Salziges Essen und Männerliteratur

Die Longlist des Deutschen Buchpreises besteht regelmäßig zum Großteil aus männlichen Autoren, was die Literaturkritikerin Dana Buchzik in einem Artikel problematisiert hat. Keine große Sache, sollte man meinen, zumal der Buchpreis ja nicht die einzige Rangliste ist, auf der, rein zufällig offenbar, viel mehr Männer als Frauen stehen.

Doch die Autorin ist wegen ihrer Kritik zur Zielscheibe von Häme und Drohungen geworden. Wobei die die Anfeindungen nicht nur von den im Internet üblichen Trollen und Dummköpfen ausgingen, sondern teilweise von gestandenen und so genannten „seriösen“ Kollegen aus dem Literaturbetrieb. Jetzt hat Buchzik über ihre Erfahrungen in dieser Debatte geschrieben – und sofort gab es wieder Debatten, mit immer denselben Fragen: Warum ist ein ungleiches Geschlechterverhältnis auf Ranglisten oder bei Preisvergaben überhaupt ein Problem? Sollte das Geschlecht des Autors oder Künstlers (sic) nicht völlig irrelevant sein für die Beurteilung eines Werkes?

Ich habe ein Beispiel, das vielleicht hilft, das Problem zu verstehen. Zurzeit bin ich in Südchina, und hier ist das Essen sehr salzarm. Das fällt nicht nur mir auf, sondern allen Europäerinnen und Europäern, weshalb wir in alles Sojasoße reinschütten. Ein Freund erzählte gestern, wie er mal für seine Pizza doppelt Salami und doppelt Käse bestellt hat. „Aber dann wird das doch viel zu salzig!“, erwiderte der Kellner. „Ja, genau darum geht es doch“, sagte er.

Wenn nun hier ein Wettkochen stattfinden würde, bei dem die Jury ausschließlich aus Südchinesen bestünde, hätten europäische Gerichte keine Chance. Nach dem ersten Bissen würden nämlich alle Jurymitglieder übereinstimmend sagen: „Das ist ja total versalzen!“ Andersrum hätten bei einer europäischen Jury chinesische Gerichte keine Chance, denn: „Das schmeckt ja alles total schlaff!“

Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass alle Chinesinnen und Chinesen beziehungsweise alle Europäerinnen und Europäer denselben Essensgeschmack hätten. Innerhalb der chinesischen und der europäischen Gruppe gibt es jeweils eine enorme Vielfalt an Gerichten und auch höchst unterschiedliche Ansichten darüber, was gutes Essen sei. Aber trotzdem existieren für beide Gruppen Gewohnheiten und Normen, die von ihren Mitgliedern normalerweise nicht hinterfragt werden, sondern erst auffallen, wenn sich Menschen aus beiden Gruppen gegenseitig über ihre Vorlieben austauschen.

Und genauso ist es eben mit Preisen und Rankings, zum Beispiel dem Buchpreis. Um überhaupt eine Chance zu haben, dass dort nicht immer wieder bloß die Geschmäcker und Perspektiven einer bestimmten Gruppe von Menschen (den weißen Männern) zum Maßstab für Qualität gemacht werden, ist es eine Minimalvoraussetzung, dass eine Jury aus Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen besetzt wird. Wobei das Geschlechterverhältnis ja nur eines von vielen Kriterien ist.

Aber selbst das ist noch keine Garantie. Gerade wenn es sich – wie bei Frauen und Männern – um zwei Perspektiven handelt, die in einer Hierarchie zueinander stehen (das Männliche galt bis vor kurzem ja ganz offiziell als besser, wichtiger und klüger als das Weibliche), entsteht häufig die Tendenz, dass Vertreter und Vertreterinnen der „untergeordneten“ Gruppe sich dem vorherrschenden Geschmack anzupassen, um anerkannt zu werden. Außerdem können sich Gewohnheiten natürlich auch ändern. Gestern Abend sprach ich mit einem Europäer, der schon lange hier in Südchina lebt, und dem das Essen in Europa inzwischen ebenfalls viel zu salzig vorkommt. Er hat also perspektivisch „die Seiten gewechselt“, was bedeutet, ihn in eine Kochjury aufzunehmen, würde – auch wenn man dann einen Europäer drin hat – an der Vorherrschaft der südchinesischen Perspektive gar nichts ändern.

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass Frauen in Machtpositionen andere Frauen im Schnitt sogar weniger fördern als Männer in derselben Position. Vielleicht wollen sie sich nicht dem Verdacht auszusetzen, sie würden für die Frauen parteiisch sein, oder sie bewegen sich schon so lange in männlicher Gesellschaft, dass sie deren Geschmack und Gewohnheiten angenommen haben. Auch eine Jury, die zur Hälfte aus Frauen besteht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit erst einmal weiter Männer bevorzugen.

Trotzdem ist es wichtig, auf paritätische Besetzung und Auswahl zu achten, denn es ist immerhin ein Anfang – und sei es nur, um darauf aufmerksam zu machen, dass hier überhaupt ein Problem besteht.

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Herbert Erregger

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Hansjuergen Gaugl

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fischundfleisch

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