Es sind zweitausend Kilometer, knapp drei Flugstunden von Stuttgart. Unserem Heimatflughafen. Dann landen wir auf der griechischen Insel Kos. Die warme Abendsonne empfängt uns, das freudige Gerede der Einheimischen ebenso. Wir verstehen leider kein griechisch, müde fallen wir in unsere Hotelbetten. Am nächsten Tag fahren wir in die Hauptstadt Kos, direkt an den Hafen. Was uns seit Monaten bereits beschäftigt, durch die Nachrichten geistert und Häuser brennen lässt, empfängt uns jetzt von Angesicht zu Angesicht. Wir wollen es erleben, darüber berichten und schreiben. Trotz aller Erfahrung mit dem täglichen Journalismus überkommt uns ein komisches Gefühl, als wir fotografieren wollen.

Es sind die Gesichter der Flüchtlinge, fragend und müde schauen sie zu uns rüber. Kleine Kinder, Frauen jeden Alters und Männer in den Zwanzigern. Sie leben in Zelten, jedes in einer anderen Farbe. Einige sind geschlossen, bei anderen fällt der Blick auf schlafende Menschen. Überall liegen Wasserflaschen herum, ansonsten ist das Gebiet, in dem die Flüchtlinge bereits seit Wochen campieren auffallend aufgeräumt. An manchen Stellen riecht es nach Fäkalien, Kleider hängen zum Trocknen auf Palmen und Sträuchern. Manche Menschen liegen in Gruppen zusammen und dösen, andere machen an der Uferpromenade ein Selfie. Im Hintergrund das Meer, dem sie unter größten Gefahren entronnen sind. Fast scheint es, als wollte der junge Mann sagen, schaut her ich habe es geschafft! Nach der Flucht über die Türkei und dem Seeweg auf die Insel Kos sind die über 8000 Flüchtlinge jetzt in der EU. Nächstes Ziel: unbekannt. Viele wollen sich nach Deutschland durchschlagen, für andere soll der Weg noch weiter gehen, weiter nach Schweden oder Dänemark.

Die Hauptstraße, die am Hafen vorbeiführt, wirkt als Demarkationslinie. Der Raum zwischen ihr und dem Meer gehört den Flüchtlingen. Zelt an Zelt und Meter um Meter führt die schmale Stadt den ganzen Hafen entlang. Auf der anderen Seite pulsiert das bunte Leben der Hafenstadt Kos. Händler und Gastronomen buhlen um die Touristen, machen Angebote und recken ihre Speisekarten stolz empor. "Wasser gratis" und "Zwei Bier für einen Preis" lauten die Argumente für eine Einkehr in den zahlreichen Bars und Tavernen. Klimatisierte Großraumlimousinen schneiden gröhlend weitere Furchen in die Straße zwischen dem Leben hier und dem Leben dort.Man sieht sie, die Menschen und Schicksale. Man riecht ihre Hinterlassenschaften. Doch man hört sie nicht. Schweigend schauen sie einen an, manchmal erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht.

Die Bevölkerung auf Kos ist gespalten. Eine Hälfte unterstützt die Gestrandeten mit Wasser und Lebensmitteln, gekauft mit privaten Mitteln. Andere wollen die Flüchtlinge am liebsten wieder zurück ins Meer schicken. Nahezu alle Bereiche leiden unter der Situation. Die öffentliche Verwaltung ist überfordert, die örtliche Wirtschaft kämpft um das Überleben und die Gastronomen fürchten ein Ausbleiben der konsumwilligen Touristen.Dennoch brennen hier keine Häuser und es werden keine Menschen angegriffen, obwohl die Situation weitaus schlimmer ist, als in Deutschland oder Österreich.

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Reinhard Hödl

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Claudia Braunstein

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fischundfleisch

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