Lettenbichler. Und natürlich Kinis ehemaliger Rallye-Mechaniker von KTM, Fernando Prades. Zum Training fuhren sie über betonharte Schotterpisten, testeten die Buggies in alten Bachläufen und bekamen ein Gefühl für die Fahrt in Sanddünen. Sanddünen? Wie hilft das in der Vorbereitung auf Griechenland? „Wir haben einfach die Grenzen unserer Geräte ausgelotet, ein Gefühl dafür bekommen, was alles möglich ist und das ganze Team noch besser kennen gelernt“, beschreibt der Kufsteiner diese Erfahrung und ergänzt mit einem Funkeln in den Augen: „Außerdem wird die Rallye in Griechenland hoffentlich nicht unsere letzte sein.“ Neben Fahrtraining, Feinjustierung und Kennenlernen nutzten sie diese Zeit in Tunesien auch für Werbeaufnahmen mit einem professionellen Film- und Kamerateam zur Sponsorensuche. Ein ungewöhnlicher Anblick, der Wüstenbewohner anzog. In sicherer Entfernung parkten sie ihre alten, verrosteten und klapprigen Motorräder mühelos auf Dünen und beobachteten, wie die Europäer sich plagten, es ihnen mit ihren hochtechnischen Maschinen gleichzutun. Auch ein Berber in blauem Kleid und Turban suchte den Kontakt zum Rallye-Team und tauschte schließlich für eine Fahrt als Beifahrer von Reinhard Karner sein Pferd gegen den Buggy.

Auf die Probe gestellt

Aufregend endete auch für den Kufsteiner die Trainingswoche. Nach einem Überschlag mit seinem Buggy. Ein Schreckensmoment? „Im Gegenteil. Ich hatte in dieser Phase bereits sehr viel Vertrauen in unsere Geräte aufgebaut; als der Buggy wieder auf seinen Reifen stand und ich meine optimale Sitzposition wieder gefunden hatte, bin ich recht entspannt weitergefahren“, schilderte der Kufsteiner die Situation und zeigte Fotos von der Stelle, an der sein Auto liegen geblieben war. Kurz vor einer sechs Meter tiefen Grube. Nach ein paar Kilometern musste der Rollifahrer sich für diesen letzten Trainingstag trotzdem geschlagen geben. Das Lenkgestell war gebrochen und nun wurde auch er für die letzten Kilometer zum Beifahrer. Neben dem Weltmeister persönlich. Was dem 45-Jährigen viele wertvolle Erkenntnisse brachte. „Ich konnte mir ein paar Tricks von Kini abschauen und die Position des Co-Piloten kennen lernen“, sieht Reinhard Karner dieses Erlebnis positiv.

Vertrauen entscheidet

Eines lernte er dabei: Vertrauen ist nicht nur in Bezug auf das Fahrzeug entscheidend, sondern auch zwischen dem Piloten und dem Co-Piloten, der den Weg ansagt. In Reinhard Karners Fall der Bad Häringer Markus Unterer, diplomierter Krankenpfleger im Reha-Zentrum. Seit 27 Jahren verbindet die beiden eine enge Freundschaft, seit ein paar Monaten auch ein gemeinsames Ziel: bei der Hellas-Rallye- Raid unter die ersten fünf zu fahren. Ein Ziel, das sie letztes Jahr leider nicht erreicht haben. Zu fordernd waren die Bedigungen für Neulinge.

Den Traum, Rallye zu fahren, hatte der Kufsteiner schon als Bub, war ein Fan der damaligen Stars der Szene, Michèle Mouton und Walter Röhrl. Aber erst jetzt, in diesem speziellen Fall vielleicht gerade erst durch seine Querschnittslähmung, wurde sein Traum endlich wahr. Vielleicht wird Reinhard Karner dieses Jahr auch unter den ersten Fünf ankommen. Fest steht, dass sie wieder dabei sein und ordentlich Gas geben werden. Sofern sie Sponsoren finden. Denn die Rollstuhlfahrer brauchen im Gegensatz zu Fußgängern neben den Buggies auch mehr Equipment und Betreuungspersonal. Und das kostet.

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