Identitären-Demo: Wer meinen Feind nicht tot sehen will, ist der Feind

Am Wochenende wurde wieder demonstriert. Die „Identitären“, eine rechte „Bewegung“, die den „großen Austausch“ propagiert – wir Einheimische werden Stück für Stück durch „Fremde“ ersetzt – durfte ausgerechnet durch den 10. Wiener Gemeindebezirk marschieren und öffentlich ihrem ewiggestrigen Gedankengut frönen. Gerade da, wo man in Wien keine Nazis vermuten würde, sondern Menschen mit Migrationshintergrund. Und mich, weil ich da wohne. Ich hab mir das angesehen.

Was ich im Vorfeld verpasst hatte, da ich erst zum Ende der (Gegen-)Demo am Reumannplatz erschien: Die Rechten hatten selbst mit Flaschen und Bengalos auf linke Gegendemonstranten geworfen, dabei fing unter anderem das Dach der U-Bahn Feuer. Ein riesiges Polizeiaufgebot sowie Rettung und Feuerwehr waren da. Ein Polizist stieß mich recht unfreundlich zur Seite, obwohl ich nicht im Weg stand. Manchmal versteh ich dieses Klischee von der Polizeiwillkür in Wien nur zu gut – aber dazu gibt’s eine andere Geschichte.

Nachdem die Identitären mit einer eigenen U-Bahn flüchten konnten – zuvor wurde sie abgesperrt – löste sich die Demo auf und mein Mitbewohner und ich gingen einkaufen. Auf dem Weg wurden wir von etwa 20-30 Polizisten überholt, die plötzlich ein Kleidungsgeschäft mit Körpereinsatz absperrten. Anscheinend hatte sich dort drin ein Identitärer verschanzt. Vor dem Geschäft skandierten Leute „Wir – kriegen – euch – alle!“. Das fand ich schon etwas … beängstigend. Aber es war ja noch nichts passiert, oder zumindest hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts davon mitgekriegt.

Nach einer kurzen Videoaufnahme des charmanten Demospruchs gingen wir weiter die Favoritenstraße entlang, wo uns plötzlich ein ängstlich aussehender Bursche mit gelbem Shirt entgegenlief. Plötzlich fing die ganze Straße zu schreien an: „Alerta! Alerta!“. Ein ganz normaler antifaschistischer Demospruch wurde auf einmal dazu benutzt, die Jagd auf den Identitären einzuleiten – einige Leute jagten ihn von allen Seiten und wollten ihn attackieren, stießen ihn gegen die Wand und wollten ihn offensichtlich auf offener Straße verprügeln.

Geht’s noch? Genau wegen solchen Aktionen laufen die Dinge so, wie sie eben laufen. Die Antifaschisten schaden sich nur selbst damit. Wer auf offener Straße Rechte verprügelt, wird in den Medien wieder von „linken Krawallmachern“ lesen – und nicht etwa davon, was die Identitären für grenzwertige Gestalten sind und was sie mitten im Zehnten propagieren dürfen.

Mit dieser Kritik ging ich sofort auf Twitter. Und wurde von einem mir schon bekannten linken Ideologen sofort als Identitärer hingestellt. Geht’s noch? Ich, der gegen jede Art der rechten, ausländerfeindlichen Hetze seit Jahren anschreibt, bin auf einmal ein Identitärer? Weil ich schlicht feststelle, dass man ihn nicht auf offener Straße via Selbstjustiz zu lynchen hat? Eine interessante Behauptung. Aber schlicht ein Symptom einer linken pseudo-intellektuellen Twitter-Elite, die mit genau dieser Art – „Wer meinen Feind schützen will, ist der Feind“ – ihre eigenen Anliegen sabotiert.

Linke Gewalt zu verurteilen, macht einen nicht rechts. Rechte Gewalt zu verurteilen, macht einen nicht links. Natürlich gibt es strukturelle Gewalt in Österreich – der Diskurs zum Thema Rassismus läuft in die völlig falsche Richtung und auch die Polizeigewalt darf man kritisieren, wenn man schon mit dem Rechtsstaat argumentiert. Aber nichts rechtfertigt gewalttätige Übergriffe – egal, welcher Ideologie man angehört.

Das gilt übrigens auch für die Identitären, die nach der Demo am Praterstern einige Antifas unter anderem mit Stangen attackierten und auf sie einprügelten, als sie schon am Boden waren. Menschenverachtende Ideologie trifft menschenverachtendes Handeln. Das passt ja gut zusammen. Aber was soll’s, scheinbar gehör ich ja dazu weil ich sie nicht tot sehen will.

Es ist schade um eine wichtige Gegendemonstration zu einer sehr entbehrlichen Veranstaltung. Die Linke zieht sich selbst in den Dreck. You can hate me now.

P. S.: Ich habe zuvor auf meinem Blog einen Beitrag drüber geschrieben. Wer sich fragt warum, kann den ja lesen. Auf F+F nehme ich es mir nicht heraus, persönlich und attackierend zu werden – aber wenn ich öffentlich als Identitärer diffamiert wäre, geht das natürlich nicht so einfach an mir vorbei.

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