Der zappelige Präsident und das COVID-Chaos in der Ukraine

Bei einer jener Sitzungen Ende März, die unter dem Vorsitz des Präsidenten Wladimir Selenski stattgefunden hatten, sollen Teilnehmer, hochrangige Beamte des ukrainischen Staates, ein sehr seltsames Verhalten ihres Vorsitzenden bemerkt haben. Einige berichteten gar über Anzeichen einer neurotischen Störung beim Präsidenten: unkontrollierte Mimik, unmotivierte Änderungen von Stimmung und Formen der Kommunikation, Unruhezustände, zappeliges Winden auf dem Stuhl sowie Ermüdungssymptome.

Könnten diese Zustände etwa auf schädliche Nebeneffekte der Impfung des Präsidenten gegen das Coronavirus hindeuten? Diese hatte Selenski nur wenige Wochen zuvor medienwirksam in Szene gesetzt. Am 2. März ließ er sich bei seiner Erstimpfung mit dem indischen Präparat Covishield mit nacktem Oberkörper filmen.

Mit seiner Impfung schloss er gleich zwei Vögel ab: Da er die Session in einem Militärhospital im Kriegsgebiet im Osten des Landes abhielt, zeigte sich Selenski gleichzeitig auch als Soldatenfreund und volksnaher Heerführer. Und er machte Werbung für das indische Vakzin, das wie das umstrittene eigene vom britisch-schwedischen Pharmariesen AstraZeneca stammt. „Dieser Impfstoff wird uns wieder ohne Einschränkungen leben lassen“, schrieb der Werbeprofi auf Twitter. Gemessen an den realen ukrainischen Versäumnissen in der Corona- und Impfpolitik muss eine Nebenwirkung beim Staatsoberhaupt jedoch als durchaus möglich erscheinen

Zelensky Twitter https://twitter.com/ZelenskyyUa/status/1366703130776383489?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1366703130776383489%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.rbc.ru%2Fpolitics%

Als Stand-Up-Komiker, Comedy-Schauspieler, Film- und Fernsehproduzent hat Selenski eine atemberaubende Karriere gemacht, deren Höhepunkt seine Rolle des ukrainischen Präsidenten im Mehrteiler „Diener des Volkes“ war. In den Jahren 2015, 2017 und 2019 wurden auf mehreren ukrainischen Fernsehkanälen insgesamt 51 Episoden der Serie in drei Staffeln ausgestrahlt. So wie sein Protagonist – Lehrer Goloborodjko – von seiner Schule aus auf wundersame Weise in den Präsidentensessel wechselte, wurde auch Komiker Selenski als populäre Fernsehfigur just zu jener Zeit Präsident, als die dritte Staffel noch lief.

Ein PR-Geschöpf ist Selenski auch nach seiner Verwandlung zum Präsidenten geblieben. Er setzt sich gerne in Szene und spricht zum Volk meistens mittels aufwendig inszenierter Videobotschaften, in denen er seine geübte Mimik einzusetzen weiß. Wenn man aber erst mal Berichte über eigenes seltsames Verhalten in Sitzungen nicht mehr unterbinden kann, lässt sich das Elend der Corona-Situation in der Ukraine selbst erst recht nicht mehr übertünchen.

1&1 Selenski in der Rolle des Präsidenten, Screenshot aus dem Film "Diener des Volkes"

Denn während in Deutschland – nicht gerade der Impfweltmeister – jüngst immerhin an einem Tag 740.000 Mal eine Corona-Schutzimpfung verabreicht werden konnte, wurden in der Ukraine im gleichen Zeitraum nur etwa 15.000 Menschen geimpft. Mit diesem Tempo könnte die Immunisierung in der Ukraine durch die Corona-Impfung noch über mehrere Jahre dauern. Die Ukraine hat eine der niedrigsten Impfraten weltweit. Laut den WHO-Daten sind die Impfraten in Europa nur in Bosnien-Herzegowina, im halb anerkannten Staat Kosovo und im Revier des Corona-Leugners Alexander Lukaschenko, nämlich Weißrussland, noch etwas niedriger.

Dabei gehört die Ukraine schon seit Wochen zu den Corona-Hotspots und belegt mit ihren rund 40 Millionen Einwohnern inzwischen den ersten Platz in Europa bezogen auf die Anzahl der mit Corona verbundenen Todesfälle – und das sogar in absoluten Zahlen. Seit Anfang April sterben täglich 430 bis 480 Menschen in der Ukraine an und mit Corona. Beim Testen liegt die Ukraine allerdings in Europa auf dem letzten Platz, was eine viel höhere Dunkelziffer an nicht erfassen Corona-Fälle vermuten lässt.

Dabei ist nicht einmal eine angeblich mangelnde Impfbereitschaft der Bevölkerung das Problem. Die Ukraine hat enorme Schwierigkeiten, überhaupt die nötige Anzahl an Vakzinen zu bekommen, was bereits den Beginn der Impfkampagne um mindestens zwei Monate verschleppt hatte. Die Bemühungen des Politikers und Unternehmens Wiktor Medwedtschuk, in dieser Situation den russischen Impfstoff Sputnik V für die Ukraine zu besorgen oder ihn sogar in der Ukraine herstellen zu lassen, hatten für ihn ein trauriges Ende: Der Politiker wurde sanktioniert, ihm nahestehende Fernsehkanäle geschlossen und russisches Vakzin per Gesetz verboten. Nirgendwo sonst in der Welt wurde die Frage der Vakzinierung – oder eben der Nicht-Vakzinierung - so sehr politisch missbraucht wie in der Ukraine.

Studio 95 Quartal / Студия Квартал 95 Online https://www.youtube.com/watch?v=J_UWafVKjLw

Dabei ist es nicht einmal so, dass Präsident Selenski keine Vakzin-Diplomatie betrieben hätte. Im Gegenteil, er war außerordentlich umtriebig, hat regelmäßig mit europäischen und nichteuropäischen Staats- und Regierungschefs telefoniert und um Hilfe durch Impfstoff-Lieferungen gebettelt. Vor allem bat er darum, die Ukraine im Rahmen des Programms Covax für wirtschaftlich schwache Länder nicht zu vergessen. Er telefonierte auch mit Vakzin-Herstellern höchstpersönlich und ließ Absichtserklärungen statt gültiger Verträge über künftige Lieferungen aushandeln. Kein Wunder, dass in dieser Notsituation windige Vermittler ihr eigenes Süppchen kochen konnten.

So kam die Lieferung der indischen Präparats Covishield über das britische Unternehmen Crown Agent zustande. Dessen Geschichte reicht noch in die kolonialen Zeiten zurück. In der Ära Poroschenko ist das Unternehmen in der Ukraine zum Monopolisten beim staatlichen Einkauf von Arzneimitteln aufgestiegen. Ukrainischen Medien zufolge behält Crown Agent jeweils fünf Prozent vom Einkaufswert für sich. Kein Wunder, dass ausgerechnet die britische Botschaft und Vertreter zahlreicher britischer Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen eine enorme Werbekampagne in der Ukraine für diesen Impfstoff dritter Wahl betrieben haben.

Covishield gilt als die noch billigere Variante des umstrittenen britisch-schwedischen Vakzins AstraZeneca. Bezahlt hat die Ukraine aber für insgesamt zwölf Millionen Dosen beim Stückpreis mehr als Doppelte im Vergleich zu EU-Staaten, die keinen Nachbau, sondern das Original-Vakzin von AstraZeneca gekauft hatten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Nach zwei Sterbefällen in der Ukraine, die mit einer Covishield-Impfung in Zusammenhang gebracht wurden, ist die ohnehin schon vorhandene Skepsis der Ukrainer gegenüber dem Impfstoff nur noch weiter gestiegen.

Helfen könnte dann das chinesische Präparat Sinovac. Noch im Dezember hat die Ukraine eine Vereinbarung über den Einkauf dieses wenig bekannten Impfstoffes erzielt. Im Februar sollte die erste Lieferung von insgesamt 1,8 Millionen Dosen erfolgen. Doch diese kam nicht. Erst von wenigen Tagen ist die erste Tranche eingetroffen und die Ukraine hat begonnen, mit Sinovac zu impfen. Aber auch dieser Impfstoff mit gerade einmal 50-prozentiger Effektivität genießt wenig Vertrauen. Insgesamt stehen derzeit auf dem Portal für Bürger-Dienstleistungen nur ca. 40.000 Impfwillige digital Schlange – bei Millionen registrierten Nutzern des staatlichen Portals.

Erst am 16. April hat in der Ukraine die Impfung mit dem weltweiten Spitzenreiter Biontech/Pfizer begonnen. Eingetroffen sind aber vorerst nur 117.000 kostenlose Dosen im Rahmen des Covax-Programms – ein Almosen vonseiten der reichen Ländern an die Ukraine. Sollte im heutigen Schneckentempo nur mit diesem Vakzin geimpft werden, würde der Vorrat nach acht Tagen schon aufgebraucht sein. Bedingung dafür wäre, dass der Nachschub für Pfizer tatsächlich pünktlich zum zweiten Impftermin kommt.

Die diesbezügliche Hoffnung ist enden wollend, auch wenn Selenski verspricht, bis Ende des Jahres die Hälfte der Bürger durchgeimpft zu haben. Der Mann, der in der Ukraine schon seit zwei Jahren den Staatsmann spielt, wird nur noch von Wenigen als solcher wahrgenommen. Impf-Nebenwirkung hin oder her: Spätestens mit der Corona-Krise ist Selenski wieder zu dem geworden ist, wer er schon immer war: ein zappeliger Clown, bei dem nur die Mimik zählt.

Youtube-Kanal Слуга народа https://www.youtube.com/watch?v=T9kL5XSMBxo

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