Seit einigen Jahren gibt es eine regelrechte Inflation von Hitlervergleichen, Nazikeulen und Versuchen, Diskutanten, Bürger und Wähler in die (rechte) Ecke zu stellen, die Schäm-Dich-Wir-sind-besser-als-du-ECKE. Wie verhält es sich u. a. auch rechtlich damit - darf man das?

Das Thema hat einen moralischen, einen rechtlichen, aber auch schlicht einen intellektuellen Aspekt. Auf alle werde ich versuchen, einzugehen. Nazivergleiche, Nazikeulen und Hitlerbärtchen gehören ja mittlerweile zum (nicht nur politischen) Alltag und werden kaum noch bewusst wahrgenommen. Wer von uns ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

Während aber Nazivergleiche mit unseren Staatsvertretern (Angela Merkel und Co) nach wie vor große Empörung auszulösen vermögen, quasi als Majestätsbeleidigung empfunden werden, hat sich die alltägliche Nazikeule und alle ihre milder erscheinenden Verwandten (diffamierende Begriffe wie „völkisch“, „fremdenfeindlich“, „rechtspopulistisch“ etc.) längst etabliert und wird in gewissen Kreisen offenbar als Argument gesehen, das eine Auseinandersetzung mit der Sache, der Person, der Argumentation der Gegenseite überflüssig macht. Sozial- und Politikwissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Totschlagargument“.

Beginnen wir aber mit dem massivsten Sachverhalt, dem Hitlervergleich, der Gleichstellung mit dem größten Massenmörder aller Zeiten. Ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gelangte da, als in griechischen (und derzeit türkischen) Zeitungen und Titelblättern Angela Merkel mit Hitler verglichen wurde. Über die moralische und rechtliche Fragwürdigkeit brauchen wir nicht zu diskutieren, es ist allerdings auch und vor allem intellektuell fragwürdig, denn es fehlt nun wirklich jeder Bezug zu Hitler, selbst der nationale, streng genommen. Um zu zeigen, dass es da um weit mehr geht als nur ein „lustiges“ Hitlerbärtchen, hier ein bewusst klein gehaltenes Bild aus der aktuelleren türkischen Presse:

Aggressive Kritik gegen Merkel ist übrigens nicht auf Griechenland und Türkei beschränkt, sondern kommt aus der ganzen Welt, zuletzt aus der Ukraine, und mitunter selbst von unseren europäischen Freunden. Da dürfen wir uns von der Heile-Welt-Einheitspresse, die hier in Deutschland vorherrscht, nicht täuschen lassen. Hier ein, im Rahmen von Satire sicherlich zulässiger, aber nicht eben netter Terminator-Vergleich auf einem britischen Wochenmagazin:

Zulässig ja, vom intellektuellen Standpunkt her aber auch nicht klüger als die diversen Hitlervergleiche. Auch hier fehlt jeder sachliche Zusammenhang. Man mag Merkel ja „Merkelantilismus“ unterstellen (aggressive Exportpolitik), aber von einem Terminator ist sie genauso weit entfernt wie ein Chihuahua vom Wolf.

Grundsätzlich erlaubt und angemessen, und da sind wir uns wohl alle einig, sind Hitlervergleiche sicherlich, wenn es sich um blutrünstige Diktatoren oder diktatorisch herrschende Personen handelt, z. B. Kim Jong-un, Saddam Hussein oder Assad. Darüber hinaus gibt es Grenzfälle wie z. B. Erdogan, dem man, zumindest im Rahmen von Satire, an Hitler erinnernde Ambitionen unterstellen kann und darf. Außen vor bleiben müssen dabei allerdings Holocaust-Vergleiche, weil diese fast immer und automatisch eine Verharmlosung des Holocaust beinhalten, selbst wenn sie zu Recht Massenmord oder Völkermord kritisieren.

Und was aus meiner Sicht ebenfalls gar nicht geht, ist, demokratisch gewählte und in demokratische Systeme eingebundene Politiker mit Hitler zu vergleichen. Das gilt nicht nur für Angela Merkel, sondern z. B. auch für Donald Trump und alle seine republikanischen Vorgänger (Bush, Reagan, die allesamt und gewohnheitsmäßig von linken Bessermenschen mit Hitler verglichen wurden). Selbst die Rassismusvorwürfe gegen Trump sind eigentlich lächerlich, angesichts der Tatsache, dass er seit Jahrzehnten von jüdischen Anwälten und Beratern umgeben ist und sogar einen jüdischen Schwiegersohn hat. Und was immer seine Ambitionen sein mögen oder man ihm zu unterstellen versucht, er ist halt eingebunden in ein demokratisches und rechtliches System, das ihm enge Grenzen setzt und das sich selbst verteidigen kann. Es braucht dazu nicht die europäischen Linken und deren täglich inszenierte moralische Empörung. Und noch weniger braucht es Nazivergleiche, die große Teile des amerikanischen Volkes gleich mit beleidigen.

Was mir jüngst hier bei FuF unangenehm auffiel, ist ein Beitrag von Robby. Robby ist halt Robby. Sein Artikel als solcher ist auch nicht zu beanstanden. Er kombiniert, wie gehabt, selektiv ausgewählte Fakten und Meinungen mit persönlicher Meinung zu einem bereits vorher feststehenden, vorgegebenen Ziel, erfüllt damit aber zumindest die Kriterien der freien Meinungsäußerung. Mit einem Bild am Schluss, das als solches ebenfalls nicht zu beanstanden ist, da es satirische Kritik an Neonazis darstellt, stellt er dann aber einen Zusammenhang zwischen AfD-Politikern, AfD-Wählern und tumben Neonazis her.

Pixabay - von Robby verwendet

Und das erfüllt durchaus den novelierten deutschen Paragraphen 130 StGB zur Volksverhetzung, da hier eine weltanschauliche Minderheit (AfD-Anhänger) gezielt verunglimpft und diskriminiert wird, bewusst kurzfristig vor der Wahl. Keine größere Zeitung in Deutschland würde es wagen, so etwas zu veröffentlichen (nicht nur aber auch, weil es schlicht dumm und zusammenhanglos ist) und auch bei FischundFleisch finde ich es zumindest unangebracht. Ich rede wohlgemerkt nur von der Verwendung des Bildes in diesem Zusammenhang, nicht von der ausführlich dargelegten und teilweise sicherlich berechtigten AfD-Kritik durch Robby.

Rechtlicher Hintergrund (§ 130 StGB):

Auszug: Wer (…) 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, …

In Österreich anderer Wortlaut, aber vergleichbare Aussage/Sachverhalt:

https://www.jusline.at/gesetz/stgb/paragraf/283

Kritik an der AfD, persönliche Meinungsäußerung zur AfD, das ist alles erlaubt, ja notwendig in einer Demokratie. Aber AfD-Wähler in direkten Bezug zu Nazis, denen ins Gehirn geschissen wurde, zu stellen, ist rechtlich fragwürdig und moralisch widerlich. Wir reden hier immerhin von fast 14 Prozent der deutschen Bevölkerung, darunter viele Migranten, viele Ex-Linke und nicht zuletzt auch viele Intellektuelle. Nach Studien sogar mehr als bei jeder anderen Partei. Und es geht hier wohlgemerkt auch nicht um die Verteidigung eines „Angeklagten“, auch wenn das manch Selbstgerechter so empfinden mag, sondern um eine zur Wahl zugelassene, legale Partei, mit in weiten Zügen demokratischem und liberalem Parteiprogramm, für die die gleichen Rechte gelten (müssen) wie für jede andere Partei. Dazu gehört es auch, ihre Wähler nicht zu diskriminieren. Andernfalls kommen zwangsläufig Erinnerungen an eine dunkle deutsche Epoche auf, nur mit diesmal umgekehrten Vorzeichen:

Archivdokument

Damals wie heute gibt und gab es also die Tendenz, den Deutschen moralisch vorzugeben, was sie zu wählen haben, wobei ich nicht die jeweils zugrunde liegende Moral (links oder rechts) bewerte oder vergleiche, sondern die Fragwürdigkeit, Wählern „moralische“ Ratschläge zu geben. Wer sollte denn die Instanz sein, die da moralische Wertungen vornimmt? Gegnerische Parteien? Selbsternannte Sitten- und Glaubenswächter? Religiöse oder politische Institutionen? Der Zeitgeist?

Der Souverän ist und bleibt der Wähler, und es ist am Wähler, die Politik moralisch zu bewerten, nicht umgekehrt. Eine Demokratie, in der Politiker das Verhalten der Wähler bewerten (statt andersherum), ist moralisch und politisch offenkundig am Ende.

Natürlich gibt es auch die Diskriminierung linker und grüner Wähler, das soll hier nicht verschwiegen werden. Aber zumindest Hitler- und Nazivergleiche entfallen da in der Regel, und darum geht es hier ja. Dennoch werde ich am Schluss noch auf umgekehrte Argumentationskeulen wie „Gutmensch“ etc. eingehen.

Wie sieht die Rechtsprechung bei Nazi-Vergleichen aus?

Juristisch betrachtet kommt es vor allem darauf an, wie weit der Vergleich begründet wurde. Wenn der Musiker Jan Delay kurzerhand und in einem öffentlichen Interview behauptet „Heino ist ein Nazi“ (übrigens in einer österreichischen Zeitung) dann ist das eine Beleidigung (die ihn inzwischen 20.000 Euro kostete). Originalzitat: „Alle sagten plötzlich: Ist doch lustig, ist doch Heino. Nee, das ist ein Nazi.“

Hätte er stattdessen gesagt „Verschiedene Äußerungen und Denkweisen von Heino erinnern mich an Äußerungen und Denkweisen der Nazis“, dann wäre er rechtlich auf der sicheren Seite gewesen. Über die unzähligen Mischformen - zwischen diesen beiden vorgenannten Extremen möglicher Formulierung - die im Alltag immer wieder auftreten, müssen dann im Einzelfall die Gerichte entscheiden. Wobei aber selbst bei Richtern eine Abstumpfung gegenüber den mittlerweile zum Alltag gehörenden Nazivergleichen einsetzte, was ich persönlich bedauere, da es zu einer zunehmenden Verrohung der Sprache und einem Verlust an Diskussions- und Streitkultur führt.

Fassen wir zusammen, was erlaubt ist:

Der Nazivergleich muss durch weitere Erläuterungen begründet werden, dann gilt er als freie Meinungsäußerung. Und wer auf Nummer sicher gehen will, verwendet stets die folgende Pauschal-Formel: „Diese Äußerung/Verhaltensweise erinnert an den Nationalsozialismus/Nationalsozialisten.“ Damit wird die Aussage zu einer Kritik an einem Vorgang oder einer Äußerung, nicht an einer Person, kann also nicht mehr juristisch als Beleidigung gewertet werden.

Ähnliches gilt für Satire und Parodie. Auch hier kommt es auf die Begründung bzw. die Botschaft an. Geht es nur oder primär darum, eine Person zu verunglimpfen, so kann das juristisch als Beleidigung geahndet werden. Verbirgt sich hinter der „beleidigenden Darstellung“ aber eine politische Botschaft, eine satirische Aussage (die muss nicht wahr und richtig, geschweige denn klug sein), dann wird die Satire zum künstlerischen Träger der freien Meinungsäußerung und ist damit zulässig.

Einen Grenzfall stellte hier die Erdogan-Verunglimpfung durch den deutschen Satiriker Jan Böhmermann dar. Die „Botschaft“, hinter der sich seine pure Verunglimpfung Erdogans versteckte (u. a. hätte er angeblich Sex mit Ziegen), war es, zu zeigen, was man eigentlich NICHT sagen darf. Ein juristischer Kniff, der auch die deutschen Juristen entzweite. Sicherlich ist es fragwürdig, etwas Verbotenes zu tun, um zu dokumentieren, was man eigentlich nicht tun darf. Generell aber besteht die „Satire“ eines Böhmermann – zumindest aus meiner Sicht – vor allem aus sehr viel politischer Botschaft und sehr viel Verunglimpfung, aber sehr wenig Geist und Witz. Beides scheint im Zug der Zeit zu liegen, sowohl in Politik als auch Satire.

Wer sich auf der „richtigen“ Seite wähnt, darf andere hemmungslos verunglimpfen und steht über solch niederen Beweggründen wie Fakten, Argumenten und Logik. Was zählt ist der rechte Glaube. Und das war ja eigentlich schon immer so, vom Mittelalter über Kaiserreich und zwei deutsche Diktaturen, bis zur heutigen Zeit.

Kommen wir zum intellektuellen und sprachlichen Aspekt von Nazi-Vergleich und -Keule:

Der Begriff „Nazi-Vergleich“ wurde nach den Sprachwissenschaftlern Thorsten Eitz und Stötzel in den 1980er-Jahren durch die Massenmedien eingeführt und taucht seitdem insbesondere in Pressekommentaren immer wieder auf. Nach dem Politologen Norbert Seitz gehört „die Nazi-Analogie seit Gründung der Bundesrepublik zum probaten Totschlagarsenal in der politischen Auseinandersetzung“.

Die französische Sprachwissenschaftlerin Marie-Hélène Pérennec stellte eine Häufung von Nazi-Vergleichen seit Ende der 1990er Jahre fest und meinte, „dass der politische Diskurs sich seit einem Jahrzehnt so radikalisiert hat, dass derartige Entgleisungen beinahe allen Rednern passieren können und dass es schwierig wird, zwischen Provokation und Ungeschicklichkeit zu unterscheiden.“

(Quelle: Wikipedia)

Und dann gibt es da noch das ironisch gemeinte Godwin-Gesetz:

„Mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion nähert sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit den Nazis oder Hitler dem Wert Eins an.“

Mike Godwin

Der jüdische Philosoph Leo Strauss wies außerdem auf die meist fehlende Logik von Hitlervergleichen hin und nannte das „reductio ad Hitlerum“ (In Anlehnung an „reductio ad absurdum“ eine unzulässige Schlussfolgerung in Bezug auf Hitler). „Eine Ansicht wird nicht widerlegt durch die Tatsache, dass sie zufällig von Hitler geteilt worden ist.“

Kurze Erläuterung:

Annahme 1: Hitler ist böse.

Annahme 2: Hitler hat dieses oder jenes gesagt, getan oder gedacht.

Unzulässige Schlussfolgerung: Dieses oder jenes ist ebenfalls böse.

Beispiel:

Hitler war Vegetarier und überzeugter Tierschützer. Daraus die moralische Fragwürdigkeit von Tierschutz und vegetarischer Lebensweise abzuleiten, ist aber natürlich absurd.

Gibt es auch Stalin- bzw. Links-Keulen und Diskriminierung Linker in der Diskussion?

Es wird natürlich versucht, und sei es auch nur, um die Albernheit von Nazikeulen und permanenter Diskriminierung politisch rechter Ansichten zu entlarven. Und es gibt in jedem Fall auch von rechts Totschlagargumente und Diskriminierungen. Nur, dass diese in der Regel viel harmloser sind und trotzdem absurde Empörung hervorrufen, während der Vergleich mit dem größten Massenmord der Geschichte angeblich legitim ist.

Hier einige der häufigsten Begriffe und Vergleiche: Gutmensch, Betroffenheitsinszenierung, Gesinnungskitsch. Und die politische Korrektheit wird gerne mit Orwells „Neusprech“ verglichen, sicherlich nicht ganz zu Unrecht, denn das Prinzip ähnelt, auch wenn die zugrundliegende Motivation eine andere sein mag. Und gelegentlich kommt es dann auch zu saftigen Aussprüchen wie „linksgrün-versifft“, die ganz gezielt bestimmte Kreise verunglimpfen, diesen allerdings nur Dummheit und infantile Realitätsferne unterstellen und keine imaginären Verbrechen, wie es Begriffe wie „braun“ oder „Nazi“ halt tun.

Während die Nazikeule sich aber einer gewissen, zwar nicht intellektuellen aber doch moralischen Legitimation erfreuen darf, ging man beim Begriff Gutmensch sofort zum Gegenangriff über:

2006 behauptete der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), die Herkunft des Begriffes läge in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine abenteuerliche, längst wissenschaftlich widerlegte Behauptung. Es gab diesen Begriff nicht in der Ideologie und Terminologie des Nationalsozialismus. Sehr wohl aber gab es ihn schon lange vorher im Bereich der Ethik. In einem 1859 erschienenen Buch des Pädagogen Christian Oeser taucht folgender Satz auf: „Wird nicht ein solch unberatener Gutmensch für seine unbedingte Menschenliebe verlacht, für einen Thoren von der ganzen Welt gehalten werden und ein Opfer seiner Schwäche sein?“

Und genau in diesem Sinne, wohlmeinenden aber naiv und zu gut für diese Welt, wird der Begriff auch heute verwendet. Entlarvend, welchen Sturm der Entrüstung er in gewissen Kreisen verursacht, die sich diesen Schuh offenbar anziehen ...

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