Man möchte es ja kaum glauben, aber selbst bei Krebs gibt es gesellschaftliche Klassifikationen. Während sich dankenswerter Weise doch einige prominente Frauen mit ihrer Brustkrebserkrankung an die Öffentlichkeit wenden und dadurch vielen Betroffenen durchaus Mut zusprechen, oder neuerdings Lungenkrebs durch den bedauerlichen Tod eines bekannten Journalisten möglicherweise zum generellen Rauchverbot in Österreichs Gastronomie führen könnte, wird über die meisten anderen Krebsarten meiner Wahrnehmung nach relativ wenig öffentlich gesprochen.

Irgendwie verständlich, welcher Prostatakarzinompatient spricht schon gerne über seine Inkontinenz oder sogar Impotenz. Vaginal- oder Peniskrebs ist auch nicht gerade sehr charmant. Ich habe während einer meiner Reha-Aufenthalte eine Dame mit Analkarzinom kennengelernt, die mit ihrer Erkrankung sehr offen und keinesfalls verbittert umgegangen ist. Das hat aber einen großen Teil der Mitpatienten in der Rehaklinik sehr verstört, so mancher munkelte über die Entstehung derartiger Tumore und gleich wurde über eine besondere Sexualpraktik spekuliert. Bei der Diagnose Pankreaskarzinom, besser bekannt als Bauchspeicheldrüsenkrebs, hat das Umfeld meist leider berechtigt einen nahenden Tod im Auge. Mit ein Grund weshalb sich viele Menschen von den Erkrankten abwenden. Hautkrebspatienten haben laut öffentlicher Meinung meist genauso oft Schuld an ihrer Erkrankung wie Lungenkrebserkrankte. Ja so werden ständig Klischees erfüllt.

Zungenkrebs gehört zu den seltenen Krebsarten. Laut Statistik erkranken in Österreich ca. 230 Menschen jährlich neu daran. Größtenteils Männer über 60, Raucher mit schlechter Mundhygenie und oft mit einem Alkoholproblem behaftet. Aus meiner Betroffenbegleitung weiß ich, dass viele dieser Menschen aus sozial sehr schwierigen Schichten kommen. Das ist der Hauptgrund weshalb man des Öfteren und vollkommen überflüssig die Bezeichnung Sandlerkrebs zu hören bekommt. Ich hatte im Internet davon gelesen, aber als ich das erste Mal selber damit konfrontiert war, hat mich diese abschätzige Bemerkung doch sehr irritiert. Wehren konnte ich mich nicht, da dieser Vorfall zu einer Zeit stattfand, als ich wirklich wehrlos war.

Seit man nachweisen kann, dass Plattenepithelkarzinome im Mundhöhlenbereich auch durch HPV high risk (Human Papiloma Virus) verursacht werden können, hat sich die Pikanterie nochmals verschärft. HPV wird mitunter durch häufig wechselnde Sexualpartnerschaften gefördert. So wurde ich doch tatsächlich einmal in einer Runde mit Fachleuten aus dem Bereich Onkologie mit der Frage konfrontiert, ob ich zu viel herumgevögelt hätte (sic!).

Hätte ich die Wahl gehabt, für Sandlerkrebs hätte ich mich alleine wegen dieser Vorurteile nicht entschieden.

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Alexander Davidek

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fischundfleisch

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