In der Türkei findet seit einiger Zeit eine interessante demographische Entwicklung statt. Die Fruchtbarkeitsrate in der Türkei ist seit Jahrzehnten rückläufig und lag 2016 bei 2.1 Kindern pro Frau. Damit liegt sie zwar höher als in vielen europäischen Ländern, jedoch nur noch gerade so an der Grenze der Reproduktion der Bevölkerung.

Das Interessante dabei ist, daß dieser Prozeß sehr ungleich verteilt ist. Man kann die Türkei hierbei in drei Teile zerteilen: Die Westtürkei, Zentralanatolien und den südöstlichen Teil.

Die Westtürkei ist heute die Hochburg der sozialdemokratisch-nationalistischen CHP („Republikanische Volkspartei“), die einst von Atatürk gegründet wurde und sich bis heute an seinem Denken orientiert. Sie wird vor allem von säkularen Türken unterstützt und dominiert die Provinzen und Großstädte Izmir, Eskişehir, Edirne oder Aydın. Die Fertilitätsrate in diesen Regionen liegen auf europäischem Niveau, und damit gehören zu den niedrigsten des ganzen Landes. 2016 wurden in in Izmir 1.68 Kinder pro Frau geboren, in Edirne bei 1.48. Im südwestlichen Muğla und im nordwestlichen Tekirdağ lag die Zahl bei 1.73 bzw. 1.93. Beispielhaft und symptomatisch für diese Region.

Zentralanatolien, mit seinen konservativen und religiöseren Provinzen, ist das Zentrum von Erdogans AKP. Konya, Kayseri, şivas oder Yozgat sind seine Hochburgen. Doch im angestammten Kernland des türkischen Präsidenten liegt die Fruchtbarkeitsrate unter dem Niveau, welches er sich wünscht, allerdings immer noch höher als in der säkulareren Westtürkei: Konya 2.17, Kayseri 2.13, şivas und Yozgat befinden sich sogar knapp unter der 2.1 Marke.

Jetzt kommt der entscheidende Teil: Je weiter man nach Osten und geht, desto tendenziell höher ist die Fruchtbarkeitsrate. Allerdings verändert sich nicht nur die Furchtbarkeitsrate, sondern auch die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung: Richtung Osten nimmt der Anteil an Kurden zu, im Südosten stellen sie in vielen Provinzen die Mehrheit.

Die inoffizielle Hauptstadt von Türkisch-Kurdistan ist Diyarbakır, die Fertilitätsrate in der gleichnamigen Provinz lag 2016 bei 3.12. Andere mehrheitlich kurdische Provinzen, wie zB. Van an der iranischen Grenze: 3.18. Oder die an Syrien angrenzenden Provinzen Mardın, Şanlıurfa, Siirt: 3.23, 4.33 und 3.46.

Aktuell hat die Türkei 79 Mio. Einwohner, die genaue Prozentzahl der Kurden kann derzeit nur geschätzt werden, man geht von 15% - 20% Kurden in der Türkei aus (Unter dieser Bezeichnung werden aber auch Angehörige der "Zaza" gezählt, die eine mit dem kurdischen verwandte Sprache sprechen.).

Das Ergebnis dieser Entwicklung ist klar: Eine sukzessiv stattfindende Kurdisierung der Türkei. Dies hat man auch in Ankara registriert. Im Mai 2010 warnte Erdogan vor einem Desaster im Jahr 2038 und vor einer Überalterung der Bevölkerung.

Die Auswirkungen dieser Entwicklung können im Zeitalter des Massendemokratismus verheerend sein. Eine ethnisch-religiös gemischte Bevölkerung birgt in einer Demokratie ein großes Risiko. So gut wie alle modernen Demokratien tendieren zur Staatsausweitung: Mehr Regulierung, mehr Bürokratie, mehr Mittel, mehr Macht. Dadurch wächst die Begehrlichkeit, Einfluß im Staat zu gewinnen, was wiederum die verschiedenen Gruppen dazu verleitet, um den Zugang zu dieser Institution zu kämpfen. Je größer die "eigene" Masse, desto mehr Macht und Einfluß gewinnt man. Das hat fatale Anreize, denn nun beginnt sich Genozid politisch auszuzahlen.

Diese Anreize könnten auch hinter Erdogans Kurswechsel seit 2015 stehen, als der Friedensprozeß mit der PKK beendet wurde und das türkische Militär brachiale Angriffe auf kurdische Städte und Dörfer ausführte und zigtausende Menschen vertrieben wurden.

Ein Beispiel aus der Vergangenheit für diese verheerenden Anreize ist der Libanon: Die Einwanderung sunnitischer Palästinenser, die das religiöse Gleichgewicht des Landes störten, war einer der wesentlichen Gründe für den Ausbruchs des Bürgerkriegs von 1975-1990. Bis heute haben die geschätzt 300.000 Palästinenser nur eingeschränkte Rechte.

Wie die Entwicklung weitergehen wird, wird sich weisen. Feststeht, daß der Anteil der Kurden in der Türkei steigt, während der der Türken fällt, dies wird zweifellos zu Konflikten führen. Jedoch ist die langfristige Entwicklung der Fertilitätsrate von vielen Faktoren abhängig, deswegen ist ihre Zukunft ungewiss.

Quelle: Turkish Statistical Institute Turkstat

www.turkstat.gov.tr

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