In einem Blog hat mal einer geschrieben: "Bei 'guten' Alt-Griechisch-Lehrern lernt man eben nicht nur die Sprache, sondern ggf auch die Verhältnisse zu Zeiten der Klassiker kennen."

Das stimmt wahrscheinlich, Wir haben jedenfalls damals im Lateinunterricht eine ganze Menge über Rom und auch Griechenland gelernt, mehr als im Geschichtsunterricht. Wir haben ab er auch - und das ist jetzt allerdings eine Schande - im Deutschunterricht weit mehr über den Hitler-Faschismus gelernt als im Fach Geschichte.

Eine zeitlang hatten wir eine gewisse Frau Buchner als Lateinlehrerin,eine äußerst beeindruckende junge Frau. Also, damals war sie jung, heute ist sie, wie damals schon, noch älter als ich. Diese Frau Buchner hat eines Tages ihren Mann, einen Archäologen, in den Unterricht geschleppt, der hat uns dann eine Menge faszinierender Dinge erklärt. Ich glaube, das war der Edmund Buchner, der dann später das solarium augusti auf dem campus martius (teil)ausgegraben und rekonstruiert hat. Ach, teilweise war der Lateinunterricht eine wirklich hochinteressante Sache, obwohl ich die Sprache nie richtig gelernt und heute schon fast wieder vergessen habe.

Ich war aber auch auf einem Elitegymnasium, dem Gymnasium Pfarrkirchen, mitten in der tiefsten niederbayerischen Provinz. Von diesem Gymnasium hieß es damals, es sei eine Art Straflager, aufsässige Lehrer oder Lehrer mit einem Knick in der Biographie seien seinerzeit dorthin strafversetzt worden (bei der Frau Buchner kann ich mir das allerdings nicht vorstellen, sie war aber damals auch erst Referendarin).

Wie auch immer, die meisten Lehrer habe ich in bester Erinnerung, auch wenn (oder gerade weil) sie die eine oder andere Macke hatten. Ein letzter Hauch von "Feuerzangenbowle" ist damals so grade noch durch die Flure geschwebt. Als dann die pädagogischen Reformen kamen, hatte ich gottlob mein Abitur schon.

Ein Mitschüler ist während der Deutschstunde - wir nahmen grade irgend ein Theaterstück durch - dabei erwischt worden, wie er - in der hintersten Reihe sitzend - ein Buch gelesen hat. Drauf hingewiesen meinte er, er kenne das im Unterricht zu behandelnde Stück schon, er lese grade ein anderes Stück eines Klassikers. Er bot der Lehrerin ein Geschäft an: Er verhalte sich völlig unauffällig, störe den Unterricht nicht, dafür solle sie ihm erlauben, sein Stück weiter zu lesen. Die Lehrerin ließ sich tatsächlich auf diesen Deal ein. Wie gesagt, ein Elite-Gymnasium mit ungewöhnlichen Lehrern.

Es wird allgemein beklagt, heutige Schüler und Studenten stünden unter einem enormen Leistungsdruck, dem sie kaum gewachsen seien. Wenn das stimmt, dann müßten heutige Kinder deutlich mehr wissen als wir damals, wo es an der Schule doch eher lax zuging.

Merkwürdigerweise wird aber (von denselben Leuten) gleichzeitig beklagt, die heutigen jungen Menschen wüßten und könnten bedauerlich wenig, angehende Germanisten etwa, die ein haarsträubendes Deutsch schrieben, Rechtschreib- und Grammatikfehler, vom guten Schreibstil ganz zu schweigen.

Ich sehe da einen Zusammenhang.

"Ich glaube, daß einige der größten Geister, die je gelebt haben, nicht halb so viel gelesen haben und bei weitem nicht so viel wußten, als manche unserer mittelmäßigen Gelehrten. Und mancher unserer mittelmäßigen Gelehrten hätte ein größerer Mann werden können, wenn er nicht so viel gelesen hätte." (Georg Christoph Lichtenberg)

Eine Generation früher, in den sechziger, siebziger Jahren las ich von Theologiestudenten, denen der Name Moses nichts sagte. Die fröhlich gelebte und gepflegte Ignoranz, scheint mir, kam nicht vor zwanzig Jahren in die Welt, sie ist möglicherweise eine universelle Naturkonstante, seit Anbeginn der Zeiten.

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