Der Friedhofsgänger und der Friedhofswärter

Am Tisch saßen also lauter Menschen, die glaubten, Autorinnen und Autoren zu sein. Das erstaunte mich ein wenig, denn sie saßen nur da, aßen und tranken. Es fiel kein Wort über das Schreiben, über Literatur. Ich hatte keinen Hunger, trank nur ein Schlückchen. Irgendwie tat sich nichts, es war unendlich langweilig. Warum hatten sich diese Menschen überhaupt zusammen gefunden? Ich hatte ein Typoskript mitgebracht, das ich zu fortgeschrittener Stunde aus meiner Tasche kramte. Zum Erstaunen der anderen Autorinnen und Autoren verkündete ich, eine Geschichte zum Vortrag bringen zu wollen. Dies sollte meine allererste öffentliche Lesung werden. Ich war ein wenig nervös, zog die Sache aber nichts desto trotz durch.

Hernach wurde mit Komplimenten eher gespart. Vielleicht weniger aufgrund qualitativer Mängel, sondern des Themas wegen. „So jung, und schreibt schon vom Tod und einem Friedhofswärter!“ Immerhin einem Mann imponierte meine Erzählung. Er fand es spannend, dass ich mich in eine Figur hineinversetzt hatte, deren Leben langsam zu Ende ging, und die nur auf einem Friedhof Glück zu suchen verstand. Als die kleine, muntere Gesellschaft auseinander strebte, freute ich mich, meine erste öffentliche Lesung gut überstanden zu haben. Und mit der geheimnisvollen Anziehungskraft von Friedhöfen hatte ich ein literarisches Thema gefunden, das mich seitdem nicht mehr loslässt.

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Kristallfrau

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Chaos

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Claudia Braunstein

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fischundfleisch

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