Nein, macht er natürlich nicht. Aber wenn, dann würde er vielleicht einige Werke von den Autoren empfehlen, die er ins Deutsche übersetzt oder anderweitig gefördert hat, wofür man ihm nur dankbar sein kann.

So hat er beispielsweise einige Romane von Emmanuel Bove (1898 – 1945) übersetzt, einem Romancier, der kurz nach seinem Tod vergessen wurde und erst ab den 1970er Jahren in Frankreich und dann – mit der entsprechenden Verzögerung – auch in Deutschland wiederentdeckt wurde. Bove, der sich weigerte, seine Romane im von Deutschen besetzten Frankreich zu veröffentlichen, schreibt in einem auf den ersten Blick nüchternen Stil über meist melancholische Helden, deren Situation durch beiläufig erzählte Details deutlich wird. Als Einstieg in sein Werk kann man „Meine Freunde“ nehmen, den Erstling von 1924, der ihn berühmt machte und den Handke übersetzte. Über die Atmosphäre im Frankreich der Kollaboration schreibt Bove in „Die Falle“, einem seiner letzten Romane., aber bislang habe ich nichts von ihm gelesen, das ich nicht ohne zu zögern empfehlen würde.

Gleiches gilt für Patrick Modiano (*1945, wenige Tage nach Boves Tod), den Literaturnobelpreisträger von 2014. In fast jedem seiner Romane befasst sich sein Erzähler mit einer Vergangenheit, an die er sich zu erinnern versucht, die immer wieder in Bruchstücken in die Gegenwart hineinragt, die uneindeutig ist und zweifelhaft. Gerade aber in dieser Uneindeutigkeit zeigt sich die Kunst von Modiano, der es in seinen späten Werken versteht, die Handlung zwischen den Vergangenheit und Gegenwart gleichsam schweben zu lassen. Ich bin dem Autor verfallen, seit 1987 im Aufbau-Verlag der von Handke übersetzte Roman „Eine Jugend“ erschien.

Eine Ausnahmestellung in Modianos Werk stellt „Dora Bruder“ dar, das Ergebnis seiner Recherche über ein Mädchen, das mit 16 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Wer erfahren will, wie zerstörerisch das deutsche Menschheitsverbrechen sich auf ein einzelnes Leben ausgewirkt hat, lese diesen Text. Ich befürchte, in Zeiten, in denen faschistische Knallköpfe sich gegen die Benennung von Kindergärten nach Anne Frank bzw. für „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ aussprechen , ist er aktueller denn je.

Kommen wir nun zu Wolfgang Welt (1952-2016), für dessen Buch „Ich schrieb mich verrückt“, eine Sammlung von Musikkritiken und anderen journalistischen Arbeiten, Handke ein Vorwort schrieb. In diesen Kritiken zeigt sich Welt als Autor von eminentem Witz, den man nicht allein dafür loben sollte, dass er schon früh erkannte, was für eine verlogene Gestalt der nationalistische Troubadour HR Kunze ist, sondern auch dafür, wie beharrlich er seinen Lieblingen (z.B. Philip Goodhand-Tait) anhängt und es schafft, seine Leser für sie zu begeistern.

Sein Hauptwerk aber stellen die autobiographischen Romane dar (von „Peggy Sue“ bis zum Fragment „Die Pannschüppe“), in denen nicht nur sein Leben als Mitarbeiter von „Sounds“ und „Marabo“, sondern auch seine schwere Erkrankung thematisiert wird. Gerne wird geschrieben, diese Romane lieferten ein Bild vom Alltagsleben im Ruhrgebiet, es ist aber gerade die einzigartige Kunst Welts, dieser ebenso atemlose wie sprachlich-exakte Stil, der es fertigbringt, dass man nie mehr durch Bochum gehen kann, ohne es, gleichsam verzaubert, mit den Augen Welts zu sehen.

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