Die Aktienmärkte sind krank. Um das festzustellen braucht es weder außergewöhnliches Genie noch ein besonders geschultes Auge. Die Krankengeschichte kennen wir aus anderen Quellen bereits bestens, versuchen wir also die aktuellen Symptome zu deuten, plausible „Laborwerte“ festzulegen (um das Ausmaß der Fortschreitung der Krankheit festzumachen) und dann mögliche Therapievorschläge zu unterbreiten.Symptom Nummer 1 ist die nicht enden wollende Schwäche der Rohstoffpreise. Hier dienen uns als Laborwerte Glencore, der britisch-helvetische Rohstoffhändler, und Petrobras, der brasilianische Energieriese. Während ersterer vor allem wegen seiner Stellung als wichtiger Händler für Kupfer, Nickel, Zink, etc. im Fokus steht, kämpft die brasilianische Firma neben dem niedrigen Ölpreis noch immer mit den Auswirkungen eines der größten Korruptionsskandale der letzten Jahre. Bei beiden Firmen liegt der Fokus jedoch weniger auf dem Aktienkurs (zumindest beim brasilianischen Konzern müsste man hier bereits das Mikroskop entstauben), sondern auf der Anleihenseite. Die Verschuldung von Glencore wird bei USD 50 Mrd. festgesetzt, bei Petrobras dürften es sogar USD 160 Mrd. sein – genug um ein Loch in die Bilanz fast jedes großen Emerging Market Fonds zu reißen…Symptom Nummer 2, welches der Heimat deutlich näher ist, ist die Angst vor einem Einbruch der deutschen Exporte, die als Konjunkturmotor für Europa gesehen werden. Wenig überraschend liegt der Fokus hier auf Volkswagen, der Firma die der Marke „Deutschland“ innerhalb kurzer Zeit möglicherweise mehr Schaden zugefügt hat als alle Sonnenliegenreservierenden Hotelgäste zusammen. Interessanterweise sind die Ängste der Investoren hier jedoch sehr unterschiedlich: Während man im kontinentalen Europa eher eine Ansteckung der anderen Autowerte und Zulieferer befürchtet (aufgrund von Imageverlusten, oder gar einer möglichen Mitwirkung), wird im angloamerikanischen Raum sogar offen diskutiert, dass dies möglicherweise einen nur schwer zu reparierenden finanziellen Schaden für die Firma bedeuten könnte. Im Fokus sind daher vor allem die Hybridanleihen der Firma, da diese neben den Aktien das größte Risiko tragen (bevor Sie jetzt in Panik ausbrechen: Die echte Gefahr für die Firma ist wohl äußerst überschaubar, aber in Zeiten wie diesen lässt sich so leicht Panik verbreiten, dass selbst die unüberlegtesten Reaktionen seitens der Investoren möglich sind.).Symptom Nummer 3 ist die hohe Volatilität. Bewegungen von 2-3 % sind an der Tagesordnung. Es sind aber nicht nur die Bewegungen an sich, die für Verunsicherung sorgen. Auch die Tatsache, dass Märkte wie der DAX ohne neue Nachrichten von +1 % auf -2 % drehen, trägt nicht gerade zur Vertrauensbildung bei. Ganz zu schweigen von den Ausschlägen bei Einzelwerten: Was hat die Telekom Austria mit Rohstoffen oder einer Abschwächung der deutschen Exporte zu tun? Wieso fällt die Aktie der Fresenius Medical, des größten Anbieters für Dialysegeräte, ohne eigenständige Nachrichten innerhalb von wenigen Minuten um über 3 %? Teilweise ist daran natürlich der Markt an sich schuld: Wir befinden uns noch immer in den Fängen der Maschinen, die sich gegenseitig über die Futures-Märkte erdrücken wollen, wie an früherer Stelle bereits beschrieben.

Daneben dürften aber auch Geldabflüsse aus Fonds eine Rolle spielen, wodurch diese Aktien verkaufen müssen – ob sie wollen oder nicht und ohne Rücksicht, was danach mit dem Preis passiert. Durch diese „Redemptions“, wie sie auf Neudeutsch heißen, kann es auch zu Rudelbildung kommen: Irgendwie erfahren einige Haie (d.h. Hedgefondsmanager) von den Problemen der einzelnen Fonds und drücken daraufhin die größten Positionen der jeweiligen Manager weiter nach unten. Diese haben dem Verkaufsdruck nichts entgegenzusetzen, immerhin müssen sie ja eigentlich selbst verkaufen. Dadurch wird eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, mit der versucht wird den Fonds zu „brechen“, diesem also den Todesstoß zu versetzen. Das Ganze ist natürlich schwer illegal, aber leider praktisch unmöglich zu beweisen. Falls Sie daran zweifeln, dass es dieses Verhalten wirklich gibt, dürfen wir Ihnen den Buchtipp „Confessions of a Street Addict“ von James J. Cramer mit auf den Weg geben, wo der Autor den Prozess am eigenen Leib beschreibt…Nach so vielen Problemen kommen wir nun jedoch zu den Therapieansätzen. Möglichkeit 1 war in der Vergangenheit sehr erfolgreich, scheint im Moment jedoch außer Reichweite: die Wundermedizin der Notenbanken. Während sich China weiterhin darauf fokussiert irgendwie den Aktienmarkt am Leben zu erhalten anstatt in die Wirtschaft zu investieren und die EZB in einen frühzeitigen Winterschlaf verfallen ist, hat die Fed sogar die Seiten gewechselt und pocht weiter auf eine Zinserhöhung in den nächsten Monaten.Möglichkeit 2 ist die Chemotherapie: Schaffung von Klarheit bei unseren drei vorher genannten Problemfirmen durch radikale Schnitte, bis hin zur Pleite eines dieser Unternehmen. In der Tat sind wir mittlerweile schon so weit, dass sogar dieses Worst Case Szenario dem Markt möglicherweise weiterhelfen würde, zumindest hätten wir dann endlich Klarheit und der Markt könnte beginnen, die Auswirkungen richtig zu bepreisen. Denn oftmals ist Unsicherheit schädlicher als eine negative Einsicht.Möglichkeit 3 ist die Selbstheilung: Viele Probleme an den Märkten können derzeit dadurch gelöst werden, dass das Risiko reduziert wird, d.h. die Preise fallen. Wie beim Fieber, das zwar für den Patienten unangenehm und teilweise sogar gefährlich ist, führen niedrigere Preise zu einer Bereinigung: Wir müssen weniger Angst davor haben durch eine weitere Hiobsbotschaft die nächsten 10-20 % unseres Portfolios verpuffen zu sehen.Womit wir auch schon beim Status Quo wären. Wenn also niedrigere Preise der „Weg des geringsten Widerstandes“ sind, wieso dann nicht einfach alles verkaufen? Wie wir bereits dargelegt haben kann es eine Lösung für diese Probleme geben und sobald sie da ist, ist der Aufschwung den man verpassen würde wohl größer als der mögliche Verlust von diesen Niveaus. Wir haben keine systemische Krise. Trotz aller Probleme ist das Finanzsystem als solches wohl nicht in Gefahr. Auch wenn es kaum möglich ist, den genauen Zeitpunkt der Wende vorherzusagen (obwohl es natürlich unzählige mehr oder weniger seriöse Kollegen versuchen werden), wissen wir nun zumindest, worauf der Fokus gelegt werden sollte. Eine gute Nachricht können wir Ihnen (ganz ohne Zynismus) zum Schluss noch mit auf den Weg geben: Wir sind dem Boden immerhin um gut 20 % näher als noch Mitte August.

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fischundfleisch

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Silvia Jelincic

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