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1998 war eines von all den vielen Jahren, wo sich immer wieder unzählige positive wie auch negative Ereignisse aneinander reihten. Schlag auf Schlag. Kalt, Warm abwechselnd. Im März hatte ich endlich den Führerschein (A + B) erworben. Ein weiterer Schritt in meine Freiheit. Außerdem war ich verdammt stolz darauf, dass ich es im Alter von 34 Jahren geschafft habe nun mit Motorrad und Auto fahren zu dürfen.

Mein Ex-Ehemann stalkte mich nach wie vor und saß fast täglich in den Büschen vor meinem Balkon. Obwohl er eine gerichtliche Wegweisung seit Ende 1996 hatte, verfolgte und belästigte er mich permanent.

Mein Entschluss, mein Leben endlich in die Hand zu nehmen, mich von ihm zu trennen, hatte zur Folge, dass auch Familie und Freunde sich von mir und auch von meinem Sohn (damals 12 Jahre alt) abwandten. Sie waren der Meinung, dass ich völlig verrückt sei. Das war ich nicht, ich wollte ganz einfach nicht mein restliches Leben in einem Gefängnis voller Gewalt und Kälte verbringen.

Diese Freiheit habe ich seit der Scheidung Anfang 1997 voll und ganz genutzt.  Ich war viel unterwegs und auch in Sachen Liebesleben habe ich jede Menge dazugelernt.

Ende 1998, kein Job, die Bankomatkarte eingezogen, das letzte Geld, welches für Weihnachten vorgesehen war wurde mir gestohlen, mein Kater stirbt am 25.12., mein Sohn ist permanent krank und weigert sich etwas zu essen.

1999, neues Jahr, neue Chancen. Habe notgedrungen einen Job in einer Personalleihfirma angenommen. Zusätzlich einen Wochenendjob in einem Obdachlosenheim. Die Arbeit dort machte mir von Mal zu Mal immer mehr Freude. Ich hatte meist von Samstag auf Sonntag einen 12 Stundendienst. Abends agierte ich sozusagen als Bardame im Saftbeisl, es gab Kleinigkeiten zu Essen, Kaffee und ausschließlich alkoholfreie Getränke. Es war ein Treffpunkt für die Hausbewohner. Besonders lehrreich und spannend waren die unzähligen Geschichten der Männer. Diese Schicksale konnte man in deren Gesichtern ablesen. Aber auch Alkohol oder Drogen hatten sich in den Falten und in den Augen manifestiert. Viele sahen etliche Jahre älter aus, als sie tatsächlich waren.

Einer dieser Bewohner hob sich jedoch in vielfacher Hinsicht von all den anderen ab. Er sah gepflegter aus. Die schwarzen fülligen lockigen Haare waren immer gewaschen und gekämmt. Er roch nie nach Alkohol. Es umgab ihn sogar ein Hauch von Eau de Cologne Er war immer rasiert. Seine Fingernägel waren immer sauber. Sein Gesicht strahlte mehr, als das der anderen. Er war sehr groß. Er war sehr kräftig gebaut. Die Mitbewohner hänselten ihn immer wieder wegen seiner Körperfülle. Doch er überhörte das geflissentlich und setze sich selbstbewusst auf einen der Hocker an der Bar. Alle warteten jedes Mal darauf, dass der Sessel unter ihm zusammen brechen würde. Doch das durften sie nie miterleben. Der Hocker war sehr solide.

Ganz besonders auffallend war auch, wie dieser Mann sprach, was er erzählte. Sein Wortschatz war um ein vielfaches größer, gegenüber dem der restlichen Bewohner. Auch die Aussprache war gewählter. Er hatte zwar einen leichten Wiener Dialekt, aber ein Hauch von „Burgtheaterdeutsch“ drang durch. Seine Stimme war tief und angenehm. Die Art und Weise wie er sprach, erinnerte mich ein wenig an Oskar Werner.

Zu Hause dachte ich immer öfter an diesen imposanten Mann. Verwarf diese Gedanken, freute mich dennoch immer auf die Dienste im Heim. Es war üblich, dass über Nacht ein Betreuer im Haus war und ein vertrauenswürdiger Bewohner welcher die Funktion des Portiers übernahm. Das Haus wurde um 23 Uhr geschlossen und niemand durfte danach mehr herein, schon gar nicht alkoholisiert. Das waren die Spielregeln.

Eines Abends, hatte ich die Idee mit den Leuten ein wenig zu malen. Ich brachte Pinseln, Farbe und Papier mit. Vorerst herrschte große Skepsis und keiner wollte so richtig mit tun. Ein paar verließen den Raum mit den Worten:"So ein Schas!"  Aber einige ließen sich doch dazu überreden. Der große Mann war begeistert von meinem Engagement. Es wurde ein besonders netter Abend im Saftbeisl.

Als die Leute schön langsam in ihren Zimmern verschwanden, die Lichter fast überall erloschen, machte ich mich auf den Weg in den Raum, wo ich mich üblicher Weise für die restlichen Stunden bis zum Morgen aufhielt. Ein kleines Zimmer mit dem Notwendigsten. Irgendwie konnte ich nicht einschlafen. Also ging ich nochmals hinunter, um mir einen Kaffee aus dem Beisl zu holen. Sah´ kurz in die Portierloge, ja heute war er wieder da. Er lächelte mich an und bat mich auch für ihn einen Kaffee mit zu bringen. Ich schlich in die Küche, und hoffte dass niemand aus dem Haus munter wurde. Dann huschte ich zu meinem Lieblingsnachtportier. Er erhob sich flink aus seinem Sessel und nahm mir den Kaffee ab, stellte ihn auf den Tisch und bot mir eine Zigarette an.

„Magst noch Plaudern?“, fragte er. Ich war hin und her gerissen.

Er ist doch ein Obdachloser, er ist so dick, worauf lass ich mich da bloß ein?

Ach was, wahrscheinlich ist ihm nur langweilig in seinem kleinen Nachtwächterkobel. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Darauf stand ein Telefon, eine kleine Stehlampe und da lag noch ein Buch. Es war seines. Ich setzte mich auf das abgenutzte Ledersofa. Wir saßen uns nun gegenüber. Eine Zeitlang sprachen wir nichts, wir tranken Kaffee und rauchten.

Doch dann wurde mir diese Stille unheimlich. Ich fragte: “Was liest Du?“

„Ulysses, von James Joyce, aber leider nur die Taschenbuchausgabe.“ Da ich mir keine Blöße geben wollte, tat ich so als hätte ich schon mal davon gehört. Doch scheinbar hatte er das bemerkt und wechselte schnell das Thema.

„Wie kommt eine attraktive Frau wie Du zu diesem Job?“ Oh, Gott war das eine abgedroschene Phrase zum anbandeln.

Allerdings mit dem riesengroßen Unterschied, dass ich nicht in einer Cocktail-Bar saß sondern meinen Nachtdienst im Männerwohnheim absolvierte. Außerdem hatte er nicht „schöne“ sondern attraktive Frau gesagt.

Um meine Verlegenheit etwas zu überspielen konterte ich: „Was macht ein so ein interessanter und belesener Mann wie Du hier?“ Wir lachten. Stück für Stück erzählte er mir mit seiner beeindruckenden Wortgewandtheit aus seinem Leben. Zwischendurch ging ich abermals Kaffee holen und stellte ihm dazu einen kleinen Teller mit einer Schwedenbombe (dunkle) auf den Tisch. Dabei berührte ich ihn ungewollt, oder war es doch mit Absicht?

Rasch setze ich mich wieder auf das alte Sofa und lauschte weiter seiner spannenden Lebensgeschichte. Keine Ahnung, was ich faszinierender fand, die Geschichte an sich oder wie er davon berichtete. Ich hatte noch nie einen Menschen getroffen, der so eindrucksvoll und bildhaft erzählen konnte. Gebannt lauschte ich seinen Worten. Umso länger ich zuhörte, desto wohler fühlte ich mich in dieser bizarren Situation.

Habe ich da grad ein Rendezvous im Obdachlosenheim, dachte ich zwischen den buntdekorierten Worten meines charmanten Gegenübers. Was mir da zu Ohren kam, konnte ich kaum glauben. Sein Leben unterschied sich völlig, von all den anderen, die ich hier im Haus schon gehört hatte. Trotz aller Tragik dieser Lebensgeschichte leuchtete in seinen Augen eine fröhliche Lebendigkeit sondergleichen. Einfach unvorstellbar noch knapp vor einem Jahr, wollte er seinem Leben ein Ende setzen. Durch Zufall wurde er in seiner neu bezogenen Wohnung, die noch völlig leer war, mit aufgeschnittenen Pulsadern gefunden. Er zeigte mir, fast ein wenig stolz, die Narben an seiner Hand. Ich wollte ihn anfassen, lies es aber sein. Diese Wohnung war in der gleichen Gasse, wo ich noch vor gar nicht allzu langer Zeit eine kurze aber intensive Beziehung mit einem Mann beendet hatte. Es war vielleicht nur ein Zufall, aber seltsam war es schon, weil diese Gasse eine Sackgasse mit sehr wenigen Häusern war. Ich fragte ihn nach der Hausnummer. Es war die Gleiche. Nach der Türnummer fragte ich nicht mehr, es war mir unheimlich.

Diese ganze Szenerie hier in diesen kargen ziemlich dunklen Raum mit einem fremden großen kräftigen Mann alleine, in einem Obdachlosenheim war ganz schön merkwürdig. Zwischendurch verließ er kurz den Kobel um auf die Toilette zu gehen. Ich nahm mir vor, endlich nach oben in mein Kämmerchen zu gehen. Er kam mit Kaffee und zwei Schwedenbomben retour. Ich ermahnte ihn, dass er eigentlich als Bewohner nicht alleine ins Beisl gehen dürfte. Mittlerweile war es 3 Uhr früh und ich sagte ihm, dass ich mich die restlichen 3 Stunden bis zum Dienstschluss noch niederlegen sollte

Es war der erste Moment in dieser Nacht, wo er nicht wusste, was er sagen sollte.

Nur in seinen Augen konnte ich lesen: „Geh´ noch nicht!“.

„Gute Nacht!“.

Ich stapfte die Stufen empor, öffnete  die Tür zu meiner bescheidenen Schlafstätte, versperrte diese vorsorglich und legte mich voll bekleidet ins Bett.

Völlig erschöpft starrte ich an die Decke. Die Gedanken rasten durch meinen Kopf – das geht doch nicht – wie soll das funktionieren – ein Mann ohne Existenzgrundlage – ich selber mit etlichen Problemen belastet – mein kranker Sohn – kein Job – und falls doch – was sagen meine Vorgesetzten dazu – wie reagieren die anderen Hausbewohner?

Mein letzter Gedanke, bevor ich einschlief: „Ich glaub, ich hab´ mich grad verliebt.“

Jetzt, wo ich mir diese Erinnerungen wieder in die Gegenwart geholt habe, wird mir noch mehr bewusst, wie intensiv diese Zeit war. Aber auch, wie unbeholfen ich mit einigen Situationen umgegangen bin. Eigenartig, damals hatte ich selten Angst.

Natürlich ist das noch lange nicht das Ende dieser ganz besonderen Erinnerung an einen ganz besonderen Menschen.

F o r t s e t z u n g  f  o l g t….

Vielen Dank!

Wie ist der Sex mit 180 kg? - 1.Akt

Wie ist der Sex mit 180 kg? - 2.Akt

Wie ist der Sex mit 180 kg? - 3.Akt

Wie ist der Sex mit 180 kg? - 4.Akt

Wie ist der Sex mit 180 kg? - 5.Akt - Finale

Wie ist der Sex mit 180 kg? - 6.Akt - Epilog

Mit dem Lift in den Himmel

Dies ist eine kleine Episode zu: Schuldig!

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