Eine Angst geht um in Europa, die Angst vor dem Überwachungsstaat. Genauso reflexartig wie die Forderung nach stärkerer Überwachung, erschienen auch deren ablehnende Mahner, nur wenige Tage nach den Anschlägen in Paris auf der Bildfläche. Und da ist sie wieder. Die alte Angst vor dem „Gläsernen Menschen“ und einer Regierung die jedes Geheimnis der Bevölkerung kennt und diese in jeder Lebenslage vollständig überwacht. Georg Orwells Roman „1984“ hat sich tief in unser Unterbewusstsein eingegraben.

Menschen scheinen allgemein zu Extremen zu neigen. Es verhält sich aber so: Wir leben in einem Rechtsstaat. Zwei der essentiellsten Pflichten eines solchen, ist es seine Bürger zum einen vor Gefahr zu schützen und zum anderen ihnen Freiheit zu gewährleisten. Diese beiden Grundpunkte kollidieren allerdings nicht selten miteinander. Freiheit ist immer mit Gefahr verbunden. Gefahr bringt die Forderung nach Sicherheit mit sich und Sicherheiten schränken regelmäßig Freiheiten ein. Der Rechtsstaat ist hier gezwungen einen Spagat zu machen um eine Mitte zu finden. Die Pariser Anschläge haben das Thema „Überwachung als Schutz gegen den Terror“ wieder in die vorderste Reihe katapultiert. Aber kann man das wirklich sagen? Schafft mehr Überwachung auch mehr Sicherheit? Die simple Antwort ist: JA.

Gegner dieser Ansicht werden jetzt meinen: Die Anschläge vom 13. November konnten trotz der höheren Überwachung - seit dem Charlie Hebdo Attentat - nicht verhindert werden. Das ist auch richtig.

Sehr wohl aber Andere. Alleine seit Mitte Jänner und Anfang April wurden in Frankreich fünf (!) geplante Anschläge vereitelt. Im Einsatz waren dabei, laut dem französischen Polizeisprecher, mehrere überwachende Instrumente, unter anderem die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Kann eine stärkere Prävention alle Angriffe verhindern? Nein. Kann sie die Zahl der tatsächlich ausgeführten auf ein Minimum verringern? Sehr wohl.

Viele Bereiche unseres Lebens werden überwacht und meistens haben wir auch gar kein Problem damit. Warum auch, immerhin sind sie nicht als Schikane, sondern zu unserem Schutz gedacht.

Um das an zwei simplen Alltagsbeispielen zu demonstrieren:

Will man eine Luftreise von Wien nach London machen, wird man am Flughafen zwangsläufig bei der Personenkontrolle landen. Und das aus gutem Grund. 1968 gab es sage und schreibe 28 Flugzeugentführungen. Um dem ein Ende zu machen wurden schließlich die verstärken Sicherheitskontrollen eingeführt. Wie viele Flugzeugentführungen der letzten Jahre würden Ihnen jetzt spontan einfallen und fühlt sich heute tatsächlich irgendjemand belästigt, wenn er vor dem Eintritt in die Luftmaschine noch durch einen Security-Check muss? Könnten Sie sich vorstellen, dass dieses Gesetz – aus Angst vor einem Überwachungsstaat – nicht existieren würde?

Aber genau hier haben wir es wieder: Das kollidierende Problem von Sicherheit und Freiheit. Ein Passagier wird mit seiner Handfeuerwaffe vermutlich kein Flugzeug besteigen dürfen. Ihm wird also die persönliche Freiheit verwehrt seine private Waffe in ein Verkehrsmittel mitzubringen, zum Schutz der anderen Flugreisenden. Diese Entscheidung wird heute kaum jemand anzweifeln, da die Verhältnismäßigkeit gegeben ist. Hier hat der Rechtsstaat den angesprochenen Spagat aus Überwachung und Freiheit vollzogen. Und dass diese Form der Überwachung – in 99,99% der Fälle – funktioniert dürfte offensichtlich sein. Würde man diese Prozedur aus hysterischer Angst vor dem Überwachungsstaat ablehnen, die Folgen wären eklatant.

Genauso verhält es sich beim Autofahren. Jeder Lenker wurde vermutlich schon einmal Opfer eines Planquadrats und musste ins Röhrchen pusten. Auch das ist keine Schikane, sondern ein Instrument um alkoholisierte Fahrer von der Straße fern zu halten. Wieder wird jemandem die Freiheit genommen sich betrunken hinter das Steuer zu setzen, um den Schutz und das Leben anderer Verkehrsteilnehmer zu wahren. Auch Fahrer die nicht unter dem Einfluss von Alkoholika stehen müssen sich dieser Kontrolle unterziehen. Natürlich kommt es immer wieder zu Fällen in denen Betrunkene verheerende Unfälle anrichten, denn die Polizei kann nicht jeden kontrollieren. Aber sie kann versuchen so viele wie möglich aus dem Verkehr zu nehmen um wiederrum das Risiko zu minimieren. Auch hier handelt es sich wieder um eine Form der Überwachung.

Selbstverständlich kann man diese Beispiele nicht eins zu eins auf den international operierenden Terrorismus umwälzen. Aber das Grundprinzip bleibt. Ohne strengere Kontrollen wird man der Bedrohung - die durchaus real ist - nicht beikommen können. Die Argumentation: „Strengere Kontrollen können dem Terrorismus nichts anhaben“ erinnert mich dabei immer ein bisschen an den klassischen Elternspruch: „Wenn dich in der Schule jemand ärgert, tu einfach so als wär es dir egal.“ Hat das schon jemals funktioniert? Ich glaube nicht. Haben Terroristen schon jemals einen Angriff abgeblasen weil sie zu wenig streng verfolgt wurden? Ich kann mich nicht daran erinnern.

Glaubt denn jemand ernsthaft, dass man organisierte Kriminalität und Terror, ohne jede Form der Überwachung und Verfolgung, beikommen kann?

Der Rechtsstaat muss eine gesunde Balance aus Sicherheit und Freiheit schaffen, ohne ideologischen Kampagnen und Stigmatisierungen, die aus Phantastereien über einen möglichen Überwachungsstaat entstehen, zu erliegen. Effektive Überwachungen, welche die Bürgerfreiheiten nicht einschränken oder belasten, werden niemals 100 von 100 Anschlägen verhindern können. Aber sie können sie auf das kleinste Übel reduzieren.

Natürlich muss die Überwachung Grenzen haben. Was anderes behauptet auch niemand. Der Rechtsstaat muss im Rahmen seiner Möglichkeiten aber alle Mittel ausschöpfen um die Freiheit seiner Bürger zu schützen, ohne diese zu nehmen. Denn ohne Freiheit hätte man bald auch nicht mehr viel, dass geschützt werden müsste.

Es ist Zeit einen Spagat zu machen und einen Konsens zu finden.

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Dieser Beitrag erschien als Teil einer Pro/Con-Diskussion. Den Contra-Artikel von Stefan Schett könnt ihr hier lesen.

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