Volkshilfe Wien: Wirtschaftliche Zwänge als Argument für Sozialabbau

Das Volkshilfe Kleiderlager in Wien-Ottakring wird mit April aus wirtschaftlichen Gründen unerwartet zugesperrt. Zahlreiche Bedürftige verlieren einen sozialen Stützpunkt, fünf Mitarbeiterinnen ihren Job – Volkshilfe-Schirmfrau Margit Fischer will für sie nichts tun. Springt die Stadt Wien oder eine andere karitative Organisation ein? – Wir bedanken uns bei einem Team, das für viele Menschen im Grätzel Berührungspunkt war.

Ein kalter Vormittag in der Ottakringer Straße 178: Eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern klopft an die Glastür des Volkshilfe Kleiderlagers und bittet um warme Jacken für die Mädchen. Eine der Mitarbeiterinnen macht sich sofort auf die Suche nach den passenden Größen. Eine andere versucht mitfühlend die alleinerziehende Mutter zu beruhigen. Diese schämt sich offensichtlich, weil ihr gerade die finanziellen Mittel fehlen. Einige Meter weiter bedankt sich ein älterer Mann für die Unterstützung bei der Hosenauswahl. Bislang habe dies seine Frau gemacht. Sie sei vor kurzem verstorben. Neben den passenden Beinkleidern findet er auch Trost – die Mitarbeiterinnen von der Volkshilfe kennen seine Geschichte.

„Im Mittelpunkt der Mensch“ – so lautet der Slogan der Volkshilfe. Im Kleiderlager wird dieser gelebt. Vor acht Jahren wurde das einzigartige Projekt in der Ottakringer Straße vom Volkshilfe Verein gegründet. Aus der Initiative wurde bald eine Institution: Familien mit finanziellem Engpass, ältere Menschen, Menschen am Rande der Gesellschaft fanden hier nicht nur kostenlos Kleidung und Hausrat, sondern vor allem auch Kontakt und liebevolle Betreuung. Der soziale Stützpunkt sprach sich schnell herum, bald erbrachten neben fünf bezahlten Mitarbeiterinnen weitere elf rein Ehrenamtliche (zwischen 18 und 76 Jahren) hunderte unbezahlte Arbeitsstunden. Unter den engagierten Familien und Freunden wurden regelrecht „Sachspender-Netzwerke“ aufgebaut – von Wien über Niederösterreich bis ins Burgenland. Die Ehemänner und Kinder der Mitarbeiterinnen holten die Spenden oft privat ab und halfen bei den monatlichen, für jedermann zugänglichen Flohmärkten. Diese waren auf Eigeninitiative des Teams ins Leben gerufen worden. So wurde neben der direkten Hilfe für Arme Nachhaltigkeit im Sinne von „Weiterverwenden statt Verschwenden“ gelebt und extra Geld lukriert, das über die Volkshilfe-Organisation an Bedürftige verteilt wurde.

Jetzt wurde der Fluss des Herzbluts durch eine Entscheidung von oben jäh ins Stocken gebracht. Ende Jänner kam Walter Kiss, Geschäftsführer der Volkshilfe Wien, vorbei, um die Damen vor vollendete Tatsachen zu stellen: Ein vierköpfiges Gremium habe, ohne jemals persönlich vor Ort gewesen zu sein, beschlossen, das Kleiderlager aus betriebswirtschaftlichen Gründen ersatzlos zu schließen und die Mitarbeiterinnen (Alter 40+) mit Ende März bzw. April zu kündigen – also in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Die Ehrenamtlichen verlieren gleichzeitig ein sinnstiftendes Aufgabengebiet – und wahrscheinlich die Motivation, sich in Zukunft wieder selbstlos für das Gemeinwohl zu engagieren.

Anfang März: die Kleiderlager-Mitarbeiterinnen bemühen sich nach wie vor die wohlsortierten Waren ansprechend zu präsentieren. Derzeit ist das Geschäft zweimal pro Woche für den „Abverkauf“ für alle geöffnet. Die Stimmung ist nicht fröhlich wie sonst, sondern wahrnehmbar gedrückt: Zu vielen Menschen mussten die Damen schon die traurige Nachricht vermitteln. Die meisten Kunden reagieren geschockt und verständnislos. Sie verlieren nicht nur eine Möglichkeit, ausgesucht schöne Kleidung günstig zu erstehen, sondern vor allem auch einen wertvollen Ort der Begegnung. In einer Kaffeepause erinnern sich die Mitarbeiterinnen wehmütig an die Zeit zurück, als die Volkshilfe-Organisation das Kleiderlager stolz als eigenständiges Projekt Margit Fischer, Schirmfrau der Volkshilfe für die Aktivitäten im Bereich der Armutsbekämpfung, präsentiert hatte. Die persönliche Begegnung mit der Bundespräsidenten-Gattin, die im Rahmen eines Presse-Fototermins vorbeikam, war für sie Bestätigung und Motivation.

Heute wird auf Anfrage von dieser Seite lediglich Überraschung und Bedauern zum Ausdruck gebracht. Bereits getroffene Entscheidungen könnten nicht mehr beeinflusst werden, heißt es aus dem Büro Fischer. Man habe bei der Volkshilfe nochmals nachgefragt, das Kostenargument müsse akzeptiert werden. Die Kostenrecherche ergab, dass das 169 m² große Geschäftslokal Nachmietern nun um monatlich 1.451 Euro netto angeboten wird. Zur Miete kommen die Kosten für die Angestellten: zwei waren Teilzeit (20 Stunden), drei geringfügig beschäftigt. Alle fünf Betroffenen sind Frauen im Alter von 40+. Angeblich wäre auch eine Renovierung des Geschäfts notwendig gewesen, so ein weiteres Argument – das für die Mitarbeiterinnen allerdings eine zusätzliche Neuigkeit war.

Die Anregung, das Engagement des Kleiderlager-Teams zumindest mittels eines Dankschreiben zu würdigen, wurde von Frau Fischer abgelehnt. Die Begründung scheint politisch: wenn sie dies für die Damen vom Volkshilfe Kleiderlager machen würde, müsste sie dies auch für andere tun.

Sachspendenannahme und Kleiderausgabe werden nun von den bestehenden Volkshilfe Shops übernommen, die als Langzeitarbeitslosen-Wiedereinstiegsprojekt beworben werden. Das heißt, der Großteil der Mitarbeiterinnen wird hier vom AMS bezahlt und bleibt maximal neun Monate lang. Anders also als beim Kleiderlager, das vor allem für Qualitäten wie Beständigkeit, Erfahrung und gewachsene Beziehungen stand.

Stellt sich die Frage, ob es noch Alternativen gibt, das soziale Netzwerk zu bewahren. Springt die Stadt Wien, der Bezirk oder ein andere karitative Organisation ein? Alle sind hiermit aufgerufen, Ideen einzubringen. Ein persönliches Bild kann sich jede und jeder noch im Laufe des März machen: konkret Dienstag und Donnerstag von 10 bis 17 Uhr. Am Samstag, den 28. März, gibt es ab 9 Uhr einen abschließenden Flohmarkt. Adresse: Ottakringer Straße 178, 1160 Wien.

Wir bedanken uns herzlich für das vorbildliche Wirken des Kleiderlager-Teams und hoffen auf eine gute Lösung in der Zukunft, Nina Kreuzinger und Christina Svensson.

Weitere Infos:

http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20111122_OTS0143/margit-fischer-besucht-kleiderlager-der-volkshilfe-wien-bild

http://www.volkshilfe-wien.at/kleiderlager

http://www.volkshilfe-wien.at/press_archiv?iD=74

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