Deeyah Khan, Jahrgang 1977, heute Filmemacherin, floh im Alter von 17 Jahren aus Norwegen. Der Grund: massive Bedrohungen von islamistischer Seite. Und niemanden hat es interessiert.

"Was viele nicht verstehen: Von uns gibt es so viele. Wir wachsen in Europa auf und dürfen uns nicht frei entfalten. Uns ist nicht erlaubt, zu sein, was wir sind. Wir dürfen nicht frei wählen, wen wir heiraten, mit wem wir eine Beziehung eingehen oder was wir beruflich machen. Und diese Unfreiheit ist die Norm unter Muslimen in Europa. Selbst in den freisten Gesellschaften der Welt sind wir nicht frei. Unsere Leben, unsere Träume, unsere Zukunft gehören nicht uns, sondern unseren Eltern und deren Community. Ich habe unzählige junge Menschen getroffen, die für uns alle verloren, ja unsichtbar sind. Aber sie leiden darunter, und sie leiden alleine. Kinder, die wir an Zwangsheiraten verlieren, an Gewalt aufgrund von "Ehre" und Missbrauch."

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Deeyah Khan einen sehr interessanten Ted Talk gehalten. Thema sinngemäß: Was wir über die Lebenssituation von muslimischen Kindern in Europa nicht wissen (wollen) - aber wissen sollten.

Sie kam nicht freiwillig zu diesem Thema, sondern aufgrund eigener Verfolgungserfahrung mitten in Europa. Nachdem ihr Vater sie früh auf eine Musikkarriere trimmte, machte sie als junge Musikerin früh negative Erfahrung. Von zwei Seiten: Da waren zum Einen Rassisten, die einem kleinen Mädchen ungehemmt in aller Öffentlichkeit ins Gesicht spuckten - und niemand der umstehenden norwegischen Zeugen griff ein. Da waren zum Anderen, kurz später, die Leute aus der eigenen Community, die meinten, dass Musizieren für ein Mädchen tabu sei - oder gleich alle Musik Sünde. Und auch dafür interessierte sich niemand.

Im Alter von 17 Jahren ist klar, dass sie in Norwegen keinen Schutz findet vor all den Todesdrohungen von islamistischer Seite. Sie flieht von Norwegen nach UK, London. Kurz später entschied sie sich für die USA, zu unsicher auch London.

Deeyah Khan hat sich dann jahrelang mit dem von uns oft ignorierten Leiden muslimischer Kinder befasst. Und den Entschluss gefasst, nicht mehr zu schweigen: Denn es ist das Schweigen, das einen entscheidenden Beitrag dazu leistet, dass diese Kinder nicht frei aufwachsen können.

Khan entschied sich dabei, neben Reden, für das Medium Film.

Banaz: A Love Story (2012) handelt von einem jungen britischen Mädchen kurdischer Herkunft, das Zwangsheirat und eheliche Gewalt erfährt, dann ausschert, eine Liebesbeziehung eingeht - und anschließend für immer "verschwindet".

Islam’s Non-Believers (2016), eine Doku zu den Erfahrungen von Ex-Muslimen weitweit.

Nach Österreich: Wie ist es eigentlich hier? Die Ermordung des kleinen afghanischen Mädchens durch den eigenen Bruder - ist das ein Einzelfall? Dass wirklich zugestochen wird: das kommt in der Tat nicht jeden Tag vor. Aber liegt das daran, dass alle anderen muslimischen Kinder im Allgemeien und Mädchen im Besonderen frei aufwachsen, oder vielmehr daran, dass sie sich der Unterdrückung und Gewalt in ihrer Communities fügen? Weil es eh niemanden interessiert?

Rauscher vom Standard hat Expertinnen vom Orient Express interviewt, einer Beratungsstelle für Mädchen, die von Zwangsheirat bedroht sind - übrigens: auch das afghanische Mädchen sollte zwangsverheiratet werden. 109 Beratungen das letzte Jahr, und jedem ist klar, lange nicht jedes Mädchen, lange nicht jede junge Frau schafft es zur Beratungsstelle. Und der Zusatz: die Flüchtlingsmädchen wissen ja nicht von uns.

Also: Wie viele Mädchen verschwinden während des Schuljahres oder nach Zeugnisvergabe, weil sie auf Heimaturlaub den Cousin näher kennenlernen müssen? Wie viele Mädchen dürfen den Partner nicht selber auswählen? Wie viele nicht selber entscheiden, ob sie, und wenn ja, was für eine Schule sie besuchen. Wie viele dürfen nicht frei entscheiden, ob sie, und wenn ja, wie sie berufstätig sind? Und nicht nur für Mädchen, sondern auch Jungen gilt: Wie viele sind es, die eigentlich ein anderes Leben leben möchten? Wie viele Jungen und junge Männer, die z.B. schwul sind, aber damit nie in Frieden werden leben können aufgrund der rigiden Moral ihrer Community?

Es gäbe viel mehr noch zu fragen. Das Traurige ist nicht nur, dass nur wenige Leute überhaupt diese Fragen stellen. Das Traurige ist auch: das alles wären eigentlich linke und liberale Fragen. Insofern nämlich, als dass ähnliche Fragen, als es noch um die alteingesessene Bevölkerung ging, von Linken und Liberalen gestellt wurden, und das zurecht. Die Geschichte der Frauengleichstellung bis hin zum Verbot der Vergewaltigung in der Ehe zeigt, dass es zuvorderst Linke und Liberale waren, die gemeinsam mit Frauen für Freiheit kämpfen, nicht Rechte.

Doch die letzten Jahrzehnte haben Linke und Liberale hier phänomenal versagt: Aus falsch verstandenem Antirassismus und aufgrund relativistischer Multikulti-Ideologie wurden die Fragen, die gestellt werden müssen, wenn einem etwas daran liegt, dass Kinder und Frauen hier frei leben können, nicht gestellt. Also wurde geschwiegen - und diese Chance haben Rechte genutzt. Und so wurde aus einem Thema, das eigentlich ein linkes wäre, ein rechtes. Woraufhin die Linken sich erst recht nicht mehr äußerten, um 'ja nicht Rassisten zuzuarbeiten' bzw. 'rassistische Diskurse nicht zu bedienen'. Mehr noch: Manche linksaußen Organisation ist sich nicht zu blöd, den 'rassistischen Diskurs' dadurch zu 'bekämpfen', dass sie sich an die Seite von Milli Görüs oder Muslimbruderschaft stellt, siehe z.B. Linkswende.

Und so stehen wir heute vor einer Situation, die kaum absurder, nein, ekelhafter sein könnte: Linke beschwichtigen und schweigen - und das ist noch der beste Fall, siehe Linkswende -, Rechte machen via Presseaussendung auf die Lage muslimischer Mädchen aufmerksam. Um gleich eine weitere Aussendung nachzuschicken, in der sie deren Abschiebung fordern.

Weil das ist schon die Wahrheit: Einen ausgemachten Rechten stört all das nur, wenn es in Österreich stattfindet. Es geht ihm nicht um das Leid der zahlreichen Mädchen und Frauen, sondern darum, dass Österreich durch dieses Leid besudelt wird. Daher ist die Abschiebung der Opfer für ihn auch die passende Lösung. Dann werden sie halt erschlagen - aber zum Glück woanders, wen interessiert's? Man lese sich mal die vielen entsprechenden Online-Kommentare zum Mord am afghanischen Mädchen durch. Aber Achtung, dabei wird einem schnell schlecht. Das sind dieselben Leute, die dem kleinen Mädchen Deeyah Khan ins Gesicht spuckten und es rassistisch beschimpften.

Insofern haben nicht nur die Linken, sondern auch die Rechten recht wenig zu bieten, wenn es um die Befreiung der alleine leidenden Kinder und Frauen geht. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, von wenigen Tagen nur. Bald wird es vergessen sein, das afghanischen Mädchen. Und das Thema verschwindet wieder in der Versenkung - bis zum nächsten Opfer.

PS: Der Orient Express betreibt seit 2013 die "österreichweit erste und einzige Notwohnung für von Zwangsheirat bedrohte oder betroffene Mädchen und junge Frauen". Für dieses Projekt kann man spenden. Für die Bankdaten hier nach unten scrollen.

Deeyah Khan. Foto: Charles Eckert (CC BY-SA 4.0) https://en.wikipedia.org/wiki/Deeyah_Khan#/media/File:DeeyahKhan.jpg

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