Die österreichische Politik dieser Tage ist extrem reaktionär in ihren Themen. Das muss nicht unbedingt schlecht sein.

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Die österreichische Politik der letzten Jahre zeichnete sich durch Stillstand und das Ankündigen großer Reformen aus. Werner Faymann und die SPÖ brüsten sich zum Beispiel damit, im ersten Jahr der Regierung Faymann II die Bildungsreform "auf den Weg gebracht" zu haben - ohne dass sich etwas verändert hätte. Gute Absichten reichen meist aus, um Politik zu machen - das war bisher typisch österreichisch.

Umso erstaunlicher sind die politischen Themen seit Jahresbeginn. Durch das Thema Charlie Hebdo kam eine Islamdebatte zustande, die Michel Reimon schnell nutzen konnte. Der freie Journalist und EU-Parlamentsabgeordnete der österreichischen Grünen schrieb im "Standard" einen Text über den Blogger Raif Badawi aus Saudi-Arabien. Dieser setzte sich für Religionsfreiheit in seinem streng sunnitisch-islamischen Land ein - und wird nun jeden Freitag ausgepeitscht.

Als die Welt gerade von islamistischen Anschlägen erschüttert war, öffnete sich die Politik scheinbar für solche Themen. Reaktionen folgten sofort. Werner Faymann und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer spielen mit dem Gedanken, das König Abdullah-Zentrum möglichst bald zu schließen - diese Einrichtung wird von Saudi-Arabien finanziert und sollte dem interreligiösen Dialog dienen. Die Grünen wollen im Sicherheitsrat einen Antrag zur sofortigen Schließung des Zentrums einbringen. Die NEOS posten #JeSuisRaif. Und der FPÖ soll die Schließung sicher auch recht sein.

Bundespräsident Heinz Fischer persönlich setzte sich in einem Schreiben für die Aussetzung der Strafe von Raif Badawi ein - ein solches Vorgehen erschwere den Austausch. Und Sebastian Kurz setzte sich mit der EU und Jordanien in Verbindung. Selten hat die österreichische Politik so schnell und relativ einig auf ein Geschehnis weit weg reagiert.

Zeitgleich wird die Anti-Raucher-Debatte wieder angekurbelt. Hier war der Auslöser der Tod des Journalisten Kurt Kuch, eines Aushängeschildes des österreichischen Qualitätsjournalismus, an Krebs. Sein Tod wird quasi instrumentalisiert, man könne den plötzlichen Konsens der Politik für ein komplettes Rauchverbot in Lokalen als scheinheilig bezeichnen - aber Kuch hätte es selbst so gewollt, unterstützte als Kettenraucher eine Anti-Raucher-Kampagne.

Auch hier reagiert die Politik erstaunlich schnell und einig auf ein tagesaktuelles Thema. Möglicherweise merkt sie ja, dass ernsthafte politische Bemühungen gut ankommen, anstatt den Stillstand zu verwalten.

Nebenbei hat es der Tweet einer Schülerin aus Deutschland in die Boulevard-Zeitungen geschafft. Die 17-jährige Naina postete "Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen." - die "Heute" ernannte sie dadurch zum "Star". Ihre Kritik ist nicht neu, aber berechtigt - und es würde mich in diesen Tagen nicht wundern, wenn dieses Thema als nächstes von der Tagespolitik aufgenommen werden würde.

Zusammengefasst: In letzter Zeit sind Österreichs Politiker extrem reaktiv. Dabei muss reaktiov allerdings nicht immer schlecht sein. Wenn die Wirte keinen Schaden davontragen, ist ein Rauchverbot eine sinnvolle Maßnahme. Der österreichische Einsatz für Menschenrechte sollte selbstverständlich sein, ist aber dennoch vorbildlich. Und vielleicht wird's auch bald was mit der Bildungsreform. Wer weiß.

Edit: Eine Minute nach Posten dieses Artikels kommt die Meldung rein, dass die JVP wegen diesem Tweet eine Schulreform fordert. Sag ich ja.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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