Du, das ist der Anfang und das Ende. Du, das ist der Eintritt und der Austritt, Du, das ist die Fundierung und die Wölbung, Erde und Himmel. Beim Eintritt in diese Welt sehen wir Augen, die uns empfangen, Augen, denen wir uns zuwenden, weil wir keine Wahl haben, als einzutreten in den Raum des Blicks, der uns das Leben umfassend ermöglicht, der uns annimmt, wortlos und ohne Vorgabe, einfach weil wir da sind, vorurteilslos und ohne Bedingungen.

Warum haben wir es so schnell verlernt? Warum haben wir uns so schnell einreden lassen, dass die Annahme an Bedingungen geknüpft ist und nicht in unserem Sein gründet, wo wir doch genau das erleben durften? Wie schnell haben wir es uns aus und das Misstrauen einreden lassen, weil es eben so sein muss, und weil alles was wert ist auch einen Preis haben muss, und weil es keine Selbstlosigkeit geben kann, und weil ohne viele, lange Worte kein Zueinander möglich sein kann? Warum haben wir so schnell auf die direkte, wortlose Verbindung vergessen? Warum müssen wir erklären wofür es kein erklären gibt? Warum müssen wir die Worte dehnen? Viele Buchstaben, viel Aussage – und mit den vielen Buchstaben kommt die Verwirrung in die Welt, und die Sprachgestaltigkeit des Lebens an sich geht verloren. Ich bin Wort, indem ich mich sein lasse.

Ich bin Wort, indem ich mich Du sein lasse. Ich bin Wort, indem ich mich Dir Du sein lasse. Und wir gehen einen Schritt zurück, und der eröffnende Blick wird zum Spiegel, indem wir uns als Ich erkennen, und mit dem Erkennen entsteht der Wunsch nach Selbstbehauptung. Und mit der Selbstbehauptung meine ich mich gegen Dich schützen zu müssen, indem ich mich verschließe, alles dicht mache, Dich nicht mehr an mich heran lasse. Natürlich, Du musst es verstehen, denn es könnte ja sein, könnte immer sein, dass Du mich verletzt, dass Du mir zu nahe kommst, meiner spottest und mich bloßstellst. Immer kann es passieren.

Aber dabei übersehe ich, dass ich, indem ich mich schütze, vom lebensspendenden Miteinander abtrenne, dass ich mich isoliere und vereinsamen lasse, indem ich das kleine, vereinsamte Ich festhalte, das in mir erst recht zugrunde geht, weil es nicht mehr atmen kann, weil es keinen Raum mehr hat zu sein. Warum lassen wir uns so gerne einreden, dass die Gefahr der Verletzung immer vom Anderen ausgeht? Warum sehen wir nicht, dass die Verletzung, die wir uns durch unsere Isolation selbst zufügen, weitaus tiefgreifender ist, als es die durch den Verrat des Du je sein kann? Warum sehen wir nicht, dass wir uns als Menschen entfremden, indem wir versuchen und selbst nahe zu sein? Warum sehen wir unseren Wahn nicht, der meint, es ist Hab und Gut, das wir vor anderen verschließen, und nicht lebendiges Sein, das nur im Raum der Ansprache gedeiht? Du bist Wort, indem Du Dich sein lässt Du bist Wort, indem Du Dich Du sein lässt. Du bist Wort, indem Du Dich mir Du sein lässt. Und wir finden durch die Sterilität der langatmigen, abgenutzten Worthülsen zurück zur Einfachheit der Einsilbigkeit, zu den einfachen Worten, die Leben sind – und aus diesem Ursprung entsteht der wahre Dia.log.

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fischundfleisch

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Silvia Jelincic

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