Dschungelcamp: Mit der Kettensäge im Regenwald

Ab heute ist wieder Dschungelcamp. Zur Feier des Tages nehme ich gleich mal den Wind aus den Segeln: Wenn ich eine Niederschrift anfertige, in der ich darüber klage, wie traurig es ist, dass die so genannte Qualitätspresse über das TV-Spektakel Dschungelcamp klagt, bin ich mir der publizistischen Anmaßung natürlich völlig bewusst. Nun, da dieser Brocken so elegant wie nur irgendwie möglich aus dem Weg gebaggert wurde, kann ich die Kettensäge anwerfen und mit den Rodungsarbeiten im Regenwald starten.

Doch bevor ich mit dem Hauungsbetrieb beginne, lassen Sie mich noch einen kurzen Festgesang auf eine unterschätze menschliche Eigenschaft anstimmen. Die Ignoranz. Wenn Sie nämlich nicht wissen, was ein Dschungelcamp ist, gratuliere ich Ihnen. Sie haben alles richtig gemacht. Sie lesen kein als Zeitung verkleidetes Fischeinwickelpapier, vermeiden den Konsum von intelligenzdimmenden Sendungen aus der Giftküche des deutschen Privat-TV und verwenden das Internet ausschließlich für die universitäre Fernleihe von wissenschaftlicher Fachliteratur.

Leider raube ich Ihnen auch gleich wieder die Unschuld und erkläre das Phänomen in der ihm gebührenden Kürze. Beim Dschungelcamp, oder wie es korrekt heißt: "Ich bin ein Star – holt mich hier raus!", handelt  es sich um ein in die Jahre gekommenes TV-Erniedrigungsspektakel, bei dem angeblich prominente Unbekannte in Äquatornähe rituell gedemütigt werden. Man muss sich das als misslungene Mischung aus der TV-Serie "Lost",  einer nachmittäglichen Anschrei-Talkshow aus den mittleren 90er-Jahren und einem deprimierenden vormittäglichen Besuch in der Notaufnahme der örtlichen Psychiatrie vorstellen. Also ziemlich genau so, wie jedes andere TV-Format auch, das im deutschsprachigen Privatfernsehen in den vergangenen 20 Jahren erfolgreich war.

Zum Start der televisionären Zombie-Parade gesellt sich Jahr für Jahr die selbe mediale Begleitmusik: Eine Heerschar an mittelbegabten Feuilleton-Insassen fühlt sich bemüßigt, in „bissigen“ Glossen gegen das “menschenunwürdige Spektakel“ anzuschreiben. Und zwar mit großen Worten, noch größerem Dünkel und größtmöglicher, weil zähneknirschender Bewunderung. Da wird schon mal vom „ perfekt produziertem Unterhaltungsfernsehen“ geschwärmt, bei dem einem das – wie es im Journalistenphrasendeutsch so unschön heißt – „Lachen im Halse stecken bleibt“. Zudem verfügt das Dschungelcamp laut gängiger Leitartiklerlogik über rätselhafte erkenntnistheoretische Qualitäten, weil es angeblich „einen schonungslosen Blick in die Seele der Gesellschaft“ zulässt. Garniert werden diese Fehleinschätzungen mit einschlägigen Aufschneider-Begriffen wie „postmodern“, „neoliberal“ oder „Metaebene“. Und als Zuckerguss streuen die meisten Kommentatoren noch sicherheitshalber die handelsübliche Prise Augenzwinkern drauf.

Dabei ist eine ehrliche Analyse ziemlich einfach: Das Dschungelcamp ist stumpfe Unterhaltung für ein stumpfes Publikum. Und jeder, der dem kleinsten gemeinsamen TV-Nenner mit ausufernder Ergründungsprosa publizistisch zu Leibe rückt, ist ein Erfüllungsgehilfe des großen, alleszermalmenden Stumpfsinns. Die einzig angemessene Reaktion ist demonstrative Verachtung. Oder wie es in Österreich so schön heißt: Nicht einmal anstreifen.

Eine Erkenntnis lässt sich aus dem Erfolg des tropischen Trubels vielleicht doch gewinnen: Der Begriff Unterschicht bezeichnet heute nicht mehr nur abfällig eine bestimmte soziale Schicht, sondern steht auch für eine Einstellung. Das Dschungelcamp ist sozusagen a state of mind. Ein Blick auf die einschlägigen Social Media-Kanäle etwa macht sicher: Die geistige Unterschichtsmaschine hält heute das durchironisierte Leben flächendeckend besetzt. It's a jungle out there.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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