Antisemitische Schmierereien in einer deutschen Mittelstadt.

Ein Blick auf die Reaktionen.

« Alle Jahre wieder », könnte man meinen, angesichts der Nachricht von judenfeindlichen Parolen, die letztens auf dem Konstanzer Friedhof auf Grabsteine gesprüht wurden.

Traurig genug, dass es noch und immer wieder Menschen mit derlei Gedankengut (soweit man hier von « Gut » sprechen kann) gibt.

Es ist aber wohl so, dass der Antisemitismus als « Mutter aller Ressentiments » nie aussterben wird : Es wird immer Leute geben, die statt der Stimme des Gewissens Stimmen hören (nach Horkheimer/Adorno : Grenzen der Aufklärung).

Deswegen interessiert hier weniger der Vorfall an sich.

Viel interessanter sind seine Rezeption, die Reaktionen darauf in der Öffentlichkeit.

Zeitgleich, am selben Tag gab es zu den Schmierereien Meldungen auf den lokalen Portalen « südkurier.de » und « seemoz.de ».

Ersteres steht für die Webpräsenz der örtlichen Tageszeitung, die die vorherrschende « bürgerliche Meinung » vertritt und verbreitet.

Zweiteres bezeichnet die digitale See-Monats-Zeitung, laut Selbstcharakterisierung « kritisch-widerborstig-informativ ».

Die politische Verortung ist links, letzteres durchaus mit Gänsefüßchen.

Zum jeweiligen Beitrag hier ( http://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/Antisemitische-Parolen-auf-Konstanzer-Graebern;art372448,8541350) und hier

( https://www.seemoz.de/lokal_regional/grabschaendungen-noch-keine-ergebnisse/)

Beide Portale veröffentlichen dasselbe Foto des Slogans :

« Juden in das Gas ».

Quelle: Südkurier

Und dann steht bei « südkurier.de » :

« Jüdische Bürger sind entsetzt », gleich zu Beginn der einleitenden 3 dick gedruckten Zeilen.

Im gleichen Sinne heisst es im Weiteren :

« Dass diese Parolen auch drei Wochen nach Bekanntwerden noch immer sichtbar sind, hält Ruth Frenk für einen Skandal. ». (Ruth Frenk ist seit vielen Jahren überregional bekannte Vertreterin liberalen Judentums.)

Juden sind es also, die sich über derlei Vorfälle entsetzen, und Juden sind es auch, die es für einen Skandal halten, wenn man dergleiche Parolen wochenlang lesen kann.

Versteht man diese Botschaft richtig, dann ist Antisemitismus ein Problem für Juden.

Denn die sind ja damit gemeint.

Judenfeindschaft also als exklusives « Vergnügen » für Juden ?

So, als hätte es vor gut 70 Jahren in Deutschland nie eine Gesellschaft gegeben, die aufgrund des von ihr durchexerzierten eliminatorischen Judenhasses in ihrer Gänze « bis zur Kenntlichkeit » deformiert war.

Wenn jetzt genau dieser Hass wieder durchscheint, dann stehen Juden ziemlich alleine da.

Also die von heute, die lebendig sind.

Nur dann, wenn das « gute » Deutschland was davon hat, nämlich den moralischen Profit, sich so vorbildlich und eifrig an jüdisches Leiden zu erinnern, dann sind sie ganz und grenzenlos die unseren, die Juden :

Regelmässig am 9. November und 27. Januar.

Aber da geht es ja um die von damals, und die sind tot.

Man fragt sich, was jahrzehntelange « Auseinandersetzung mit der schlimmen Geschichte », was all das rituelle « German Gedenking » gebracht hat.

Abgesehen natürlich vom genannten moralischen Profit, den man sich für sich selbst damit erarbeiten kann.

Für den Zweifler, dem sich der eigentliche Skandal bis hierher noch nicht erschlossen hat :

Nach eben dieser Logik dürften sich über « Clausnitz » eben auch nur Flüchtlinge entsetzen, denn gegen die wurde da ja randaliert.

Schauen wir auf den « kritisch-widerborstig-informativ »en Bericht :

Immerhin wird der auf dem Foto zu lesende Slogan als « Widerlichkeit » bezeichnet.

Das war es aber auch schon.

Denn im Weiteren geht es ausschliesslich darum, nachzuweisen, dass die Schmieraktion ein Versuch sein muss, Flüchtlinge als Verdächtige zu desavourieren.

Diese werden damit als die « wahren Opfer » des Vorfalls konstruiert.

Interessant dabei :

Wo man schon beim opfern ist, steuert man selbst eine sehr heilige Kuh bei:

Während man sich ansonsten an jedem orthographischen Schnitzer der « Kameraden » ergötzt, als Beweis deren notorischer Dumpfheit, werden sie nun fast geadelt für ihre Schläue, mit der sie Rechtschreibfehler in ihre Parolen gestreut hätten – absichtlich !

Wozu dieser geistige Spagat ?

Die Verarbeitung des Vorfalls dient als Aufhänger dafür, die eigene wackere « antirassistische » Gesinnung darzustellen.

Indem man vermuteten oder konstruierten Rassimus skandalisiert, ist man auf der sicheren Seite, der der Guten.

Dazu der Soziologe Detlev Claussen in « Was heisst Rassismus ? » :

« In der Tat erfüllt der ideologische Rassismus die Funktion, die Welt als rassistisch zu interpretieren, statt Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit anzubieten ».

Die antirassistische Praxis scheint daher oft eher den eigenen Glauben an den Rassimus in der Welt zu bestätigen, als sie zu verändern.

Diese hehre Bemühen, sich einen Platz zu sichern auf der Seite der Guten schärft den Blick auf die Welt nicht unbedingt.

Bezeichnend dafür heisst es bei « seemoz.de » weiter:

« Mittlerweile wollen die Ermittler aufgrund der antisemitischen Hetzparole nicht ausschließen, dass die Täter wohl eher dem rechtsextremistischen Umfeld zuzurechnen sind. »

Letzteres ist sogar durchaus wahrscheinlich, aber :

Ist antisemitische Gesinnung tatsächlich exklusives, zwingend beweisendes Alleinstellungsmerkmal von Nazis, also « Rechten » alter wie neuer Provenienz ?

War es also der Front National, der in Frankreich die jüdische Schule in Toulon überfiel, der im Zuge des Attentats auf « Charlie Hebdo » den jüdischen Supermarkt angriff, der das Bataclan als Inbegriff des « jüdischen Sündenpfuhls » verwüstete ?

Auf was weist es hin, dieses notorische Nicht-Sehen-Können oder -Wollen auf Seiten der Linken (sei es mit der ohne Gänsefüßchen), immerhin stellvertretend für den Teil dieser Gesellschaft, der sich nach eigenem Bekunden als deren besseren wähnt :

Dass nämlich die jeweiligen Mörder selbsterklärt als entschiedene Muslime zu Werke gingen ?

Ist der Unterschied zwischen dem kranken « Viva la muerte » faschistischer Soldaten im spanischen Bürgerkrieg und dem islamistischen « Ihr liebt das Leben, wir aber den Tod » tatsächlich so gross ?

Wer nach dem Motto « Weil nicht sein kann, was nicht sein darf » diese Kongruenz nicht wahrhaben will, der kann selbstredend auch nicht nachvollziehen, wieso das jüdische « Lechaim » (Auf das Leben!) das Lieblingsziel all dieser Liebhaber des Todes ist.

Und auch hier wieder für den Zweifler, also für den, dem Frankreich zu weit hergeholt erscheint :

Wo war das nochmal, wo es laut und vernehmlich schallte : « Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein ! »? Oder : « Hamas, Hamas, Juden ab ins Gas ? »

Und wer war das ?

Zusammenfassend :

Während die eine Seite der Öffentlichkeit Antisemitismus als Problem für Juden « versteht », brät sich die andere ihr « antirassistisches » Ei darauf.

Das eine ist erstmal so deprimierend wie das andere.

Obwohl :

Eigentlich ist es doch wunderbares didaktisches Material zur Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft, « die nach wie vor « Auschwitz » zwar im Rücken, aber weder im Hirn noch im Herzen hat » (stammt wohl von H.M. Broder).

Wenn man denn an Didaktik als Mittel und Waffe der Aufklärung glauben will.

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Marian Eisler

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fischundfleisch

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