Fluchtursachenbekämpfung im Widerspruch zu Flüchtlingsaufnahme?

Den verschiedenen Positionen der politischen Debatte rund um Flüchtlinge (egal, ob links oder rechts) kann man eine gewisse Vereinfachung nicht absprechen, eine gewisse Unfähigkeit oder Unwilligkeit, die Komplexitäten zu sehen oder zu thematisieren.

In der gestrigen Sendung Punkteins (13 Uhr ORF 1) wurde nur so am Rande erwähnt, dass aus Süd-Nigeria zahlreiche Menschen flüchten, ohne dass dort ein aktueller bewaffneter Konflikt herrsche.

Erstens einmal ist fraglich, ob wegen der vielfachen dortigen Terroranschläge und Auseinandersetzungen und auch heftigen früheren Kriegen (wie dem Biafra-Krieg der 1970er Jahre) tatsächlich Frieden und Vertrauen darin, dass dieser von Dauer sein werde, herrsche.

Zweitens ist Nigeria ein gespaltenes Land, mit einer muslimischen Dominanz im Norden und einer christlichen Dominanz in Süden; allerdings überwiegen die Muslime in Gesamt-Nigeria etwas, und stellen auch den Präsidenten Buhari.

Genau das ist der Grund bzw. einer der Gründe, warum zahlreiche Christen aus dem Süden flüchten, die Furcht vor einer Islamisierung des gesamten Landes.

Umgekehrt waren es vielleicht die vielen christlichen Flüchtlingswellen aus Nigeria in den letzten Jahrzehnten, die diese muslimische Mehrheit in Nigeria erst schufen. Anders gesagt: wenn in den 1960er- bis 1980er Jahren nicht soviele (Christen) aus dem Süden geflohen wären, dann gäbe es vielleicht gar keine muslimische Mehrheit, und die Notwendigkeit oder gefühlte Notwendigkeit, jetzt zu flüchten, existierte gar nicht. Noch einmal anders gesagt: die frühere Flüchtlingsaufnahme und die Flüchtlingskonvention hat Nigeria möglicherweise islamisiert und damit spätere viel größere Flüchtlingswellen verursacht.

Nigeria ist wegen seines Ölreichtums ein relativ reiches Land, bzw. könnte es sein. Allerdings gibt es gerade in Nigeria zahlreiche Widersprüche: für ein Land mit einem so hohen Einkommen hat Nigeria eine hohe Bevölkerungswachstumrate, sowohl unter des Muslimen (hauptsächlich des Nordens) als auch unter den Christen (hauptsächlich des Südens).

Erklärbar ist das durch den Geburtenreichtum als Instrument im Kampf um die Mehrheit, um die 51%, die für Herrschaft in einer Demokratie reichen.

In multiethnischen bzw. multireligiösen Gesellschaften gibt es ein Muster: die politischen Grenzen sind oft starr, kein Muslim wählt eine Christenpartei, kein Christ eine Muslimpartei.

D.h. Diskussion, parlamentarisches Parlieren ist unnötig und überflüssig, weil es niemanden zum Parteiwechsel bewegt.

Weil es keine durch Rhetorik oder parteipolitische Positionen verursachten Wählerwanderungen gibt, ist das Bevölkerungswachstum der eigenen Gruppe/Partei die einzige Möglichkeit, die Macht zu erobern, bzw. abzusichern.

Zusätzlich ist Nigeria aufgrund seines Ölreichtums ein sehr kriegsfähiges und bürgerkriegsfähiges Land. Der Ölreichtum ermöglicht Waffenkäufe, die oftmals für Kriege und Terror verwendet wurden und werden.

Und es gibt auch eine Art "Rohstoffreichtumsfluch": weil die Haupteinnahmequelle des Staatsbudgets die Rohstofflizenzen sind, kann der Staat kaum Steuern verlangen, was umgekehrt auch bedeutet, dass die nicht oder kaum existente Steuerleistung keinerlei Legitimation für die Bürger ist, mehr Transparenz, mehr Korruptionsbekämpfung zu verlangen.

Umgekehrt wie bei der US-amerikanischen Revolution des 18. Jahrhundert "No taxation without representation" gilt in rohstoffreichen Staaten oft das Prinzip "No representation without taxation". Die Bürgerzahlen zahlen kaum Steuern, also wieso sollten sie mitreden dürfen, wo doch die Haupteinnahmen des Staats aus den Rohstofflizenzen bestehen ?

Das alles sind sehr schlechte Voraussetzungen für die Entwickling einer Demokratie.

Viel vielversprechender trotz aller Probleme wäre vielleicht das sudanesische Modell: eine Spaltung in mehrheitlich muslimischen Norden und mehrheitlich christlichen Süden, aber ob der Norden den Verlust der Ölfelder im Süden akzepieren wird, ist fraglich.

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/nigerias-konflikt-der-religionen-und-ethnien-14237992.html

https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2018-08/nigeria-wahl-parlament-rueckblick-bilder-fs

https://www.welt.de/politik/ausland/article5643680/Nigeria-oelreich-und-religioes-gespalten.html

Einer der Hauptteilnehmer der gestrigen Punkteins-Sendung war Gerald Knaus, eben der "Wissenschafter" der ESI (Europäischen Stabilitätsinitiative), der den Merkel-Knaus-Plan ausgearbeitet hatte, der zum Brexit und zu einem europaweiten Rechtsruck geführt hatte.

Dieser Vertreter eines sogenannten Think Tanks beschränkte sich in dieser Sendung darauf, die von ihm mitbeeinflusste Politik auf Umwegen als falsch und unzureichend zu erklären und eine neuartige Politik zu fordern, ohne auch nur im Entferntesten anzudeuten, wie diese aussehen soll.

Ursprünglich gegründet war die ESI für Stabilität in Südosteuropa, und um zu verhindern, dass große Flüchtlingswellen den Balkan destabilisieren, mag es tatsächlich angezeigt gewesens sein, dass z.B. Deutschland große Mengen an Flüchtlingen aufnimmt.

Unterstützt wird die ESI auch von George Soros (Wikipedia bezeichnet ihn als "Philantropen", aber ob unbegrenzte und bedingungslose Migration tatsächlich als "philantropisch" bezeichnet werden kann, darf bezweifelt werden) und seiner sogenannten "Open Society Foundation". Der Begriff der "offenen Gesellschaft" leitete sich eigentlich von Karl Popper ab, der damit hauptsächlich ideologische Offenheit und Falsifikationsprinzip meinte. Soros verkrümmte dieses Konzept, indem er daraus die "offenen Grenzen" und die unbegrenzte Zuwanderung meinte.

Geocurrents / World Factbook ? http://www.geocurrents.info/cultural-geography/electoral-politics-and-religious-strife-in-nigeria

Wahlen in Nigeria 2011: Keine ideologischen Trennung (Arbeiterpartei in den Städten, konservative Partei am Land), sondern eine religiöse Trennung mit Nord-Süd-Spaltung mit eindeutiger Buhari-Präferenz im Norden und eindeutiger Jonathan-Präferenz im Süden.

Religionenkriege sind naheliegend und wahrscheinlich ein wesentlicher Fluchtgrund.

Islameinfo / AFP ? https://www.islametinfo.fr/2014/05/13/nigeria-boko-haram-ce-groupe-arme-qui-cache-une-guerre-sino-americaine/

Ölquellen im Süden; eine schwere Belastung und ein Spaltungshindernis, obwohl die Spaltung in mancherlei Hinsicht (zur Eindämmung von Flüchtlingswellen) angesagt wäre.

Nigeria ist übrigens auch das Hauptbetätigungs-Land von Boko Haram, der radikalislamistischen Terrorgruppe, deren Namen sinngemäß "Bildung ist Sünde" heisst, und die z.B. durh Entführung christlicher Schüler auf sich aufmerksam machte.

Nigeria ist laut Transparency International-Report dasjenige Land in Sub-Sahara-Afrika bzw. West-Afrika mit dem höchsten Korruptionswahrnehmungsindex (Dieser Index richtet sich nach der wahrgenommenen Korruption der Bürger und -innen).

Die UNO-Charta sieht das Selbstbestimmungsrecht der Völker vor, laut dem der Süden das Recht auf Abspaltung unter gewissen Bedingungen haben müsste - rein theoretisch, aber die Ölquellen des Südens könnten sich als Hindernis dafür erweisen.

Der Religionenkonflikt in Nigeria passt auch gut zur mittlerweile schon typischen Weihnachtsstimmung, die von Terroranschlägen von Islamisten auf christliche Weihnachtsmärkte überschattet ist wie gerade in Strassbourg.

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