Die Herrin der Binse und ihr futurologischer Kongress

Ich weiß leider nicht, wer das aktuelle Corporate Design der CDU geschaffen hat, aber es muss eine Agentur mit sublimem Humor gewesen sein. Die Kernaussagen der Partei, die auf den Titelblättern von Erklärungen und Beschlüssen prangen, stehen stets in einer fetten Sprechblase. In solche Sprechblasen schreibt die Kanzlerin ihre Binsenweisheiten, für die sie mittlerweile eine geradezu wikipedieske Quelle ist. Keine der Aussagen ist falsch, nicht einmal kontrovers. Es sind ausschließlich Binsen, Gemeinplätze, die mit Textbausteinen zusammengebunden sind. Versatzstücke aus der Was-jeder-weiß-Rubrik, mit denen uns Frau Merkel seit Jahren abspeist.

Deutschland stärken, Europa voranbringen, Chancen nutzen, Gesetze anwenden (jetzt aber konsequent, wirklich!), handlungsfähig bleiben, Wachstum stabilisieren, auf Steuererhöhungen verzichten, mit Schulden Schluss machen, Infrastruktur erneuern, Digitalisierung vorantreiben, Datenschutz verbessern, Wettbewerb stärken, … Wäsche waschen, Kinder machen, Plätzchen backen und einmal volltanken bitte.

Merkels Binsen deklamieren privatwirtschaftliche Selbstverständlichkeiten und Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft als Erfolge ihres Regierungshandelns, während staatliche Defizite und Regierungsversagen zu „Chancen der Allgemeinheit“ erklärt werden. Das ganze wird sprachlich so vermischt, dass es dem ungeübten Beobachter schwer fällt, das Phrasenknäul auf Substanz zu überprüfen. Man verliert den Faden ebenso leicht, wie man ihn in die Finger bekommt – und das soll auch so sein.

Am 9. Januar 2016 ging die Klausurtagung des CDU-Bundesvorstandes in Mainz mit einer Pressekonferenz zu ende, bei der Gastgeberin Klöckner und Chefin Merkel gemeinsam vor die Presse traten. Klausurtagung, das klingt nach Krisensitzung und dringender Beschlusslage und nach Konklave. Ort und Zeitpunkt sehen wichtig und aktuell aus, waren es aber angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg nicht. Wie heiß die Nadel war, mit der die offiziellen Abschlussdokumente gestrickt wurden, zeigt sich in der unterschiedlichen Gewichtung, die die aktuelle Sicherheitslage in der Kurzfassung (nur Stichpunkte, für die Deppen) und der kompletten „Mainzer Erklärung“ (für das wahlkämpfende Personal) hinterlassen hat. In der Kurzfassung steht an prominenter erster Stelle der Wunsch, Flüchtlingszahlen zu reduzieren, in der Langfassung ist anfangs von der „guten Zukunft Deutschlands“ die Rede.

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Oops, She Did It Again!

Aus der Mainzer Erklärung: „Wir wollen Flüchtlingszahlen reduzieren und die Zuwanderung nach Deutschland ordnen und steuern. Abgelehnte Asylbewerber sollen zügig in ihre Heimat zurückkehren. Wer bleibt, muss die Angebote zur Integration annehmen.“ „[Wir wollen]…die Migration ordnen, insbesondere die Außengrenzen schützen und den Schleusern das Handwerk legen“. „Wie bitte?“ wird der verdutze Leser ausrufen, „hat Frau Merkel nicht erst vor kurzem erklärt, dass weder das eine noch das andere möglich sei?".

Wir haben heute wieder mal eine blitzsaubere „Merkel-Halse“ erlebt, bei der wie beim Segeln in voller Fahrt der Kurs gewechselt wird. Binnen Sekunden liegen die Segel in die andere Richtung. Der erfahrene Skipper kennt natürlich die Gefahren. Besonders Unaufmerksamkeit kann dazu führen, dass der Baum des Großsegels beim Umschlagen im Weg stehende Crew-Mitglieder von Bord kegelt. Da Frau Merkel aber selbst die letzte war, die dem Umschlagen des Baumes im Weg stand, besteht keine Gefahr. Unbeabsichtigt erklärte Frau Klöckner heute, wie ihre Parteichefin seit Jahren politisch Halse auf Halse fährt: Klöckner über die SPD-Landesregierung in Rheinland-Pfalz: „Die SPD-Regierung sperrt sich erst gegen Vorschläge der CDU um sie dann unter Druck doch umzusetzen und als die eigenen zu verkaufen.“ Man muss der Kanzlerin zu ihrer Selbstbeherrschung gratulieren! Ich an ihrer Stelle hätte nach diesem Satz laut losgelacht, angesichts des Regierungsstils der letzten Jahre, angesichts Atomausstieg, Energiewende, Klima- und Einwanderungspolitik. CDU-Politik ist für Merkel gleichbedeutend mit Rückenwind. Wer ganz genau hinschaute, konnte über Merkels Kopf aber die Sprechblase sehen in der stand ‚Halt die Klappe, Julia! Du redest mich um Kopf und Kragen!‘

Am Schluss der Mainzer Erklärung heißt es: „Die CDU arbeitet weiter für eine gute Zukunft unseres Landes; diesem Auftrag fühlen wir uns verpflichtet; hierfür wollen wir Verantwortung übernehmen.“ Wer so explizit Verantwortung für die Zukunft übernimmt, lehnt Verantwortung für die Gegenwart ab und weigert sich, Konsequenzen aus den eigenen Fehlern der Vergangenheit zu ziehen. Das kann man auch aus der Schlusserklärung herauslesen, wenn man nach der Häufigkeit einiger simpler Schlüsselworte sucht: „Zukunft“ elf mal, „Gegenwart“, „Vergangenheit“ oder gar „Fehler“ – Null mal.

Abschließend ein Literaturtipp, gewissermaßen als Basislektüre zur Politik Angela Merkels: Stanislav Lem, „Der futurologische Kongress“.

Zuerst veröffentlicht auf www.achgut.com

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