Wir schaffen das, ein Hilferuf?

Manchmal gelingt es Staatsmännern (nicht zu verwechseln mit dem gewöhnlichen Politiker) einen Satz zu formulieren, der sie um viele Jahrzehnte überlebt. Etwa jener des ersten legendären österreichischen Bundeskanzlers Leopold Figl, formuliert zu Weihnachten 1945, als die Republik noch in Trümmern lag: "Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich."

Oder 1987 die Aufforderung des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan an den Sowjetführer Michael Gorbatschow: „Reißen Sie diese (Berliner) Mauer nieder, Mister Gorbatschow“. Solche Sätze hallen noch lange nach.

Angela Merkel ist mit ihrem „Wir schaffen das“ im Kontext der aktuellen Asylkrise ganz ohne Zweifel ein Satz von vergleichbarer Wucht gelungen, ob die Formulierung die ihre war oder die Königsidee eines Beraters wissen wir nicht. Ist ja letztlich auch gleichgültig.

Es ist, wenn man etwas genauer hinhört, freilich eine äußerst ambivalente Formulierung, einerseits mit einer erfrischend zupackenden Botschaft, andererseits aber auch ein Eingeständnis, in Wahrheit keinen wirklichen Plan zu haben. Und das ist gar nicht gut so.

Erfrischend ist die Botschaft, weil sie dem in Deutschland und noch mehr in Österreich verbreiteten miespetrigen, an Fatalismus grenzenden  Fundamentalglauben an die Unlösbarkeit unlösbar erscheinender Probleme mit einer erfrischenden, etwas amerikanisch anmutenden „hands down“- Attitüde entgegentritt.

Man kann dieses „Wir schaffen das!“ freilich genauso als eine Art Pfeifen im Wald verstehen, Ausdruck einer Hoffnung, alles werde gut gehen, die durch keinerlei belastbaren Befund abgedeckt wird. „Wir schaffen das“, das klingt ein wenig nach dem verzweifelten Ausspruch eines Studenten vor der letzten großen Prüfung, der genau weiß, daß er viel zu wenig gelernt hat und durchfallen wird, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Aber, puuuh, Augen zu und durch, wir schaffen das..... Ein Student freilich kann es sich leisten, einfach zu hoffen, dass es schon irgendwie gut gehen wird, auch wenn wenig Anlass zur Hoffnung besteht. Politik jedoch, die so historische, zentrale Fragen von nationalem Interesse nach dem Prinzip Hoffnung beantwortet, hasardiert. Im Vergleich zu einem derartigen politischen Hasard erscheinen die Zockereien mancher Banken vor dem Crash von 2007 als geradezu hochseriöse Geschäfte.

Aber gleich, welche Lesart sich in ein paar Jahren als die zutreffende erweisen wird – Frau Merkel ist jedenfalls mit diesem Satz ein Muster superklarere politischer Kommunikation gelungen. Vor allem im Vergleich mit anderen Politikern. In Österreich kann man sich ganz gut vorstellen, wer diese Botschaft wie kommuniziert hätte. Die schaffen das nämlich nicht.

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Spinnchen

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Erwin Schmiedel

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