Die Deutschen sind ja schnell dabei, anderen Nationen Nachhilfe in Sachen Demokratie zu geben. Da wird schon mal deutlich gemacht, was die Ungarn oder Polen und erst recht die Türken so tun oder besser lassen sollten. Auch gegenüber den USA ist man da nicht zimperlich. Am deutschen Wesen...

Aber wie sieht es eigentlich im deutschen Lande selber aus? Ist da alles bestens in Sachen Demokratie? Misslich, dass mit der AfD nun eine Partei aufgetaucht ist, man kann zu ihr stehen wie man will, die das Demokratieverständnis der Regierenden auf den Prüfstand stellt. Zumal diese Partei den etablierten einige Stimmen abspenstig macht. Da sind dann schon mal Abstriche an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gestattet, so scheint es.

So gab es den guten Brauch, dass nach jeder Bundestagswahl der Älteste der gewählten Bundestagsabgeordneten als Alterspräsident die erste Sitzung des Bundestages eröffnete. Bislang hat sich niemand daran gestört. Auch nicht, als im Jahr 1994 Stefan Heym für die Linke, damals noch unter Partei des demokratischen Sozialismus - PDS firmierend, in diese Rolle schlüpfen durfte. 2017 freilich ist das anders. Es droht nicht nur die Gefahr, dass die AfD in den Bundestag einzieht, nein, die Chancen standen nicht schlecht, dass ein AfD-Abgeordneter Alterspräsident des neuen Bundestages werden würde. Da musste flugs reagiert werden. Und so wurde unter Führung von Bundestagspräsident Norbert Lammert, der sich nur zu gern als Intellektueller und Wahrer der Demokratie präsentiert, woran man in beiderlei Hinsicht durchaus Zweifel hegen kann, die Geschäftsordnung in diesem Punkt geändert. Künftig ist nicht mehr der älteste Abgeordnete, sondern der dienstälteste Abgeordnete Alterspräsident. Ätsch! Da bleiben die von der AfD nun auf jeden Fall für mehrere Legislaturperioden außen vor. Was für ein grandioser Sieg der Demokratie!

Auch über Nichtwähler freuen sich CDU & Co plötzlich. Das klang doch noch vor kurzem ganz anders. Doch nun hat Kanzleramtsminister Altmaier die Deutschen ultimativ aufgefordert: Bleibt lieber zu Hause, wenn ihr mit dem Gedanken spielt AfD zu wählen. Geht dann lieber nicht wählen. Macht es Euch auf dem Sofa bequem, das ist keine Schande. Denn wichtig sei es, allein die "staatstragenden Parteien" zu wählen. Merkwürdig, dass ein Kanzleramtsminister, der in seiner Funktion doch zu einer gewissen politischen Neutralität verpflichtet ist, solche "Empfehlungen" ausspricht.

Aber auch wenn diese Aufforderung nicht fruchten sollte, ist das Kind noch lange nicht in den Brunnen gefallen. Dann wird halt "nachgebessert", so wie z. B. im Jahr 2014 in Halle an der Saale. Das Wahlergebnis war dort in einem Wahllokal nun gar nicht nach dem Geschmack des dortigen Wahlvorstandes. So hat er einfach etwas nachgebessert. Für die Linke wurden 100 Stimmen zusätzlich gemeldet, auch wenn diese gar nicht abgegeben wurden und die 42 für die AfD abgegebenen Stimmen wurden einfach ersatzlos gestrichen. Wenn das dumme Volk nicht richtig wählt, muss eben korrigiert werden. Ein rüstiger Rentner, Wahlhelfer in besagtem Wahllokal, bemerkte dies und monierte das Vorgehen. Die Staatsanwaltschaft hat das nicht interessiert. Erst als der Wahlhelfer weiter insistierte, nahm sie fast drei Jahre nach der Wahl eher widerwillig Ermittlungen auf.

Eine Aussage, ob der fleißige Wahlzettelverbesserer auch bei der Bundestagswahl am Sonntag wieder zum Einsatz kommt, wurde von der Stadt Halle übrigens verweigert. Man kann daher wohl davon ausgehen, dass dieser wackere Wahlzettelfriseur, auch am Sonntag wieder im Einsatz ist, zum Wohle der Demokratie und für das Gute versteht sich. Gut, dass die OSZE den Einsatz von Wahlbeobachtern bei der Bundestagswahl angekündigt hat. Eine Handvoll zwar nur, aber besser als nichts. Mir scheint, das ist auch dringend nötig, in unserer (Wahl)Scheindemokratie.

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