Das Internet wird sich gegen den Teletext nie durchsetzen

Einer der schönsten Sätze  zum  Thema Fortschritt der Kommunikationstechnologien wird von einschlägigen Historikern ungefähr auf das Jahr 2005 datiert und stammt von mir. Er geht so: „Das Internet wird sich gegen den Teletext nie durchsetzen.“ Zugegeben,  hätte ich berufliche Ambitionen, ins prognostizierende Gewerbe zu wechseln, würde ich diese schelmische Vorhersage nicht unbedingt beim Bewerbungsgespräch erwähnen. Zur kurzfristigen Irritation von wichtigtuerischen Expertengestalten im Zuge von mühsamen Ist-das-Internet-wohl-gut-für-die-Menschen-Diskussionen eignet sich der Satz aber hervorragend.

Warum ich das alles erwähne? Weil der Teletext dieser Tage seinen 35. Geburtstag feiert. Und immer noch am Leben ist. Irgendwie. Verdrängt von den neuen Herrschern aus dem Netz fristet er ein informationstechnologisches Kellerdasein. In Österreich im wahrsten Sinne des Wortes. Denn schenkt man jenen Gerüchten Glauben, die sich Redakteure zu fortgeschrittener Stunde hinter vorgehaltener Hand zuflüstern, dann befindet sich die Teletext-Abteilung des staatlichen Rundfunks viele Meter in der Tiefe, nämlich im untersten Kellergeschoss des unterirdischen Gebäudekomplexes am Wiener Küniglberg.

35 Jahre Teletext bedeutet auch 35 Jahre Gedächtnistraining. Zumindest in den goldenen Jahren des Teletexts trug man die wichtigsten Seitenzahlen stets als synaptische Bookmarks bei sich. 101 die Top-Nachricht, 111 der News-Überblick, 600 das Wetter und 202 die Sportschlagzeilen. Das Teletext-Seitenzahlen-Merken ist inzwischen fast ausgestorben, teilt also sein Schicksal mit einer anderen, von der neuen Ordnung hinweggefegten Kulturfertigkeit des 20 Jahrhunderts: dem Memorieren von  Telefonnummern.

Vor allem Freunden der fußballspielenden Zunft hat der Teletext tausende spannende Stunden beschert. OK, über spannend lässt sich streiten, aber zumindest waren es Stunden. Wer nämlich noch nie in seinem Leben 90 Minuten lang ausschließlich damit verbracht hat, auf den Spielstand am Teletext zu starren, in der Hoffnung, dass ein Tor fällt, die Seite umspringt und sich so das angezeigte Ergebnis ändert, dem wird das Tor zur höchsten Erleuchtungsstufe der würdelosen Liebhaberei für immer verschlossen bleiben.  Wie so vieles lebt auch dieses alte Teletext-Prinzip im Netz weiter – als Liveticker. In Sachen Komplexität verhält sich der Telext-Spielstand zum Liveticker freilich wie das Filzstift-Selbstporträt eines Dreijährigen zu den Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle.

Jene 49 von 625 Bildzeilen, die das analoge Fernsehen in Mitteleuropa nicht benötigt,  nutzt der Teletext seit 1980, um seine karg anmutende Welt auf den Fernsehbildschirmen zu erschaffen. In der Fachsprache nennen sich diese 49 Zeilen Austastlücken. Ein charmantes Wort, das nach Antennen, Lochkarten und Magnetspulen, also nach Techno-Patina klingt.

Lieber Teletext, Ich wünsche Dir, dass sich Deine Austastlücken auch in den kommen den 35 Jahren nicht schließen mögen. Bleibe so, wie Du bist: ein hübscher Anachronismus von Seite 1 bis Seite 886. Und kümmere Dich nicht ums Internet. Das muss in seiner massentauglichen Inkarnation erst mal so alt werden wie Du.

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

torvijs

torvijs bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

mr_mir@live.de

mr_mir@live.de bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:58

1 Kommentare

Mehr von Wolfgang Zechner