Davutoglu- Nachfolge: Die AKP frisst ihre Kinder

Der türkische Premier Ahmet Davutoglu wird wohl beim nächsten AKP-Parteikongress am 22.Mai sein Amt niederlegen. Die Hintergründe zu dem Bruch mit seiner Partei erlauben auch einen kleinen Ausblick auf das, was kommt.

Die Akte

Ein Wordpress account mit dem Namen „the Pelican Brief“ (benannt nach einem Thriller von John Grisham) gilt als Auslöser für den Rücktritt von Davutoglu. Der Betreiber sieht sich als Mitglied der "Reisciler" , was sich in etwas mit „diejenigen, die dem Führer folgen“ übersetzen lässt. In seinem langen und von unzähligen Web 2.0-Accounts aus dem Umfeld von Erdogan geteilten Text wurden Davutoglus Machenschaften lange und ausgiebig kritisiert, Davutoglu und dessen Berater sollen sich obendrein gegen das Präsidialsystem gestemmt haben. Obwohl sichtlich gekränkt, gab es versöhnliche Töne von Davutoglu. Bei seinem Abschiedsgespräch beschrieb er Erdogan als langjährigen Freund und Weggefährten. Dies wurde ganz unterschiedlich gedeutet. Manche Oppositionelle meinen Davutoglu habe Angst, von den Erdogan nahestehenden Medien gelyncht zu werden; andere, vor allem jene im Umfeld des türkischen Präsidenten, vermuten dahinter taktisches Kalkül, Davutoglu wolle seine weitere Politikkarriere vermarkten.

Die 3 B's

Die Nachfolge ist noch ungewiss, in den türkischen Medien kursieren drei Kandidaten, oft als die 3 Bs bezeichnet (aufgrund des gleichen Anfangsbuchstabens ihrer Vornamen).

Der amtierende Außenminister und langjährige Erdogan-Vertraute Binali Yildirim galt als erster Favorit für den Posten. Allerdings litt sein Ansehen, als sein Sohn vor kurzem beim Glücksspielen in Singapur fotographiert wurde. Die AKP wittert, wie so oft, dahinter eine Verschwörung. Der zweite Kandidat,Berat Albayrak, ist Erdogans Schwiegersohn und ehemaliger CEO der Calik Holding, einer der bedeutendsten Konzerne der Türkei. Albayrak ist jung, kommt aus einer der bekanntesten Familien des Landes und gilt als neuer Prinz des politischen Islam in der Türkei. Sein Bruder ist der CEO der großen Turkuvaz Mediengruppe, die ihn entsprechend in ihren TV-Sendern und Magazinen pusht.Allerdings hat auch er mit einem Skandal zu kämpfen, da die Calik Holding in den Panama Leaks Papers auftaucht. Zudem bietet die allzu nahe Verwandschaft mit Erdogan Oppositionellen eine größere Angriffsfläche. Der dritte Kandidat ist ist Bekir Bozdag. Er ist seit dem Korruptionsskandal 2013 Innenminister und wird oft als "Erdogans Pitbull" bezeichnet, zumal er als Innenminister ein Paket mit allerhand autoritären Gesetzesmaßnamen durchgesetzt hat: So kann die Vermummung bei Demonstrationen nun zu drei bis fünfjährigen Haftstrafen führen. Zum jetzigen Zeitpunkt dürfte Binali Yildirim die wahrscheinlichste Option sein.

Auf den Weg zum Präsidialsystem

Wer von den drei Bs letztlich das Rennen macht, ist letztlich aber weniger entscheidend als viele in- und außerhalb der Türkei denken. Der AKP Parlamentarier und ehemaliger Erdogan Berater Aydin Ümit brachte es auf den Punkt: Das System mit einem starken Premier und einem starken Präsidenten ist gescheitert, weswegen der Nachfolger von Davutoglu in jedem Fall farblos sein wird. Als Platzhalter wird er vorraussichtlich primär dazu dienen, das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem zu ermöglichen. Erdogan plant selbst ein Referendum in dieser Sache.

Die großen Gefahren für Erdogan

Erdogans Position ist allerdings weniger abgesichert, als man meinen mag.

Zum einen könnte das Zerwürfnis mit Davutoglu zu einem AKP-Schisma führen. Der bestehende parteiinterne Streit könnte sich verstärken und die ehemaligen Parteigründer dazu veranlassen, eine neue Bewegung ins Leben zu rufen. Dem türkischen Meinungsforscher Faruk Acar zufolge gibt es momentan eine große Anzahl von Leuten innerhalb der Partei, die mit Erdogans Führungsstil unzufrieden sind, aber dennoch schweigen. Ob Davutoglu, der niemals ein besonders charistmatischer Leader war, diese Unzufriedenen organisieren kann, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt allerdings fraglich.

Die zweite Gefahr für Erdogan ist die MHP-Abgeordnete Meral Aksener, die neue Hoffnung vieler türkischer Nationalisten. Falls sie die Parteiführung der rechtsextremen MHP erringen sollte, droht der AKP ein Stimmverlust. Diese Gefahr wurde von der AKP und regierungsnahen Medien erkannt, weswegen dem amtierenden Vorsitzenden der Nationalisten, Devlet Bahceli, viel mediale Aufmerksamkeit zukommt (vor der Wahl hatte er sich noch über zu wenig Sendezeit beschwert). Der zuvor als strammer AKP- und Erdogankritiker geltende Bahceli schließt mittlerweile sogar eine Zusammenarbeit mit der Regierung nicht mehr aus. Insofern könnte es auch bei der MHP zu einer Trennung kommen.

Das Rätselraten hinsichtlich der Davutoglu-Nachfolge gibt zwar einen spannenden Einblick in Erdogans engsten Kreis – für den weiteren Weg der Türkei und den die Zukunft Erdogans sind die reale Möglichkeit einer Spaltung der AKP und eines Erstarkens der MHP von ungleich größerer Bedeutung.

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