Kannet verstahn ... oder: Die große Ratlosigkeit

Kohorten von Meinungsfreiheitsverfechtern ziehen seit einigen Jahren durch die westliche Welt und verkünden ihre gewonnenen Erkenntnisse zunehmend lauter und drastischer mit dem Anhängsel: "Das wird man ja doch wohl noch sagen dürfen!". Welchselbiges Rechtfertigung bietet für allerlei vorangegangenes Menschenfeindliches, Rassistisches usf.

Immer im Kampf gegen die politische Korrektheit, die zu übertreten ein Test dafür ist, wie weit sie denn wohl reicht, diese Meinungsfreiheit, auf die wir alle uns so verlassen, die wir aber gleichzeitig immer mehr gefährdet sehen.

Kann schon sein, dass so manches sprachliche Diktum allzu verschwurbelt, tief(ein)greifend, allzu vorauseilend ist. Wäre es nicht gleichzeitig eine Reaktion auf eben allzu Drastisches, das es zu unterbinden gilt, um nicht den frühen Worten spätere Taten folgen zu lassen. Der Fortschritt dieser unserer Gesellschaft, lässt sich zusammenfassen, ist ein höchst fragiler, der jederzeit wieder in Archaisches zurückfallen kann.

An ihren Worten sollt ihr sie erkennen.

Und nun kommen da welche daher, ohnehin dem Feinbild zugehörig, irgendwie braun, irgendwie arabisch-türkisch, was weiß ich?, und poltern los auf eine Weise, die zu ihnen passt: Rapp, auch noch Battle-Rapp, der mit Kunst so viel zu tun hat wie ... äh, Michelangelo mit der Fettecke?

Sie behaupten auch nicht, Kunst zu machen, vielleicht nicht einmal richtige Musik. Ihnen gehts um Clicks, Streams, Geld, also Verkaufszahlen. Womit sie beim ECHO völlig richtig sind, denn da zählt genau das: in Zahlen ausdrückbarer Erfolg, was ja immerhin zeigt, dass es Leute geben muss, die sich den Scheiß nicht nur reinziehen, sondern auch noch Geld dafür hinlegen. Damit sie abends an irgendwelchen Ecken stehen, rhythmisch mit den Köpfen nicken und irgendwie dazu gehörig sein können. Vielleicht verstehen sie den Text nicht einmal, vielleicht zählt nur der Rhythmus, vielleicht überläuft sie aber angesichts verstandener und total fieser Texte auch ein wohliger Schauer.

Huch, wie unkorrekt!

Das haben sie ja dann mit den anderen gemeinsam, die zwar nicht singen, aber auch regelmäßig die Meinungsfreiheit austesten. (Ob DAS wohl noch geht? - Man weiß es erst, wenn mans versucht. Und so oder so ist einem der Beifall der Anhängerschaft gewiss: Was DER sich traut, Mönsch! Und gibts mal ´ne Sperre oder gar Löschung, ist man gleich ein noch viel größerer Held. Martyrium für den Hausgebrauch.)

Abgesehen davon, dass Battle-Rapp eben genau DAS sich auf die Fahne geschrieben hat: echte oder vermeintliche (Gesangs)Gegner dadurch zu besiegen, dass man ihnen alle möglichen und möglichst unkorrekte Beschimpfungen an den Kopf schmeisst, sei eben wirklich dahin gestellt, ob und wie ernsthaft jemand sich die Texte im Vorfeld angehört haben mag. Und damit meine ich gleichermaßen die Fangemeinde wie die Jury. Denn die Jungs waren schon seit Monaten in den Bestenlisten und genauso lange für den Echo (Verkaufszahlen!) nominiert. Das, was jetzt in der Gesamtheit als judenfeindlich, diskriminierend und homophob abqualifiziert wird, irrt seit Monaten über die Sender und Plattformen und keiner wills gemerkt haben?

DARÜBER sollten wir mal nachdenken.

Denn: Hätte irgendein tieferes gutmenschliches Interesse daran bestanden, eine Gruppe mit (vermutlich) islamischen Wurzeln zu hypen, hätte man wohl genauer hingeschaut, sich vielleicht ein nettes türkisches Mädchen (sexy und ohne Kopftuch) als Paradebeispiel in die Show geholt.

Aber der Echo ist, was ist er ist, ein Resultat einer auf Wachstum und Verkauf ausgerichteten Gesellschaft.

Vielleicht hat Campino uns einen Bärendienst erwiesen, indem er den Moralapostel und damit Unwesentliches sowie Farid Bang und Co. wichtig machte. Vielleicht hat er aber auch nur ausgesprochen, was wir alle schon vor Monaten hätten denken und sagen sollen. Vielleicht ist er aber nur ebenso bestürzt darüber, wie wenig wir wahrnehmen, was in dieser von uns so oft gescholtenen Parallelgesellschaft stattfindet, wie wir es auch sein sollten.

So oder so: Da steckt viel mehr Nachdenkstoff drin als es zunächst den Anschein hat.

Die Jungs haben gemacht, was sie die ganze Zeit schon machen: Battle-Rapp der allerbösesten Art. Nicht mehr und nicht weniger.

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