Der Trojanische Krieg war alles in allem nicht so gelaufen, wie sich die Griechen dies vorgestellt hatten. Vor allem Odysseus, von dem der Plan mit dem Schwein stammte, war von dessen Mißlingen bitter enttäuscht.

Seine Pechsträhne war damit allerdings noch nicht beendet. Sein Heimweg gestaltete sich ein wenig ausführlicher, als nach Lage der Dinge und Orte notwendig gewesen wäre.

An und für sich ist der Seeweg von Troja bis zur Insel Ithaka, wo Odysseus zuhause war, keine große Geschichte. Von Troja aus fährst du stur geradeaus nach Westen, bis du auf Griechenland stößt. Dort biegst du scharf links ab und folgst einfach der Küstenlinie um Griechenland herum. Irgendwann kommst du so zwangsläufig nach Ithaka.

Odysseus, der nicht dumm war, hatte genau das vor. Er segelte bei prächtigem Wetter los, der Wind blies in die richtige Richtung und genau so stark, wie es der Seemann liebt.

Manchmal aber ist es so: Du erwischt einfach nicht den richtigen Tag! Du reist am falschen Tag ab und die ganze lange Reise bleibt von Grund auf vermurkst.

So ging es Odysseus.

Am Mittag wurde der Wind stärker, drehte sich am frühen Nachmittag und brachte schwarze Wolken mit. Gerade als das Schiff sich in einer Bucht in Sicherheit bringen wollte, brach der Sturm los. Das Boot wurde von den Wellen erfaßt und hochgeworfen, fallengelassen und wieder emporgeschleudert. Bald schon war das Segel zerfetzt, der Mast gebrochen und das Schiff nicht mehr als ein hilflos treibender Korken auf einem wildbewegten Wasser.

Zwei Tage wütete der Sturm, ehe er sich ausgetobt hatte. Unbewegt und blau lag das Meer und tat, als sei nie etwas gewesen. Als die schwer Gebeutelten am Horizont Land auftauchen sahen, ruderten sie mit letzter Kraft darauf zu.

Es war eine unbekannte Küste, an der sie gestrandet waren. War es eine Insel, war es Festland? Gab es Bewohner? Und wenn, wer waren sie? Mochten sie gefährlich sein oder waren sie freundlich?

Die Fragen wurden ihnen rasch beantwortet. Das Schmettern einer Posaune, der Wirbel einer Trommel, und dann teilte sich das Gebüsch. Heraus kam eine Gruppe kostbar gekleideter Leute geschritten. Kein Popel, was da kam, sondern das Gefolge eines Fürsten.

Der Fürst, erkennbar an der besonderen Pracht der Kleidung, war eine Frau, erkennbar an... an dem üblichen eben.

Es war eine Frau von so betörender Schönheit, wie sie die Götter nur selten einer Sterblichen verleihen.

"Seid gegrüßt", sagte die Fürstin. "Willkommen auf meiner Insel. Ich bin Kirke, von der Ihr sicher schon gehört habt."

Odysseus hatte nicht, besaß aber ausreichend Geistesgegenwart und Chuzpe, es dennoch zu behaupten. "Wer, teure Fürstin", brabbelte der routinierte Schmeichler, "wer hätte noch nicht von Euch und Eurer Insel gehört? Wie aber", so fuhr Odysseus fort, "kommt es, daß Ihr mit festlichem Gefolge zur Stelle seid, kaum, daß unsere Füße den Sand Eurer Insel berührt haben?"

"Ihr seid mir angekündigt worden."

"Von wem?"

Kirke breitete in unbestimmter Geste ihre wohlgeformten Arme aus, und ein bezauberndes Lachen perlte von ihren Lippen. Als sie jedoch die Griechen zum Essen einlud, war der Hunger größer als ihre Neugier.

"Vor dem Essen", sprach Kirke, "könnt Ihr Euch dort an der Quelle frisch machen."

Die Seefahrer, stinkend wie die Wiesel, sprangen begeistert in das Wasser der Quelle und...

Was war das?

Im Wasser des Teiches standen große, dicke, rosafarbene...

Kirke lachte, als die Männer des Odysseus sich als Schweine erkannten.

"Ja, Jungs", meinte sie, "so ist das Leben. Ich habe euch zum Essen eingeladen und ihr werdet dran teilnehmen - als Hauptgericht!"

Die böse Zauberin Kirke freute sich über ihren gelungenen Spaß.

Bis sie den Mann zwischen all den Schweinen sah. Einen großen, dicken, rosafarbenen Mann mit schwarzem Hut.

"Wie kann das sein?" stammelte sie verwirrt. "Alle seid ihr in meiner Zauberquelle gewesen, aber nur fast alle sind in Schweine verwandelt."

Dann sprach sie einen der entsetzlichsten Sätze, welche die menschliche Sprache kennt: "Ich glaube, ich werde allmählich alt."

Eine Weile versank sie in Depression, hob dann aber die zaubermächtige Hand und sprach den Gegenfluch. Und siehe, es hatten sich die Schweine des Odysseus wieder in griechische Seeleute und Kriegsmannen verwandelt - bis auf eines, welches ein Schwein geblieben war.

Kirke wurde erst bleich, dann rot. "Ich glaub's nicht!" flüsterte sie beklommen und brüllte dann: "Jetzt will ich's aber wissen!"

Und wieder hob sie ihre Hand, machte Brickle-Brick und aus den Griechen waren Schweine geworden. Bis auf einen, der Grieche geblieben war.

Erst Wutanfall, dann Gegenfluch, dann standen neunzehn Griechen vor ihr - und ein Schwein. So ging das noch eine Weile dahin, mit Fluch und Gegenfluch und Griech' zu Schwein und Schwein zu Griech' - und immer blieb einer aus dem Haufen die verfluchte Ausnahme.

Schließlich brach die stolze Fürstin und fürchterliche Zauberin Kirke entnervt zusammen. "Packt euch!" flüsterte sie im Hinsinken. "Packt euch hinfort! Gräßliches griechisches Gesindel!"

Odysseus und seine Mannen liefen zu ihrem Boot und ruderten davon, so schnell sie nur konnten. Lange noch konnten sie das Wehgeschrei der verzweifelten Kirke über das Wasser hinweg hören.

Draußen erst, weit draußen auf dem offenen Meer blickte Odysseus zurück zu der Insel, auf der sie alle fast den Tod gefunden hätten. "Ich versteh nicht, warum sich die Frau so aufregt", sagte er. "Wenn sie den Schweinefluch spricht, dann verwandelt sie damit zwar Menschen in Schweine, logischerweise aber umgekehrt auch Schweine in Menschen. Oder?"

Ebros Pirkäos, das große, dicke, rosafarbene Schwein mit schwarzem Hut, lächelte. "Vielleicht wird sie ja wirklich allmählich alt."

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