Das Beste kommt zum Schluss

oder: Vom Zauber alter Herren

Der erste alte Herr (und ich rede nicht von dickbäuchigen, biertrinkenden alten Männern) begegnete mir, als ich fünf war.

Herr G., der Mann von Frau G., der mir ein besserer Großvater war, als es ein leiblicher womöglich hätte sein können (ich erlebte keinen) wohnte eine Etage obendrüber und es war schwer zu ihm zu kommen. Saß auf der Treppe nicht der elend kläffende Dackel seiner Nachbarin Frau R., dann war es sein furchtbarer orangener, fetter Kater, der eifersüchtig fauchte. Die Namen beider Tiere habe ich erfolgreich verdrängt. Nicht jedoch die feine und selbstverständliche Freude, mit der mir oben geöffnet wurde, wenn ich die sechzehn Stufen erfolgreich überwunden hatte.

Mir gefiel diese vornehme Ruhe, die mich dort, so ganz anders als in unserem vier-Kinder-Haushalt, umgab, und die ausschließliche Zuwendung, die ich genoß. Heutige Einzel-Enkel finden das sicherlich selbstverständlich, ich aber erlebte nur dort, dass man sich nur und ausschließlich mit mir befasste, mir zuhörte und mich geduldig aussprechen ließ, mir Dinge (alte Bücher!) zeigte und Sachen erklärte (dieser Eisschrank, für den tatsächlich jede Woche mit der Pferdekutsche ein Stück Eisstange geliefert wurde).

Später kamen andere, die jedoch nie wieder so großartig waren wie Herr G. in seiner hanseatisch zurückhaltenden Würde.

Wie zum Beispiel der Großvater meines Mannes, der gerne seine wachsende Familie um sich scharte und nach ein paar Gläsern Wein erzählte, wie er bei allen abverlangten Gelöbnissen der Wehrmacht seinen Mund bewegt und immerfort "Tomatensalat" gesagt hatte.

Oder mein Vater, der meinen Kinderwagen, nach Mutters Berichten, lediglich zum Runtertragen angefasst habe, aber seinem jüngsten Enkel den Hintern abputzte, damit ich weiter studieren konnte.

Und manche verkannten, was ich in ihnen sah.

Da war jener, ein Gast meiner Eltern, der mich im Flur beiseite nahm und küssen wollte. Seine Frau saß nebenan und ich verstand nicht. Ich war zwölf.

Da war der, mit dem ich eine Zeit lang jeden Tag im gleichen Zug fuhr. Als seine Frau gestorben war und ich ihn zu mir zum Essen einlud, verkannte er die Situation sehr. Ich wechselte später die Straßenseite, wenn ich ihn traf.

Und da war der aus der Nachbarschaft, der zwar erwartete, dass ich ihn zuerst grüße, mir aber gierig auf die Brüste schaute. Man muss sich, dachte ich damals, schon entscheiden, ob man eine Frau als potentielle Beute oder eben als Kind der nächsten Generation betrachtet.

Aber das waren kleine Ausrutscher, die nichts an meiner Zuneigung alten Männern gegenüber ändern.

Männer, die - wie eben im Film Harvey Keitel Michael Caine - einander fragen: "Warst du heute schon pinkeln?", woraufhin Caine nickt und antwortet: "Ja, vier Tropfen, mehr oder weniger." Und Keitel konkretisiert haben will: "Mehr oder weniger?" und Caine antwortet: "Eher weniger."

Alte Herren, die in allem, was unschön ist, noch Humor ahnen lassen. Kein Selbstmitleid, sondern lediglich die Feststellung: So ist es eben.*

Wie auch Jack Nicholson und Morgan Freeman, die sich in einer Krebsklinik kennenlernen. Und dank der finanziellen Mittel des Einen sich vornehmen können, die Liste all der Dinge abzuarbeiten, die sie immer schon tun wollten, zu tun aber nie die Zeit (oder das Geld hatten). Nie war Sterben schöner und würdevoller und eine Freundschaft zwischen allzu verschiedenen Menschen herzzerreißender.**

Oder doch, einmal vielleicht, als die Coen-Brüder ihr "No Country for Old Men" drehten. Wir fiebern so sehr mit, wenn da unter Aufbietung aller Kräfte gekämpft und gestorben wird. Auch wenn diese da nicht die Chance bekommen, so alt wie Caine zu werden. Aber so ist er halt der Wilde Westen.***

Alte Herren, das versteht sich von selbst, sind IMMER eine Generation älter als ich. Ich stehe nicht auf sie als Männer. Aber ich finde sie großartig, wenn sie Würde, Humor und diese (groß)väterliche Zugeneigtheit zeigen, die mir das Gefühl gibt, dass ich (an ihnen) wachsen kann. Nie im Leben ist frau groß genug. Es geht immer ein Stückchen weiter.

Denn: Das Beste kommt zum Schluss! ;)

Und zu all dem läuft Satie, der - finde ich - großartig dazu passt. Denn die Erkenntnis, dass es bald nicht mehr sonderlich viele von diesen großartigen Männern, eine Generation älter als ich, geben wird, kann schon elegisch machen.

*"Ewige Jugend" 2015 Paolo Sorrentino

** 2007 Rob Reiner

*** 2008

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Persephone

Persephone bewertete diesen Eintrag 01.05.2018 11:29:33

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