Als ich noch jung war, also unter der bösen Ziffer mit dem Zweier an der Zehnerstelle, da saß ich manchmal so, im Zug oder am Sessel oder wo ich eben so saß – das Sitzen selbst hatte nur periphär Einfluss auf die Gedanken – und dachte über das Leben nach, wie man das halt ab und an, bisweilen und zwischendurch macht, und ich dachte mir, ich würde gerne abgeklärt, weise und verständnisvoll sein. Diese Richtung, wo man auf alles eine Antwort hat. Aber das war ich eben noch nicht, sondern eher impulsiv und aufbrausend und einseitig. Wann endlich würde ich das erreichen, nachdem mein Leben doch schon bald zu Ende wäre – das war die Sache mit dem Zweier an der Zehnerstelle. Es ließ sich nicht aufhalten. Aber dann beruhigte ich mich selbst, indem ich dachte, das kommt mit dem Alter ganz von selbst. Wenn ich einmal erwachsen bin, dann kommt das, als wenn man einen Schalter umlegt, und das beruhigte mich ungemein. Allerdings warte ich immer noch, und mittlerweile haben sich die Zahlen an der Zehnerstelle schon mehrfach geändert. Richtig bewusst wurde mir das, als ich, wie immer mit großem Vergnügen, die Kolumne von Harald Martenstein in der Beilage der „Zeit“ las. Plötzlich fühlte ich mich wieder wie ein Teenager (ich schreibe jetzt nicht Teenagerin, denn ich vergewaltige niemanden, nicht einmal die Sprache, also eigentlich, die am allerwenigsten), denn ich verstand und verstehe die Welt nicht mehr.  Aber von Anfang an. Er zitiert hier den Nobelpreisträger Sir Tim Hunt, der in Südkorea vor jungen Wissenschaftlerinnen folgenden Scherz losließ:

„Es ist seltsam, dass ein chauvinistisches Monster wie ich gefragt wurde, vor Wissenschaftlerinnen zu sprechen. Lassen Sie mich von meinen Problemen mit Frauen erzählen. Drei Dinge passieren, wenn sie im Labor sind: Du verliebst Dich in sie, sie verlieben sich in Dich, und wenn Du sie kritisierst, fangen sie an zu heulen. Vielleicht sollten wir getrennte Labore für Männer und Frauen einrichten? Spaß beiseite, ich bin beeindruckt von der wissenschaftlichen Entwicklung Koreas. Und Wissenschaftlerinnen spielten dabei zweifellos eine wichtige Rolle. Wissenschaft braucht Frauen, und Sie sollten Wissenschaft betreiben trotz all der Hindernisse und trotz solcher Monster wie mir.“

Man kann sich über den Witz mokieren, muss man aber nicht, denn erstens ist der Bart daran so lang, dass er von hier bis nach Südkorea geht, aber er ist eingebettet in zwei selbstkritische Äußerungen, indem er sich selbst ein „chauvinistisches Monster“ nennt und zuletzt nennt er sich selbst nochmals als „Monster“. Und was dazwischen steht, das ist ein Kompliment an seine Hörerinnen. „Wissenschaft braucht Frauen“ ist für mich eine dezidiert  positive Aussage (aber irgendwer wird sich sogar daran stoßen). Es klang für mich wie die Aufforderung die gute Arbeit in diesem Sinne fortzuführen. So weit also meine Einschätzung.

Doch was dann geschah, das ist wirklich das Allerschlimmste, was möglich war. Nicht nur, dass über obgenannten Herrn ein Shitstorm hereingebrochen ist, und auch wenn ich nicht einmal das verstehe, so ist der mittlerweile so gängig, dass es kaum jemanden mehr zu berühren vermag. Damit jedoch nicht genug. Er wurde, wegen angeblichen Sexismus aus der Royal Society ausgestoßen und musste als Professor zurücktreten. Mit einem Schlag wurde seine akademische Karriere zerstört, von offenbar kleinkarierten, selbstgerechten, speichelleckenden Menschen.

Angesichts solcher Auswüchse an Herabwürdigung eines Menschen, bin ich gerne bereit noch einige Ziffern an der Zehnerstelle verstreichen zu lassen und pfeife auf Abgeklärtheit, Weisheit und Verständnis, indem ich schlicht und einfach sage, das ist eine Schweinerei.

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