Gerade hatte ich noch die Feder in der Hand, um mit einer gefühlten Armee von Gleichgesinnten gegen den Verlust der Meinungsfreiheit anzuschreiben, den Herr Maas eingeleitet hat, da ruft Frau Merkel bei „Brigitte“: „Schaut da, ein Vög’lein!“ und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wandte sich flugs einem anderen Thema zu. Wer von dieser Volte Angela Merkels wirklich überrascht war, muss die letzten zwölf Jahre in einer Marskolonie verbracht haben. Alle anderen wissen längst, dass es keine Position gibt, für die sie wirklich steht, keine Meinung, die sich nicht ändern könnte, keinen Verrat, zu dem sie nicht fähig wäre. Die Ablenkung war jedenfalls perfekt!

Wo Kohl noch echte Schatten warf, hantiert die ewige Kanzlerin seit Jahren geschickt mit den Schatten der Aufmerksamkeit, um wichtige Themen zu verdecken, die sich dadurch störungsfreier in Gesetze gießen lassen. „Ehe für alle“ ist ein Thema, das es in der öffentlichen Wahrnehmung scheinbar innerhalb von nur wenigen Tagen geschafft hat, von einer frisch gezogenen „Roten Linie“ der Grünen und der FDP zum Wahlprogramm der SPD und nun auch zum unfreiwilligen Last-Minute-Regierungsprogramm der Merkelpartei zu werden.

Etwas mehr als eine Woche, Donnerwetter! Woher die plötzliche Dringlichkeit? Ganz einfach, es ging um die Aufrechterhaltung der ewigen Kanzlerinnenmehrheit auch in der Zukunft. Jede Position, die einer möglichen späteren Koalition im Weg stehen könnte, wird umgehend geräumt. Merkels persönlicher Albtraum ist leider genau das, was sie der Bevölkerung seit Jahren als Normalzustand zu verkaufen versucht: die politische Alternativlosigkeit. Um dies zu vermeiden, hat Merkel weite Teile ihrer eigenen Partei geopfert, obwohl sie damit ihre eigene Meinung zum Thema ebenfalls verriet.

Es gibt Themen, bei denen sich nur langsam und über Generationen Haltungen ändern. Beides ist normal, sowohl die Änderung an sich, als auch die Widerstände, die den Wandel verhindern möchten. Der Umgang der Gesellschaft mit Schwulen und Lesben hat sich über viele Jahre hinweg immer positiver und offener entwickelt, auch in konservativen Kreisen. Aber da gab es diesen einen „Gral“, den die Konservativen in den Händen hielten, den sie nicht hergeben wollten, auch wenn er längst Risse hatte, nicht mehr so goldig und verheißend glänzt wie vor 100 Jahren und als Wanderpokal auf Zeit verliehen wird: Die Ehe.

„Zivilehe“ gab es vor der französischen Revolution noch gar nicht

„Fortschrittlichkeit“ ist stets etwas, das sich politische Bewegungen als Eigenlob und Orden anheften. Betrachtet man „Fortschritt“ jedoch aus der Distanz der Geschichte, wird klar, dass er oft auf konservativen, vermeintlich „rückschrittlichen“ Entscheidungen von damals fußt. Hätte sich beispielsweise die „fortschrittliche“ 68er Bewegung stärker durchgesetzt, könnte sich heute vielleicht kaum noch jemand an den Begriff „Ehe“ erinnern und wir hätten statt der „Ehe für alle“ längst die „Ehe für niemanden“. Stattdessen hätte sich vielleicht die Idee von Olympe de Gouges durchgesetzt, die 1791 eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ veröffentlichte und Forderungen nach der völligen zivilrechtlichen und politischen Gleichstellung der Frau stellte.

Die Ehe als Institution sah sie als überholt an und forderte stattdessen, einen Sozialvertrag an ihre Stelle zu setzen. Es kam bekanntlich anders, der „Fortschritt“ wählte den Weg, die „spießige Ehe“ beizubehalten und gleichzeitig gleichgeschlechtliche Beziehungen nach und nach rechtlich ebenso abzusichern wie die Ehe. Einige Punkte fehlen noch, sicher. Aber anstatt Punkte wie etwa das Adoptionsrecht direkt ins Auge zu fassen, entschied man sich dafür, einen Begriff zu okkupieren, weil dieser nicht hinlänglich präzise definiert war. In Artikel 6 des Grundgesetzes heißt es nämlich nur lapidar: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Kam denn niemand der Autoren auf die Idee, den Begriff „Ehe“ näher zu definieren? Aber ja, dort wo er herkommt, war der Begriff stets klar definiert. Nämlich in der Religion.

Wir reden aber heute von der „Zivilehe“, einer Einrichtung, die es vor der französischen Revolution noch gar nicht gab. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts, der Aufklärung und der Zurückdrängung des Einflusses des Klerus aus dem Alltag der Bürger, übernahm der Staat die Verpflichtung, Personenregister zu führen und das, was früher ein religiöses Sakrament war, auf zivilrechtliche Füße zu stellen. Wer aber wen warum heiratete, blieb lange Zeit common sense, niemand dachte daran, dies zu präzisieren. Das ist heute das Dilemma der Konservativen, die zur Argumentation nicht im Zivilrecht, sondern in der Bibel blättern müssen, was ihrer Verweigerungshaltung etwas rührend Vergebliches gibt.

Andererseits verdanken die fortschrittlichen Jubelchöre ihren vermeintlichen Erfolg, den vermeintlich letzten Gral der tatsächlichen Gleichheit endlich in den Händen zu halten, der Tatsache, dass frühere Konservative ihn gegen die Feministen, Hippies und 68er verteidigt haben. Die vielgescholtene Ehe ist nun also wieder etwas frisches, zeitgeistiges; und während zahlreiche Hetero-Paare sich lieber für ein Zusammenleben ohne Trauschein entscheiden und dafür alle finanziellen Nachteile in Kauf nehmen, wird in der Gay-Community endlich geheiratet, was aus Schwulen und Lesben gewissermaßen die Konservativen von heute macht.

Der Blätterwald überschlägt sich vor Freude

Sei`s drum, mir egal. Ich habe eigentlich keine Haltung zu diesem Thema und das muss ich auch nicht. Das Argument allerdings, man nehme niemandem etwas weg, gebe aber einigen etwas, greift meiner Meinung nach zu kurz. Setzt sich dies als Argument durch, sind auch juristische Baustellen ähnlicher Art denkbar. Besonders dann, wenn man ein weiteres Argument der Befürworter betrachtet. „Ehe für alle“ bedeute ja nicht, dass ein Papagei einen Toaster heiraten könne, das gehe nur zwischen Erwachsenen, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte seien.

Betrachtet man diese Argumente, hat man vielleicht noch keinen Grund, vor der Legalisierung der Kinderehe zu zittern. Anders sähe das mit den Mauern aus, die heute noch die Vielehe verhindern. Was nehmen ein Mann und drei Frauen denn anderen Menschen weg, wenn sie sich freiwillig für eine Ehe zu viert entscheiden? Die klammheimliche Loslösung der Definition des Ehebegriffes aus der religiösen Tradition wird in die Beliebigkeit entsorgt, von hier ist also keine Hilfe mehr zu erwarten. Was bleibt, sind in der Frage der Vielehe die Errungenschaften des Feminismus, die ich allerdings in Zeiten des hemmungslosen Kulturrelativismus für ebenfalls extrem gefährdet halte.

Heute wurde abgestimmt. Das Tempo war atemberaubend, nachdem besonders SPD und CDU/CSU jahrelang auf der Bremse standen und das Thema fast gänzlich aus der Tagespolitik verschwunden war: Sitzungseröffnung, Tagesordnungspunkt hinzufügen, 40 Minuten Redezeit, abstimmen, fertig. In nicht einmal einer Stunde war die Sache erledigt. Der Blätterwald überschlägt sich vor Freude, „Spiegel Online“ malt sogar sein „O“ in Regenbogenfarben an. Nicht einmal Trump schafft es heute, den SPON-Leser derart zu fesseln.

Und ähnlich wie der Strolch aus dem Weißen Haus selbstredend allein gegen eine fortschrittliche Welt steht, stoßen unbelehrbare Konservative auf völliges Unverständnis, wenn sie voller Verzweiflung um die Häuser rennen und ihre Vorsitzende an bindende Parteitagsbeschlüsse oder Urteile des Verfassungsgerichts gemahnen, die sie doch nicht so ohne weiteres in den Wind schlagen könne. Doch, sie kann. So wie sie das schon immer konnte. Rettungspakete, Migration, Atomausstieg, PKW-Maut…nun also die „Ehe für alle“, ein weiteres Thema, das Angela Merkel aus einer ihr fremden Agenda herausreißt, seiner Kontextualität entkleidet um es der Reihe von „Projekten“ hinzuzufügen, die tot und ausgestopft hinter ihr an der Wand hängen.

Ich wage es nicht zu beurteilen, ob der Beschluss des Bundestages zur „Ehe für alle“ heute gut oder schlecht war. Doch was auch immer zutrifft, er war es aus den falschen Gründen und überstrahlte dabei so ganz nebenbei die Abstimmung zum NetzDG, dass man leider nicht dafür feiern kann, 5 Prozent der Bevölkerung etwas zu geben, sondern dafür hätte verdammen müssen, dass es 100 Prozent der Bevölkerung etwas wegnimmt. Das Fazit dieses epochalen Sitzungstages im Bundestag lautet denn auch „Ehe für alle, aber Meinungsfreiheit für niemanden“. Ich erlaube mir, den Korken vorerst in der Sektflasche zu lassen.

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