Selten zuvor hat eine Partei der Öffentlichkeit einen so tiefen Einblick in ihre verwirrte und verworrene innere Befindlichkeit gewährt wie die SPÖ nun fünf Monate vor der nächsten Nationalratswahl. Sie kennt sich mit sich selbst nicht mehr aus: Mitgliederbefragung, Ur-Abstimmung, Parteitag, Parteirat, vor dem Urnengang oder danach, wenn schon über eine Koalition mit der FPÖ, warum dann nicht auch über jede andere Variante –was soll es nun werden?

Die gesammelten Aussagen der letzten Tage brachten nur in einem Punkt Klarheit: Die SPÖ muss sich irgendwie aus dem aufrechten Parteitagsbeschluss – Keine Koalition mit der FPÖ – herauswinden. Wie sie das machen soll und wann, dazu gibt es eine Fülle von Wortmeldungen der vermischten Art. Manche reden eben von einer Mitgliederbefragung, andere von einer Ur-Abstimmung . Ob vor Koalitionsverhandlungen prinzipiell oder über einen ausverhandelten Koalitionsvertrag oder danach nicht über den Inhalt der Koalition, sondern nur die Form? All diese Fragen sind unbeantwortet.

Generell hat man den Eindruck, als misstraue die SPÖ sich selbst und traue ihren Repräsentanten nicht zu, eine haltbare Entscheidung zu treffen. Anderswo gäbe es eine ganz klare Vorgangsweise: Die Parteiführung handelt einen Koalitionsvertrag aus, so sie denn den Auftrag zur Regierungsbildung hat, und legt diesen dann einem Sonderparteitag zur Abstimmung vor. Dort, so könnte man annehmen, haben die hunderten Funktionäre wohl genügend Kenntnis von der Meinung und der Stimmung an der Basis, um sich entsprechend zu verhalten. Das Ergebnis würde dann von allen akzeptiert werden.

Nicht so in der SPÖ. Wiens Bürgermeister Michael Häupl, schwer gezeichnet von einer zwischen SPÖ-Puritanern und FPÖ-Verstehern tief gespaltenen Landespartei, brummte etwas von einer Mitgliederbefragung, obwohl ihm ein Bundesparteitag lieber wäre. Der Ball rollte in die Steiermark, wo Michael Schickhofer die Idee einer Urabstimmung bereits parat hatte. Er reichte ihn weiter nach Kärnten und Tirol, wo er von Peter Kaiser bereitwillig und Elisabeth Blanik skeptisch aufgenommen wurde. Burgenlands Hans Niessl hält sich so wie so für den Erfinder dieser Idee, hat er doch vor der Landtagswahl gefragt, ob er danach mit allen Parteien reden soll. Was für eine Frage? Jedenfalls eine, aus der Niessl den Auftrag für Rot-Blau herauslesen wollte. Eine solche Schwindelabstimmung wird die Bundes-SPÖ ihren Mitgliedern hoffentlich doch ersparen.

Wirklich durchdacht ist die plötzliche Liebe von SPÖ-Verantwortlichen für die innerparteiliche Basisdemokratie aber nicht. Das sollte vor allem Christian Kern wissen, der sich mit seiner Mitgliederbefragung zu CETA eine schwere Blöße gegeben hat – nicht nur, weil er sich dann in Brüssel nicht an das Ergebnis halten konnte, sondern vor allem weil Interesse und Teilnahme der Mitglieder stark ausbaufähig gewesen wären. Und Michael Häupl in Wien, wo ein paar hundert Grüne mit einer Mehrheit von 32 das Bauprojekt am Stadtpark abgelehnt haben.

Wer immer an eine Mitgliederbefragung denkt, sollte das vor Augen haben. Das wäre ähnlich wie bei der Brexit-Abstimmung: Die Nein-Fraktion ist immer stärker motiviert. Und eine Mitgliederbefragung wirkt immer wie die vernachlässigbare Stiefschwester einer echten Urabstimmung. Zwar droht dort auch die Brexit-Falle, aber eine Abstimmung wirkt doch etwas verbindlicher aks eine Befragung. Allein, was passiert, wenn – so oder so – die Parteibasis die Pläne der Parteiführung ablehnt? Konkret für Österreich würde das „Zurück an den Start“ bei der Regierungsbildung bedeuten, wobei dann aus heutiger Sicht mit einem politischen Vakuum bis weit in das Frühjahr 2018 zu rechnen ist. Das könnte noch irgendwie als ausgleichende Gerechtigkeit für jene ÖVP-Länder wie Niederösterreich und Salzburg durchgehen, die den Führungswechsel in der ÖVP und damit die Wahl im Oktober 2017 – weit weg von ihren eignen Landtagswahlen – betrieben haben. Diese dann inmitten einer Führungskrise und dauerhaftem Koalitionsgezerre schlagen zu müssen, kann nicht in ihrem Sinn gewesen sein. Ganz abgesehen davon, dass die Republik ohnehin von jetzt ab noch neun oder zehn Monate auf eine funktionierende Regierung warten muss. Aber was zählt schon die Republik?

Und was wäre, wenn generell nur eine kleine Minderheit in der SPÖ an diesem basisdemokratischen Versuch teilnehmen würde? Wie geht dann die Parteiführung mit der „Diktatur der Minderheit“ um? Mehrheit ist Mehrheit kann ganz rasch zu einer schwachen Ansage der innerparteilichen Demokratie werden.

Auf der positiven Seite einer Urabstimmung – und seriöserweise kann es sich nur um eine solche handeln – steht: Sie wäre ein Test für die demokratiepolitische Reife der SPÖ-Mitglieder. Sie gäbe der Parteiführung die Möglichkeit, jegliche nachträgliche Sabotage der Koalitionsarbeit in den eigenen Reihen zu unterbinden. Die Verantwortung läge dann nicht nur auf ihren Schultern, sondern auf jenen aller Mitglieder, die teilgenommen haben.

Unterm Strich aber bleibt – Stand jetzt -, dass die SPÖ sich selbst und dem Prinzip der repräsentativen Demokratie misstraut. Das hatte Bruno Kreisky in den späten siebziger Jahren sicher nicht im Sinn als er von der „Durchflutung aller Bereiche mit Demokratie“ sprach. Vielleicht sollte Karl Blecha, der das Parteiprogramm der SPÖ damals geschrieben hat, der heutigen Führungsschicht Aufklärungsunterricht anbieten.

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