Die Gesellschaft jenseits der Knappheit

Fast alle Ideologien versprechen ihren Anhängern ein Utopia in dem jeder (ihrer Anhänger) zumindest hat was er braucht. Der Fachbegriff ist „post scarcity society“ also eine „Überflusswirtschaft“. In einer solchen post scarcity Gesellschaft wäre Knappheit eine Seltenheit. Dadurch würden viele Dinge die uns heute stören aussterben: Gier, Neid und Machthunger. Soweit die Theorie.

Im heutigen Artikel beschäftigen wir uns mit der Frage ob so eine Gesellschaft überhaupt möglich ist und kontroverser: ob wir uns nicht eventuell schon längst in so einer Gesellschaft befinden.

Es gilt hierbei zu verstehen wann etwas knapp ist und wann nicht.

Luft etwa braucht jeder zum Überleben und ist damit extrem wichtig. Die meisten Menschen haben aber genügend Luft um bequem zu leben, wir können also behaupten dass wir (im Bezug auf Luft) in einer Gesellschaft leben für die „Luftknappheit“ kein Problem darstellt. Dennoch sterben Menschen wegen Luftknappheit, etwa am Grund des Meeres. Eine Knappheit zu überwinden bedeutet also keineswegs dass nicht ab und an dennoch Knappheit auftritt, es bedeutet nur dass der durchschnittliche Mensch so viel von einer Ressource hat dass er sich keine Sorgen darüber machen muss dass sie ausgeht. So wie eben mit Luft.

Üblicherweise verstehen wir eine post scarcity Gesellschaft als eine Gesellschaft in der das Notwendigste für die Meisten mit einem hohen Maß an Leichtigkeit erwirtschaftet werden kann. Der Knackpunkt ist aber zu definieren was „Notwendig“ ist.

Etwa eine Milliarde Menschen leben von nur einem Euro am Tag. Diese Menschen leben. Nicht gut aber sie leben. Viele leben mit noch geringeren Mitteln aber als untere Grenze ist dieser Wert brauchbar.

Der durchschnittliche Österreicher verdient 2 104€ im Monat. Das übersetz sich in einen Stundensatz von grob 12€ pro Stunde. Der durchschnittliche Österreicher muss daher in etwa 5 Minuten am Tag arbeiten um genügend (1Euro am Tag) zu erwirtschaften um zu überleben. Also eine halbe Stunde in der Woche.

Das reicht uns aber offensichtlich nicht.

Es stellt sich daher die Frage warum uns das nicht reicht und die Antwort ist eben ernüchternd: Überleben alleine ist den Meisten nicht genug.

Wir haben gerne noch andere Dinge und je mehr der Durchschnitt hat, desto eher wird auch das als eine Notwendigkeit gesehen. Die eine Milliarde Menschen die von einem Euro am Tag lebt haben keinen Fernseher. In Deutschland gibt es aber ein Recht auf einen Fernseher. 2009 gab es ein entsprechendes Urteil. Die Argumentation lautet dass über 95% der Deutschen einen Fernseher hätten und es daher eine Notwendigkeit sei einen zu besitzen. Das Amt musste zahlen.

„Fernseherknappheit“ ist also eine Art Grundlinie der Knappheit in Europa. Praktisch jeder hat einen (oder könnte sich einen leisten wenn er wollte), und deswegen wird das Ding zu einer „Notwendigkeit“.

Addiert man alle Notwendigkeiten in Europa wird es aber mit dem einen Euro am Tag recht rasch sehr eng.

Wir sagen also dass der Fernseher eine Notwendigkeit ist obwohl Milliarden Menschen keinen haben.

Extrapoliert man das Ganze in eine utopische Zukunft, wo wir nur noch einen Wimpernschlag (anstatt der 5 Minuten) brauchen um das Geld zu erwirtschaften das wir zum Überleben bräuchten, würde sich wohl nicht viel ändern.

Schon jetzt müssen wir nicht viel tun um zu überleben aber wir tun dennoch viel mehr und haben noch immer das Gefühl dass Dinge knapp wären.

Egal wie viel wir haben: wir werden immer mehr wollen und alles was wir (oder 95% unserer Nachbarn) haben, werden wir als notwendig einschätzen.

Knappheit ist ein subjektives Gefühl und immer wenn alle Notwendigkeiten gedeckt sind rücken wir die Messlatte nach oben und behaupten nun dass wir noch mehr bräuchten. Ein Ende dieses Prozesses ist nicht absehbar und daher ist eine post scarcity Gesellschaft per se nicht möglich weil wir "die Knappheit" nicht vollständig überwinden können. Irgendwas wird immer knapp sein, im Zweifelsfall Dinge wie Anerkennung.

Wir können nur das Überleben einfacher machen und genau das haben wir getan. Wir arbeiten nur noch 5 Minuten am Tag um zu überleben und den Rest tun wir weil wir uns Dinge kaufen wollen die das Leben schöner machen. Aus Sicht eines Menschen der vor 10 000 Jahren gelebt hat, leben wir seit Generationen in einer Gesellschaft ohne Mangel und dennoch sind wir umgeben von Menschen die ihre Mängel beklagen und die Zahl der Menschen die bejubelt wie gut es uns in Wirklichkeit geht ist bedrückend klein.

david parkins https://3.bp.blogspot.com/-ZjHHQMC0CjQ/WG3z4iIgenI/AAAAAAAACTA/t2_p9lrpDBwrDktuR-TFTpHs5D0v_jtUgCLcB/s1600/01_economist_utopia.jpg

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Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 03.05.2021 21:22:03

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