Kaum waren die ersten Meldungen zu den Terroranschlägen in Brüssel in der Welt, setzte die übliche mediale Reaktion ein:

In den Redaktionen suchte man Live-Material, „Footage“, um die Geschichte möglichst vor den Kollegen der Konkurrenz zu bringen, möglichst eindrucksvoller, möglichst näher am Geschehen.

Man suchte Augenzeugen, am besten noch verängstigt, am besten noch verstaubt, vielleicht blutverschmiert. Umgehend wurde der Terror verschlagwortet, in Überschriften gepresst, mit Hashtags und Annahmen versehen, damit der Leser keine Sekunde verpassen möge. Selbstverständlich immer die „Informationspflicht“ im Auge, der sachlich nie gedient wäre. Was informiert den Medienkonsumenten schon besser darüber, dass Europa vom IS-Terror heimgesucht wird, als weinende Angehörige und Bilder von schreienden und weinenden Menschen, die aus einem qualmenden Zug entkommen.

Und so gab es sekündliche Berichterstattung von BILD über Focus, der SZ über die Tagesschau. „Mittendrin statt nur dabei“, das Motto der Nachrichtenagenturen, Zeitungen, Social-Media-Ableger diverser Medien. Alles im Sinne der verstörten europäischen Wertegemeinschaft, versteht sich.

Ein paar kleine Auszüge aus der Informationsflut, die selbstverständlich nur das Anliegen hatte, zu informieren:

BILD

Die Facebookseite der BILD titelt, nach der ersten Meldung um 08.27 Uhr und den darauf folgenden Updates über die Zahl der Toten und die Tatsache, dass es sich um einen Anschlag handelte, noch 37 Mal über den Terror. U. a. so:

„Anschlag! Menschen fliehen aus dem Flughafen Brüssel.“ 10.25 Uhr. Natürlich mit Handyvideo, das der Welt fliehende Menschen zeigt.

Dann, neben ein paar Bildern die blutverschmierte Menschen zeigen, äußert die BILD die ersten Vermutungen. Wenn man es schon nicht zuerst wusste, hat man es doch wenigstens zuerst vermutet:

„Bomben in Brüssel! War es die Rache für die Terror-Razzia?“ 12.07 Uhr. Auch hier wieder ein Bild mit fliehenden Menschen.

Dann das Versprechen: „Live. Alle Infos zu den Anschlägen in Brüssel“ um 12.50 Uhr.

Schließlich, für die BILD-Redaktion muss das ein Grund gewesen zu sein, aufzuatmen: „Anschläge auf U-Bahn in Brüssel! Ein Video zeigt dramatische Szenen im Tunnel“ um 13.16 Uhr. Endlich die ersehnten Bilder schreiender Menschen.

Um 15.29 das nächste Video mit dem

„Chaos nach der schweren Explosion in der Abfertigungshalle…“ Und noch mehr „Live“-Updates und Augenzeugenberichte. Und immer wieder Videos vom Tatort.

Selbstverständlich nicht fehlen durften Mutmaßungen darüber, wie wahrscheinlich ein Anschlag in Deutschland ist. Live-Gespräche mit „Experten“ inklusive.

„Gänsehautmomente: Menschen singen gegen den Terror“ zwischen Posts vom Schlage „Was ist denn mit Zauberlehrling Ron Weasley aus Harry Potter passiert“ und „Liebe ist…“. Hier treffen sich die relevanten Themen.

Schließlich, die Hemmungen fallen, wenn alle anderen auch Bilder und Videos bringen, um 21.30 die Nachricht:

„Der ehemalige belgische Basketball-Profi Sébastien Bellin (37) war am Flughafen Brüssel, als die Bomben explodierten. Er wurde schwer verletzt. Sein Zustand ist kritisch.“ Darunter ein Bild vom Basketballer beim Spiel links, und rechts liegend in einer Blutlache.

Schließlich, bei BILD immer zu finden: Fotos der Opfer.

SZ

Was man von der BILD nicht anders kennt, war gestern, wie auch nach den Anschlägen in Paris, bei den Kollegen nicht anders. Beim Kampf um Klickzahlen, Aufmerksamkeit, Auflage scheint wenig heilig:

Die SZ bietet, nach der ersten kurzen Meldung um 8.32 ab 9.05 lieber gleich einen Live-Ticker an, für die, die ihren Terror sekündlich brauchen: „Alle Entwicklungen zu den Explosionen am Brüssler Flughafen in unserem Live-Ticker“.

Auch hier darf der „Augenzeuge“ nicht fehlen: „Glassplitter sind über meinen Kopf geflogen,“ erzählt ein Augenzeuge um 13.52 Uhr.

Die restlichen Posts:

Bilder verrauchter Straßen und auf der Straße liegender Menschen, vermummter und bewaffneter Polizisten, und schließlich der

„Live-Blog“, der selbstverständlich ebenfalls mit Erklärungen zur Ursache aufwartet. Das alles zwischen Grünen Smoothies und Netflix, Schwangerschaft und Dubai-Urlaubsbildern. Man kann der SZ wohl zugutehalten, dass sie sich gespart hat, Live-Videos und Menschen in Blutlachen für „relevante Informationen“ zu halten. Sie bringt es zwischen gestern Morgen und heute Nachmittag auf 25 Posts zwischen Panikmache und Voyeurismus.

Tagesschau

Den Berichterstattungs-Niveau-Limbo gewonnen hat jedoch gestern haushoch die Tagesschau mit ihrem Online-Programm. Nicht, weil sie schäbiger berichtet hätte, als die BILD (kaum machbar), sondern weil sie beinahe auf demselben Niveau berichtet hat, wie die BILD. Für ein seriöses, öffentlich-rechtliches Medium ein Armutszeugnis.

Um 8.48 Uhr ging die erste Meldung raus.

Was selbst BILD nicht gelang: Umgehend mit Ankündigung eines

„Live-Blogs“: „Am Flughafen in Brüssel hat es Explosionen gegeben. Es gibt Berichte über mehrere Verletzte. Der Flughafen wurde gesperrt. Alle aktuellen Entwicklungen gibt es in unserem Liveblog:“

Dann geht es Schlag auf Schlag, Video um Video, Bild um Bild:

„Unkommentierte Eindrücke vom Flughafen Brüssel…(Video)“, 9.01 Uhr

Für Stunden Video über Video inklusive großflächiger „Live-Blog-Ankündigung“ mit ARD-Logo.

Um 9.45 schließlich hatte man seinen Vor-Ort-Mann parat und trompetete laut: „“Ein schlimmer Tag“ twittert unser ARD-Korrespondent Christian Feld aus Brüssel. Die tagesschau berichtet in einer Sondersendung LIVE über die Explosionen in der belgischen Hauptstadt“

LIVE groß. Die Wichtigkeit, dem Leser zu vermitteln, wie informationsrelevant das Vor-Ort-Feeling sei, wurde hier großgeschrieben, im wahrsten Sinne des Wortes.

Es folgen „Bilder der Zerstörung“, „Was wir bislang über die Anschläge wissen“ (das erste Mal knapp 90 Minuten nach den ersten Explosionen, als wohl selbst die Polizei vor Ort, die Betroffenen, die Angehörigen kaum viel dazu sagen konnten).

Ganz besonders bezaubernd an „Live-Blog“ und Ticker war wohl der Toten-Counter, der hemmungslos im (ca.)30-Minuten-Takt Auskunft über die Zahl der Toten lieferte, auf dass der „wissbegierige“ Zuschauer keine Leiche verpassen möge.

„Bei den Anschlägen in Brüssel sind mindestens 26 Menschen getötet worden. Bei einer Explosion in der Metro kamen 15 Menschen ums Leben. Am Flughafen starben elf Menschen. (Stand: 12.20 Uhr)“

Für die Eiligen gab es Videos mit 90-Sekunden-Zusammenfassungen in Bild und Ton um 12.43 Uhr. Dann, (so weh es mir im Herzen tut) ein Zeichen des absoluten Mangels an Selbstwahrnehmung: „Der Facebook-Post von AfD-Politikerin Beatrix von Storch zum Terror in Brüssel sorgt für Empörung im Netz“ Ja, der Post war einer von Storch würdig, schäbig, niveaulos, unangemessen. Dies zwischen der eigenen, fragwürdigen Berichterstattung noch während niemand Genaues wusste anzubringen? Reichlich bigott.

Und um 15.47 Uhr schließlich eine Animation, falls einer immer noch nicht so genau wusste, wo genau Bomben hochgegangen waren und vom furzwarmen Sofa aus Details für Empathie und Mitgefühl brauchte:

„Unsere Animation zeigt die Orte der Terroranschläge in ‪#Brüssel“.

Dann gab es gute Tipps, nicht beherzigt von der Tagesschauredaktion für Social-Media selbst: „“An so einem schwarzen Tag ist es nötig, die Ruhe zu bewahren und Solidarität zu zeigen.“ So die Reaktion des belgischen Premierministers Michel auf die Anschläge in Brüssel.“

Dieser feine Tipp war die Überschrift über einem Video, dass ohne Anklicken Nothelfer bei der Arbeit zeigt, nach Klick dann schließlich beginnt mit fliehenden Menschen und 2 Minuten 29 Sekunden lang Panikbilder fabriziert, die schließlich mit der Rückansicht Trauernder und dem ARD – Logo enden.

So schaffte es die Tagesschau auf 46! Posts zum Thema. Das Einzige, was man ihr zugutehalten kann ist wohl, sich die grünen Smoothies und Promi-News verkniffen zu haben.

Den Höhepunkt jedoch erreichte die Tagesschau gestern kurz vor ihrer Nachrichten-Hauptsendung:

Die „Börse vor Acht“ konnte nämlich aufatmen. Der Börse und dem Dax ginge es, trotz der Anschläge, schon wieder besser. Wenn das nicht erleichtert, was dann?

Warum die Zusammenfassung im Detail?

Gegenfrage: Wie verroht muss eine Medienlandschaft aber auch die breite Leser- und Zuschauerschaft sein, wenn ohne große Kritik Konsens an einer derartigen Berichterstattung besteht? Was hat das noch mit Interesse an Nachrichten zu tun? Was genau mit Empathie?

Zeigt sich hier nicht eher eine kollektive Sensationsgier, die immer härtere Bilder braucht, um überhaupt noch berührt zu werden?

Wir beobachten hier das Äquivalent zu Schaulustigen auf der Autobahn, die gaffen und gleichzeitig den Kopf schütteln: „Hoffentlich kann man helfen. Die Armen.“ Und doch heimlich nur froh ist, nicht selber betroffen zu sein beim Zappen von Terrorbildern zur Abendunterhaltung, beides konsumiert während des Abendessens.

Und wen trifft unsere Empathie, wen nicht? Wo ist sie bei Terroranschlägen in der Türkei? Angesichts des Terrors, vor dem so viele fliehen? Inwieweit ist unsere Anteilnahme noch eine Frage dessen, was uns berührt und nicht dessen, was wir vorgesetzt bekommen, damit es uns berührt?

Der Blick der Presse verengt sich, je nachdem, welches Thema sich gerade verkauft, und der Blick ihrer Leser verengt sich mit ihr.

Warum aber berührt uns nur noch, was im Fokus der Presse stattfindet? Und nur dann, wenn es möglichst plakativ passiert?

Wie ich schon nach den Attentaten in Paris schrieb:

Das Recht auf freie Presse ist elementar und unabdingbar für eine Demokratie. Es sollte aber auch auf einem Verantwortungsgefühl basieren, auf dem Wissen um die Macht der eigenen Worte und Bilder, dem Wissen, dass die tägliche Berichterstattung die Wahrnehmung der Bevölkerung prägt, die ihr ausgesetzt ist. … Eine verantwortungsvolle Presse versteht die Notwendigkeit, möglichst sachlich und emotionslos Fakten zu präsentieren. Und dies möglichst breitgefächert.

Bilder blutender Opfer, trauernder Angehöriger gehören nicht zur „Informationspflicht“ sondern sind Resultat einer tiefen Abgestumpftheit der Gesellschaft, aber auch ihrer Medienmacher.

Die Presse spielt hier noch eine fatale zweite Rolle, denn die Berichterstattung über die Terroranschläge, die den Täter in den Fokus rücken, nicht die Opfer, reizt nicht selten junge Menschen, wenigstens in dieser Form an Bedeutung zu gewinnen, wie fragwürdig diese auch immer sei. Aus „Get rich or die trying“ ist dieser Tage für junge Leute „get famous or die trying“ geworden.

In einer Gesellschaft, die der normal arbeitenden Bevölkerung im besten Falle Mindestlohn und Bedeutungslosigkeit zukommen lässt, die Individualismus verspricht und doch permanent mit Austauschbarkeit droht, scheint das Streben nach Aufmerksamkeit und Ruhm das Maß aller Dinge zu sein.

Je größer also der mediale Wirbel um die Täter, desto größer die Wahrscheinlichkeit, Nachahmer heranzuzüchten.

Denn die so verbreiteten Bilder, die Panik und Angst, das Entsetzen, die Wirkung der Bilder auf Europa, gelten dem IS als Werbung. Es ist die Form der Aufmerksamkeit, die er mit seinen YouTube – Videos bei potenziellem Nachwuchs erreichen will. Der IS will spalten, will Hass säen, Europa entzweien, will Krieg, den „Clash of Cultures“. Die Terroristen haben erreicht was sie wollten, wenn Angst und Panikmache uns bestimmen. Denen geht es nicht um die Anzahl der Toten. Denen geht es darum, mit Angst Demokratie und Freiheit zu zerstören. Die Toten sind nur Mittel zum Zweck.

Auch dank der Form der Berichterstattung muss man sagen: Ein Erfolg auf ganzer Linie. Die Spaltung Europas geht voran. Die Rechten gehen gestärkt aus der Debatte hervor, obwohl sie den Ideen des IS in die Hände spielen, wenn sie Grenzen schließen und Menschen zurück in die Arme derer treiben wollen, die Rekruten für ihren Krieg brauchen und diese vor allem in Hoffnungs- und Perspektivlosen finden. Innerhalb wie außerhalb Europas.

Da dieser Beitrag der medialen Aufbereitung gilt, empfehle ich als ergänzende Lektüre zu Ursachen und Konsequenzen aus dem Terror „Terror in Brüssel: Der Dritte Weltkrieg und wer ihn führt“

Was also tun?

Wie ich es auch beim letzten Mal schrieb:

Eine Deckelung solcher Meldungen wäre wünschenswert. Eine radikale Anonymisierung der Täter, wenn die Masse auch noch so sehr nach boulevardesken Hintergründen über den „Bösewicht“ schreit.

Bei Suiziden besteht bereits ein solcher medialer Konsens. Die Presse hat gelernt, dass intensives Berichten über Selbsttötungen nicht selten Nachahmer zur Folge hat. Für Attentäter und Attentate gilt dies mindestens in gleichem Maße.

Zumindest der Ehrgeiz von Menschen ohne Perspektive die nach Bedeutung lechzen, die davon träumen der größte, bedeutendste Massenmörder der Geschichte zu werden, „Großes“ zu vollbringen wäre gemindert, wenn die Presse sich auf Sachlichkeit und minimale Berichterstattung einigen würde, sich in der Berichterstattung selbst auf die Opfer konzentrieren und die Täter mit Schweigen strafen würde.

Allerdings verkauft sich das nicht halb so gut.

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