Wenn man dem Spiegelglauben darf – dem selbsternannten »Sturmgeschütz der Demokratie« also –, dann gab es Mitte Mai handfeste diplomatische Verstimmungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel. Verstimmungen, von denen die Öffentlichkeit allerdings nichts mitbekommen hat. Anlass für diese Spannungen sei ein Nahosttrip des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier gewesen, der sich vor Ort über die Situation der Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien habe informieren wollen. Ein Abstecher in den jüdischen Staat stand seinerzeit nicht auf dem Besuchsplan des Sozialdemokraten. Daher, so behauptet das Blatt, »reagierte Jerusalem verärgert und zwang ihn zu einem Umweg«. Das heißt: Israel »verweigerte dem deutschen Außenminister den Überflug seines Hoheitsgebiets, als er von Beirut aus weiterreisen wollte«, wie auf Spiegel Online zu lesen ist. Statt die 240 Kilometer von der libanesischen Hauptstadt nach Amman direkt anzusteuern, habe die Regierungsmaschine erst in den zyprischen Luftraum einfliegen müssen, um dann »in einer Art U-Turn in Richtung der jordanischen Hauptstadt abzudrehen – insgesamt ein Umweg von rund 600 Kilometern«. Das Auswärtige Amt habe »den unfreundlichen Akt auf sich beruhen« lassen.

An dieser Geschichte stimmt allerdings nicht allzu viel. Zunächst einmal stand bereits vor dem Abflug des Außenministers in den Libanon und nach Jordanien fest, dass er zwei Wochen später nach Israel reisen wird. Einen Anlass für die israelische Regierung, verärgert zu sein, gab es also nicht – und deshalb auch keinen Grund für einen »unfreundlichen Akt«. Ein solcher wurde folgerichtig von beiden Seiten dementiert, wie der Journalist Ulrich Sahm auf dem Webportal Israelnetz schreibt. Kein Wunder: Der Umweg, zu dem Steinmeier angeblich genötigt wurde, entspricht der normalen Flugroute, wenn man auf dem Luftweg von Beirut nach Amman gelangen will. Sahm erläutert die Hintergründe: »Es ist allgemein bekannt, dass Verkehrsflugzeuge in Luftkorridoren fliegen. Zwischen Israel und dem Libanon gibt es aufgrund des Kriegszustandes keinen solchen Korridor. Von Beirut nach Amman kann man über die syrische Hauptstadt Damaskus fliegen, was aber gefährlich ist.« Ansonsten gebe es von Beirut aus nur die Möglichkeit, zunächst nach Zypern und von dort entweder über Ägypten oder auf direktem Weg, über Israel hinweg, nach Amman zu fliegen.

Adi Farjon, die Sprecherin der israelischen Botschaft in Deutschland, ergänzte gegenüber der Jerusalem Post: »Flugrouten nach Israel und über Israel werden von der israelischen Luftsicherheitsbehörde festgelegt. Sie hängen von vielen Faktoren ab. Politische Erwägungen spielen dabei keine Rolle.« Die vom Spiegelgenannten Ursachen für Steinmeiers Umweg seien daher »völlig aus der Luft gegriffen«. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bestätigte: »Israel hat dem Sonderflugzeug von Außenminister Steinmeier auf dem Weg von Beirut nach Amman den Überflug über den israelischen Luftraum nicht verweigert.« Vielmehr sei es so, dass Israel aus Gründen der Sicherheit grundsätzlich keine direkten Flugbewegungen aus dem libanesischen in den israelischen Luftraum erlaube. Spiegel Online veröffentlichte daraufhin zwar eine Korrektur, wartete aber auch mit einer neuen Behauptung auf: »Im Falle Steinmeiers verweigerten die Israelis eine deutlich kürzere Route längs der Mittelmeerküste und wollten […] zunächst sogar eine Zwischenlandung in Nikosia durchsetzen. Nach längeren Verhandlungen bestand der Kompromiss schließlich aus einem Überfliegen des Luftraums von Zypern, bevor die Maschine abdrehte und – über israelisches Hoheitsgebiet – die jordanische Hauptstadt ansteuerte.«

Längs der Mittelmeerküste also – dort gibt es allerdings »keine internationale Flugroute für Passagierflugzeuge«, wie Ulrich Sahm in einem weiteren Beitrag für Israelnetz verdeutlicht. Es sei daher anzunehmen, »dass sowohl die Flugsicherheit des Libanon als auch die Israels den Antrag hätten genehmigen müssen«. Das ist offenbar nicht geschehen, aber auch nichts Ungewöhnliches oder Unfreundliches. Dass Steinmeier schließlich eine Schleife über den zyprischen Luftraum drehen musste, sei ebenfalls vollkommen normal, erklärt Sahm: »Bei der internationalen Schifffahrt und bei Flugbewegungen ist es ein übliches Verfahren, in einem neutralen Land einen Zwischenstopp einzulegen, um behaupten zu können, nicht aus Feindesland gekommen zu sein.« Das sei auch dem deutschen Außenminister bekannt: »Denn unter ihm wurde mehrfach ein Gefangenenaustausch zwischen Israel und dem Libanon ausgehandelt. Die Gefangenen wurden nicht etwa direkt von Tel Aviv nach Beirut geflogen, sondern nach Deutschland gebracht, wo die offizielle Übergabe stattfand. Die libanesischen Gefangenen stiegen dort in ein anderes Flugzeug, um nach Beirut zurückzukehren.« Über diese Umwege von etwa 8.000 Kilometern könne man in älteren Ausgaben des Spiegel nachlesen; beschwert habe sich das Magazin nie über diese zusätzlichen Wegstrecken.

Die von der Zeitschrift behaupteten Spannungen sind also, zumindest in Bezug auf die Flugreise von Steinmeier, schlichtweg frei erfunden. Es genügte dem Spiegel augenscheinlich nicht, durch Unkenntnis der – hinlänglich bekannten – Regularien in Bezug auf die genannten Flugrouten zu glänzen. Nein, er musste auch noch eine diplomatische Krise herbeifantasieren, an der selbstverständlich die Israelis schuld sind – weil sie immer an allem schuld sind. Wenn ein deutscher Minister auf seinem Flug von einem arabischen Staat in den nächsten nicht den direkten Weg über Israel nehmen darf, kann das schließlich nur Schikane und böse Absicht der israelischen Regierung sein, alle anderen Gründe scheiden a priori aus. Das lässt tief blicken und verrät dabei nichts über Israel, aber eine ganze Menge über denjenigen, der solchen Unsinn verbreitet. Auch das ist eine Form von modernem Antisemitismus: Dem jüdischen Staat wird immer nur das Schlechteste zugetraut; nachtragend und rachsüchtig soll er sein, und selbst hochrangige ausländische Politiker (deutsche zumal!) lässt er seine große Macht spüren. Eigentlich hätte derlei ein Skandal zu sein – nur gibt es kaum jemanden, der so etwas skandalös findet.

5
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

Susannah Winter

Susannah Winter bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

Gladius

Gladius bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

Herbert Erregger

Herbert Erregger bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

17 Kommentare

Mehr von Alex Feuerherdt