Impfgegner gegen die Aufklärung oder: Clades romantica

Das Romantische, meinte, und seine Hand stiftet immer noch Segen, Goethe, sei das Kranke, und wie krank das Kranke sich geriert, kann man daran erkennen, wie es mit Krankheiten und ihrer Heilung umgeht.

Um 1800 setzte sich auch in Europa eine Methode durch, mit der man die Pocken, die eine der häufigsten Todesursachen der Epoche waren (allein in Preußen starben im Jahr 1796 über 24000 Menschen an den Pocken), endlich wirksam bekämpfen konnte. Der englische Arzt Edward Jenner entdeckte, dass die Einimpfung der Kuhpocken Menschen vor den Pocken schützte und begann mit regelmäßigen Behandlungen in einer 1799 errichteten Impfanstalt in London, rasch verbreitete sich auch in anderen europäischen Staaten das Wissen über die Wirksamkeit dieser Mtehode. Bayern, zu dieser Zeit einer der fortschrittlichsten deutschen Staaten (Montgelas – wir verneigen uns), erließ bereits 1807 ein Gesetz, das die Zwangsimpfung vorschrieb. Erleichtert vermeldet 100 Jahre später Meyers Konversationslexikon: „Seitdem hat sich die Schutzpockenimpfung immer mehr als eine der segensreichsten Wohltaten für das ganze Menschengeschlecht erwiesen. Die Schrecken immer wiederholter Pockenseuchen, die früher die Völker dezimierten, sind seit der Ausbreitung der Impfung aus den Kulturstaaten Europas verschwunden“, verschweigt aber auch nicht, dass es „zahlreiche Impfgegner“ gebe, vor allem aus „Laienkreisen, vorwiegend unter den sogen. Naturheilkundigen, Homöopathen, in den Reihen des politischen und religiösen Radikalismus“, weswegen der Impfzwang unter den Nationalsozialisten auch ausgesetzt wurde.

Um auf die Romantik zurückzukommen, so ist einer ihrer bekanntesten Autoren der preußische Musiker, Jurist und Schriftsteller E.T.A. Hoffmann. Seine Werke gehören immer noch zum Kanon, wer in Nordrhein-Westfalen Abitur machen will, muss seine Erzählung „Der Sandmann“ gelesen haben, in der sich ein halluzinierender junger Mann erst in eine Puppe verliebt und am Ende seine Verlobte umbringen will. Diesen Stoff hat Jacques Offenbach in seiner Oper „Les Contes d‘Hoffmann“ verarbeitet, in der eine der bekanntesten Arien vom „Klein-Zach“ handelt, der Hauptfigur eines Märchens von Hoffmann, „Klein Zaches genannt Zinnober“. In diesem Text möchte der Fürst Paphnutius in seinem Fürstentum die Aufklärung einführen, also „Kartoffeln anbauen, die Dorfschulen verbessern, Akazien und Pappeln anpflanzen, die Jugend ihr Morgen- und Abendlied zweistimmig absingen, Chausseen anlegen und die Kuhpocken einimpfen lassen“, doch dafür sei es, so rät ihm sein zum Minister aufgestiegener Kammerdiener, „nötig, alle Leute von gefährlichen Gesinnungen, die keiner Vernunft Gehör geben und das Volk durch lauter Albernheiten verführen, aus dem Staate zu verbannen.“ Das seien aber keine Menschen, wie Andres ausführt, sondern Fabelwesen: „Sie haben Tausendundeine Nacht gelesen, bester Fürst (...) Aus jenem völlig konfusen Buche werden Sie, gnädigster Herr, wohl die sogenannten Feen kennen, gewiß aber nicht ahnen, daß sich verschiedene von diesen gefährlichen Personen in Ihrem eignen lieben Lande hier ganz in der Nähe Ihres Palastes angesiedelt haben und allerlei Unfug treiben. (…) Sie treiben ein gefährliches Gewerbe mit dem Wunderbaren und scheuen sich nicht, unter dem Namen Poesie ein heimliches Gift zu verbreiten, das die Leute ganz unfähig macht zum Dienste in der Aufklärung. (…) Darum, gnädigster Herr, - sowie die Aufklärung angekündigt wird, fort mit den Feen!“ Es herrscht in der Philologie eine gewisse Einigkeit darüber, dass es sich bei dem Märchen um eine Satire gegen den Fortschrittsoptimismus der Aufklärung handele. Wenn das der Fall ist, so kam sie 1819 etwas spät, denn das Landschulwesen verbesserte bereits Friedrich II. und seit 1816 hatte auch Preußen ein Impfgesetz. Es wird, wie so viele Romantiker, der E.T.A. Hoffmann einfach ein Nörgler (heute würde man ihn vielleicht einen „konformistischen Rebellen“ nennen) gewesen sein, der, nicht zu Unrecht, davor Angst hatte, dass mit dem Fortschritt auch die Privilegien seiner Doppelrolle als preußischer Beamter und romantischer Frondeur verschwinden könnten. Oder er hat sich, besoffen, wie er meistens war (das Literaturlexikon von Killy nennt seinen Alkoholismus euphemistisch „Punschvergnügen“), einfach für eine der Feen gehalten, deren „Poesie“ er auf der Abschussliste der Aufklärung stehen sah.

Das Impfen, dies sei eingeräumt, ging nicht ohne Rückschläge vor sich. Als in Eisenach trotz der Impfungen einige Opfer der Pocken zu beklagen waren, sagte Goethe am 19.2. 1831, wie Eckermann überliefert, zum Hofrat Vogel: „Dennoch aber bin ich dafür, daß man von dem strengen Gebot der Impfung auch ferner nicht abgehe, indem solche kleinen Ausnahmen gegen die unübersehbaren Wohlthaten des Gesetzes gar nicht in Betracht kommen.“

Goethe sollte, wie mit seiner Einschätzung der Romantik, Recht behalten.

Die Pocken sind längst Geschichte.

Impfgegner, warum auch immer, nicht.

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Manfred Breitenberger

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Spinnchen

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