Jetzt ist es also so weit: Die in den 1980er-Jahren vom seinerzeitigen SPÖ-Parteichef Franz Vranitzky vorgegebene "Doktrin", niemals mit der FPÖ zu koalieren, wird über Bord geworfen. "Wieder einmal", kommentieren manche und beziehen sich auf die Chianti-Koalition 2004 in Kärnten. Andere halten Vranitzkys Leitlinie trotz ihrer Gegenerschaft zu der im Burgenland nun erwünschen Koalitionsvariante offenbar für nicht so wichtig und meinen mit Verweis auf die Kleine Koalition 1983-1986, eine rot-blaue Koalition sei nichts Neues. Aber: Ist dies tatsächlich vergleichbar?

Die sozialdemkratischen Granden der 1980er-Jahre haben mit Sicherheit nicht zufällig konsequent die Formulierung "niemals mit der Haider-FPÖ" verwendet. Schon seinerzeit, als gefühlte 99 Prozent der blauen Ungeheuerlichkeiten noch Zukunfsmusik waren, ließ man sich in der Löwelstraße die Option nicht nehmen, in einer Post-Haider-Ära eventuell wieder Koalitionen mit der FPÖ einzugehen. Zu eng war der Handlungsspielraum für die SPÖ, die nun der ÖVP quasi als einzig möglicher Partner die Treue schwören musste, vorausgesetzt man wollte in der Regierungsverantwortung bleiben. Denn: Die Grünen waren seinerzeit eine Vier-Prozent-Partei, die eigene Absolute war Schnee von gestern und sonst gab es schlicht keine Alternativen. Und einen Funken Hoffnung, dass die Haider-Ära in der FPÖ bloss eine vorübergehende Episode sei, gab es allemal. - Im Nachhinein sind wir natürlich heute schlauer.

Chianti andersrum

2004 handelte es sich tatsächlich um die Haider-FPÖ, die noch Franz Vranitzky gemeint hatte. - Jedoch wäre es unfair, die konkreten historischen Umstände außer Acht zu lassen. Jene FPÖ befand sich damals mit der ÖVP auf Bundesebene in einer Koalition. ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, der den Vorteil hatte, sich nicht an die sozialdemokratische Doktrin halten zu müssen, hatte die Blauen bereits "entzaubert" und in Kärnten als Juniorpartner mit dem siegreichen Haider ein Abkommen zu schließen (welches aufgrund der seinerzeit geltenden Rechtslage rein formaljuristisch nicht einmal eine tatsächliche Koalition war), schien für die rote Kärntner Landesorganisation zurecht als ein erheblich geringerer Tabubruch, als dies eine mögliche rot-blaue Koalition heute im Burgendland wäre.

Trotz dieser Argumente, war die Kritik an der blau-roten Koalition in Kärnten 2004 eine sehr heftige und führte schließlich auch zu dem nun so häufig zitierten Parteitagsbeschluss der SPÖ.

Die Steger-FPÖ

Gänzlich deplatziert sind die Vergleiche mit dem Kabinett Sinowatz 1983-1986:

1. Die FPÖ war damals eine Kleinpartei, knapp über der Einzugshürde vor vier Prozent. Heute klopft sie bundesweit an die Dreissig-Prozent-Marke. - Dem gegenüber stand die Sozialdemokratie, die unter Kreisky kurz davor noch die Absolute Mehrheit hatte, bloss knapp unter der Fünfzig-Prozent-Marke. Heute liegt die SPÖ um rund zwanzig Prozent tiefer (Tendenz sinkend) und befindet sich daher (noch!) auf völlig gleicher Augenhöhe mit den Blauen.

2. Kurz vor der Bildung der damailigen Kleinen Koalition wurde die FPÖ Vollmitglied der Liberalen Internationale. Die blaue Partei war drauf und dran, sich zu einer rechtsliberalen Kleinpartei zu entwickeln. Koalitionen zwischen sozialdemokratischen und rechtsliberalen Parteien waren und sind auch in anderen Staaten nichts außergewöhnliches. FPÖ-Chef Steger hatte mit den damaligen Jungen in der Partei die alten nationalen Recken und Ex-Nazis mit wenigen Ausnahmen entweder in die Bedeutungslosigkeit oder überhaupt aus der Partei gedrängt. Und 1983 schien der liberale Kurs der FPÖ noch solide in die vom "Attersee Kreis" geplante Richtung zu führen.

3. Ein sozialliberales Projekt konnte man "erste Reihe fußfrei" in den Jahren davor bei den deutschen Nachbarn beobachten. Schmidt - aber vielmehr noch Brandt - galten auch in der SPÖ als vorbildhafte Figuren. Und die europaweit und international fraglos als klassisch liberal anerkannte deutsche FDP war in den späten 1970er-Jahren und bis 1986 (spätestens aber 1992/93) tatsächlich die deutsche "Schwesterpartei" der FPÖ.

Ist Rot-Blau im Burgenland anders?

Völlig anders sieht es in Eisenstadt 2015 aus: Die Führung der dortigen SPÖ hatte es dem Vernehmen nach bereits seit Monaten auf eine Koalition mit den Freiheitlichen angelegt. Gilt die Vranitzky-Doktrin nicht mehr? Müsste, was für die Haider-FPÖ galt, nicht auch für die Strache-FPÖ gelten? Oder haben wir es hier ja mit der Tschürz-FPÖ zu tun und dies alles ist ohne Relevanz?

Nein. Der Parteitagsbeschluss der SPÖ, in dem jedwelche Koalition mit der FPÖ auf allen Ebenen ausgeschlossen wird, stammt zwar aus dem Jahr 2004. Haider war noch am Leben und man meinte die Haider-FPÖ, wenn man von den Blauen sprach. Trotzdem wurde dieser Beschluss gerade im Lichte der scharfen Kritik an der in demselben Jahr in Klagenfurt eingegangenen Chianti-Koalition getroffen.

Die FPÖ hat sich unter Parteiobmann Strache mit Sicherheit gegenüber der Ära Haider geändert. Es sind immerhin mehrere Jahre seither vergangen und Strache hat einen anderen Stil und andere Fähigkeiten als der Ausnahmepolitiker Haider. Doch hat sich die FPÖ unter Strache nun qualitativ so verändert, dass der Parteitagsbeschluss aus dem Jahr 2004 und die Vranitzkydoktrin aus der 1980er Jahren nicht mehr anwendbar wären? - Wohl kaum.

Die konkrete Kritik an der Haider-FPÖ zielte einerseits seit jeher auf den von den Blauen betriebenen Populismus ab, der bis zum heutigen Tag keinesfalls geringer geworden ist. Weitere, zentrale Punkte sind Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Minderheitenfeindlichkeit und die Gegnerschaft der FPÖ zur Europäischen Union. All diese Punkte sind unter Parteiobmann Strache mindestens ebenso bezeichnend für die Freiheitlichen, wie sie es unter Haider waren. In manchen Bereichen hat sich der Stil womöglich sogar verschärft. Ein drittes Thema war traditionell die mangelnde Abgrenzung der FPÖ und ihrer Funktionäre zum Nationalsozialismus und das im Dritten Lager traditionell verankerte Bekenntnis zur deutschen Nation. Das Verhältnis zum Nationalsozialismus ist insofern ambivalent, weil die verbale Distanzierung in der FPÖ eine wohl ebenso lange Geschichte hat, wie das permanente Durchscheinen rechtsnationaler Überzeugungen, die zum Teil an Wiederbetätigung grenzen (siehe Debatte über "Einzelfälle";). Allein beim "Bekenntnis" zur deutschen Nation ist eine tatsächliche Veränderung zu erkennen. Diese - überwiegend wohl auch biologisch bedingte - Entwicklung hat jedoch bereits in den 1990er-Jahren unter Jörg Haider eingesetzt, ist also auch nichts Neues.

Etwas völlig Neues ist hingegen die Koalition, die im Burgenland ausverhandelt werden soll: Wenn die SPÖ tatsächlich eine Koalitionsregierung mit der FPÖ eingeht, ohne etwa aus arithmetischen Gründen darauf alternativlos angewiesen zu sein und ohne "mildernde" Umstände wie damals zur Zeit der Chianti-Koalition, dann handelt es sich also tatsächlich und erstmalig um ein bewusstes, totales und unumkehrbares Verwerfen der "Vranitzky-Doktrin". Die Sozialdemkraten haben entschieden, dass ihnen die arithmetisch-strategischen Argumente (alternativ Partner zum Zweck des eigenen Machterhalts gegeneinander ausspielen zu können) ab sofort wichtiger sind, als die grundsätzliche geistig-moralische Gegnerschaft zum freiheitlichen Populismus mit seinen rechtsnationalen und rassistischen Auswüchsen.

Roter Wertewandel direkt vor den Nasen von Häupl und Faymann!

Und vor unser aller Augen.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

1 Kommentare

Mehr von StefanBichler