Bald nach dem Tod meines Bruders kam die erste Ausschreibung der Behörde.

Damals, es war die Hochblüte der Ausschreibungen in Sachen Forstwegebau, wurden nur wenig Firmen kontaktiert. Es gab eine Liste, welche bei den Behörden auflag und es war schwer nachzuvollziehen, wie diese in eher willkürlicher Manier ausgearbeitet wurde. Das allerdings ist eine andere Geschichte. Eine äußerst delikate allerdings. Zugegeben. Ich werde Euch bald davon erzählen…

Zurück zu den Bäumen, die uns Menschen viel über die Beschaffenheit des Bodens verraten können.

Da lagen nun die ersten begehrten Ausschreibungsunterlagen. Texte, Vorgaben, Manuale. Versandt von einigen Forstabteilungen der Bezirkshauptmannschaften. Nun hieß es also, auf in den Wald.

Schon das Suchen der künftigen Baustelle war eine Herausforderung. Vor allem, wenn man nicht der gemeinsamen Begehung selbiger beiwohnen möchte. Ich entschied mich immer für eine Begehung in Ruhe. Als „Quereinsteigerin“ konnte ich das Stimmengewirr der Menschen nicht gebrauchen. Es musste ruhig sein, damit ich die Erde, den Boden „fühlen“ konnte. Das wiederum wusste ich intuitiv.

Ruhig ist es da draußen nur selten. Vielleicht ehe ein Gewitter kommt. Oder zu manchem Jahreszeiten, ehe der Tag erwacht oder sich der nächtlichen Gefährtin übergibt. Einsam fühlte ich mich „da draußen“ nie. Allerdings hatte ich zunehmend den Eindruck

„ich seh vor lauter Wald keine Bäume mehr“.

Gelotst haben jene mit Bändern markierte Bäume. Dicke und dünne. Manchmal waren kurze Stämme kennzeichnend für den Trassenverlauf. Selten gab es entlang der künftigen Forststraße lediglich noch Schneißen, wo die Bäume bereits umgeschnitten lagen. Wie aber wissen, welche Bodenbeschaffung unter dem Waldboden liegt? Diese Frage war stets die „Gretchenfrage“. Denn, die Bezahlung wurde pro gebauten Meter (Laufmeter) seitens des Bauwerbers errichtet. Pauschal, sozuagen. Jener wiederum erhielt einen beachtlichen Teil der Baukosten durch EU-Gelder rückerstattet. Es war „damals“ ein gutes Geschäft für den Bauwerber. Sofern er in der Zeit der satten, der guten Holzpreise seine Projekte durchführen ließ. Das preisliche Unterbieten der Baufirmen, wie auch „die Gretchenfrage“ bestmöglich zu lösen – nämlich: welches Gestein erwartet Mensch und Maschine - war des Bauwerbers „Zuckerl“. Oft schmeckte dieses süß für Selbigen. Und auf der Kehrseite bitter für die ausführenden Firmen und deren Beteiligten.

„Was meinst, ist der Boden hier bereits felsig?“ Eine wichtige Frage! Ich begann also die Bäume zu „fragen“. Sie anzusehen. Wie ihre Stämme gewachsen waren. Welche Gattung eigentlich wo stand. Welche Pflanzen wo wuchsen. Natürlich auch welcher Himmelsrichtung sie ausgesetzt waren. Im Laufe der Jahre verrieten mir jene scheinbar stummen Gesellen, wie auch der Waldboden so einiges über deren Leben.

Die Jahre vergingen, Erfahrung und Wissen stellte sich ein. Nie aber war man vor Überraschungen gefeit. Dieses vielfältige Leben da draußen, erfüllte mich von Tag zu Tag mehr.

Wenn ich Baustellen besuchte und den Geruch des Waldes, der Erde aufsog, da war mir, als fiele mit jedem Atemzug ein Stück meiner Sorgen, meiner Belastungen ab. Die Bilder welche mir die Natur bot waren so mannigfaltig, dass ich oft nur demütig schauen konnte. Es waren die dicken grauen Nebelgebilde, welche sich vom Waldboden hoben, das Glitzern der Tau- oder Regentropfen auf den Blättern des Waldes. In all seinen Farben, welche durch die Sonnenstrahlen bedingt so bunt sein konnten. Die Erzählungen der Tiere. Stumm, anhand ihrer Wege, die sich durch ihre Wanderschaft durch die Wälder auftaten. Die Stimmen des Waldes, welche die eigenen Gedanken verstummen ließen. Und immer wieder diese Gerüche!

All das waren die Momente, wo ich mein berufliches Dasein liebte. Trotz der Widrigkeiten. Trotz der stetig zunehmenden Intrigen. Allesamt durch die Triebfedern Habgier und den Drang nach Macht und dem „noch mehr“ entstanden. In dem menschlichen Getriebe dieses Berufsfeldes hat man achtsam zu sein. Und zäh. Denn, kein Tag ist wie der vorige.

Der Wald war stets mein Verbündeter. Nie „erzählte“ er mir Unwahrheiten. Wenn ich mich in meinen Berechnungen irrte, so lag es daran, dass ich zu wenig aufmerksam war. Hierfür mussten wir trotz unserer Arbeitsleistungen letztlich bezahlen. Gnadenlos. Der wirtschaftliche Ausgleich folgte allerdings bald darauf. Die Natur ist wohl so: fette Zeiten, magere Zeiten. Nehmen und Geben. Alles andere als romantisch. Und dennoch ist diese Welt nicht mit ihren angeblichen Beherrschern vergleichbar. Jene Herrscher - wir Menschen - haben das Spiel des Seins zusehends verlernt. Wir gestalten tagtäglich neue Lebensspiele. Ungeachtet dessen, wie viele Mitspieler wir aus dem Spiel drängen. Ungeachtet dessen, welches Leid wir diesen und deren Angehörigen zuteil werden lassen.

Es ist die Habgier, welche die meisten von uns treibt. „Geld regiert die Welt“. Und so kommt es, dass die Waage unseres menschlichen Daseins immer mehr aus dem Gleichgewicht gerät.

Denn vielen von uns ergeht es gerade jetzt so:

„ich seh vor lauter Wald keine Bäume mehr!“

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Silvia Jelincic

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