Ist Putin-Kritische Gruppe im FSB für Nawalny-Vergiftung verantwortlich ?

Bereits in Zusammenhang mit der Vergiftung der Skripals habe ich auf eine Möglichkeit hingewiesen, die die westliche Politik in ihren Wortmeldungen hartnäckig zu ignorieren scheint: dass nämlich eine dissidente, putin-kritische Gruppe innerhalb des russischen Geheimdiensts FSB für Vergiftungen wie die der Skripals oder von Nawalny verantwortlich sein könnte.

Damals sprach der genaue Zeitpunkt, kurz vor einer Wahl dafür, ein Aspekt, der heute fehlt, dennoch besteht die Möglichkeit.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in ihrer üblichen "defensivkünstlerischen" (copyright Herfried Münkler) Art vermied zwar jede direkte und eindeutige Beschuldigung von Putin, sie formulierte aber so, dass man vermuten könnte, sie meint eine direkte Verwicklung Putins im Sinne einer Befehlskette. Hingegen andere Möglichkeiten wie eine dissidente Gruppe innerhalb des Geheimdiensts (oder der Armee) liess Merkel völlig unerwähnt.

Gerade in Anbetracht des geringen Wissens der Österreicher und Deutschen über Dissidenz (also Abweichlertum, Zuwiderhandeln den Vorgaben) in Geheimdienst- und Militärapparaten und ihre möglichen Entstehungsumstände hätte wohl eine Verantwortung bestanden, auf diese Möglichkeit hinzuweisen.

Derartige Dissidenz innerhalb dieser Apparate ist oft eine Folge von mangelhafter Demokratie bzw. diktatorischen Tendenzen. Auch die extreme Machtkonzentation in der Person Putins kann man als als Verstoss gegen die föderalistischer Verfassung der russländischen Föderation betrachten, ebenso wie die Verfassungsänderungen, um Putins ewige "Wiederwahl", wie auch immer man diesen Vorgang bewerten mag, problematisch waren.

Auch der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag, Jürgen Hardt, wählte eine problematische Formulierung, die eine Fehlinterpretation nahelegt: "Für die CDU/CSU-Fraktion liegt auf der Hand, dass dieser Giftstoff nur mit Hilfe der russischen Regierung beschafft und hergestellt werden konnte". Dies ist gleich aus zwei Gründen fragwürdig: erstens ist die grundsätzliche Beschaffenheit des verwendeten Giftstoffs Nowitschok international bekannt, sodass dieser praktisch überall hergestellt werden kann.

Zweitens würde auch eine Herstellung auf Befehl der russischen Regierung nicht automatisch bedeuten, dass der Einsatz auf Befehl der russischen Regierung erfolgte - siehe Dissidenz-Theorie, die von der westlichen Politik konsequent geleugnet und verschwiegen wird. Auch deutsche oder österreichische oder sonstige europäische Waffen gelangen oft auf Umwegen (z.B. als Beutewaffen) in die Hände von Kriegsparteien, die damit Kriegsverbrechen begehen, was aber keine direkte Verwicklung von Deutschland oder Österreich oder anderen europäischen Ländern in diese Kriegsverbrechen bedeutet.

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/anti-putin-fraction-within-russian-secret-service-responsible-for-skripal-poisoning-45601

(13.4.2018)

Auch die Aufforderung des britischen Aussenministers Dominic Raab, Russland (gemeint: die russische Regierung) müsse endlich die Wahrheit sagen, suggeriert wohl eher eine direkte Mitschuld der russischen Regierung, die aber möglicherweise gar nicht gegeben ist: wie soll Putin / die russische Regierung die Wahrheit sagen, wenn/falls er oder sie die Wahrheit gar nicht kennt ? Gar nicht weiss, wer für den Einsatz des Giftstoffes verantwortlich ist ? Die Möglichkeit einer indirekten Mitschuld über Dissidenz als Folge des Despotismus wird zuwenig diskutiert.

Aber eine ähnliche Kritik könnte man wohl auch an der russischen Regierung üben. Denn zuzugeben, dass möglicherweise eine putin-kritische Gruppe innerhalb des Geheimdiensts (oder der Armee) für den Einsatz verantwortlich ist, könnte auch als Verlust der Staatsgewalt bzw. als Verlust der Kontrolle über kritische Teile des Staatsapparats gewertet werden und diese Staatsgewalt, die Kontrolle über den Staatsapparat ist eines der Kriterien für eine völkerrechtliche Anerkennung, d.h. mit dem Eingeständnis des Kontrollverlusts würde Putin / die derzeitige Regierung der Russländischen Föderation (so der offizielle Titel aufgrund der föderativen Verfassung) die völkerrechtliche Anerkennung verlieren und wäre quasi vogelfrei, könnte also rein rechtlich militärisch gestürzt und regime-gechanged werden, so wie die Saddam-Hussein-Regierung im Irakkrieg von 2003.

Dieser Verlust der völkerrechtlichen Anerkennung wäre regime-change-mäßig wahrscheinlich im Falle eines so mächtigen und militärisch starken Landes wie Russland bedeutungslos, weil sich weltweit niemand finden würde, der sich trauen würde, einen militärischen Umsturzversuch in Moskau auch nur zu versuchen, aber dennoch wäre die Wahrheit über Kontrollverlust und damit zusammenhängenden Verlust der völkerrechtlichen Anerkennung etwas, was Putin/der russischen Regierung international oder in innenpolitischen Wahlkämpfen schaden würde. Auch die Frage etwaiger Sanktionen würde sich im Falle einer indirekten Schuld von Putin genauso ergeben wie im Falle einer direkten Schuld, auch wegen des Kontrollverlusts und seiner Bedeutung für die Anerkennungsfrage.

Auch das Sich-Festlegen großer Teile der westlichen Politik auf eine "moralische Verwerflichkeit" der Vergiftung von Nawalny schliesst die Möglichkeit einer dissidenten Gruppe innerhalb von Geheimdienst/Militär aus, die aber den moralisch positiven bzw. moralisch u.U. vertretbaren Hintergrund haben könnte, durch derartige Vergiftungsaktionen und das Echo darauf einen - zumindest teilweisen - Ausgleich für die demokratiepolitisch problematische Bevorzugung von Putin und Putins Partei "Haus Russland" durch russische Medien zu schaffen.

Auch Formulierungen wie "Versuchter Giftmord" und "Nawalny sollte zum Schweigen gebracht werden", wie sie Medienberichten zufolge Merkel verwendet haben soll, scheinen die Möglichkeit einer dissidenten Gruppe innerhalb der russischen Sicherheitskräfte auszuschliessen und sind aus dieser Perspektive her potenziell kritisch zu werten. Man kann auch vermuten, dass Nawalny nicht mehr leben würde, wenn der russische Geheimdienst ihn tatsächlich auf Befehl Putins oder mit stillschweigendem Einverständnis Putins hätte töten wollen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Alexei_Anatoljewitsch_Nawalny#Giftanschlag

CC / Evgenij Feldman https://de.wikipedia.org/wiki/Alexei_Anatoljewitsch_Nawalny#/media/Datei:Alexey_Navalny_2017.jpg

Alexej Anatoljewitsch Nawalny: der Putin-Kritiker und Oppositionelle, seine Vergiftung und deren Behandlung durch die westliche Politik werfen zahlreiche Fragen und Probleme auf, die auch die Handlungsfähigkeit globaler Institutionen wie des UNO-Sicherheitsrats, in dem Russland/ die russländische Föderation ein Vetorecht besitzt, stark beeinträchtigen könnten.

Der Konflikt zwischen dem Westen und Putin/Russland hat auch eine sehr schwerwiegende Tiefenstruktur: auch der trotz russisch-chinesischer Ablehnung erfolgte einseitige Irakkrieg 2003 und die ebenso einseitige Abspaltung des Kosovo 2006 vom traditionell durch Panslawismus und Panorthodoxie mit Russland verbundenen Serbien waren Aspekte in der Vergiftung des Klimas zwischen Westen und Russland, die erwähnt werden sollten.

Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass der russische Präsident Vladimir Vladimirowitsch Putin eine konstruktive und kooperative Rolle spielte im Jahr 2001 und Russland im Falle der Afghanistan-Intervention des Westens im UNO-Sicherheitsrat damals eine kooperative Linie betrieb.

Auch bezüglich der im Westen als völkerrechtlich bezeichnete sogenannten "Annexion" der Halbinsel Krim 2014 durch Putin/russische Kräfte blieben im Westen einige Dinge unerwähnt: die Krim war von 1774 bis ins Jahr 1954 immer russisch gewesen, wurde aber 1954 durch eine Entscheidung des damaligen sowjetischen Staatschefs Chruschtschow von Russland an die Ukraine übertragen, ohne Volksabstimmung, was als Grundlage für das in der UNO-Charta verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker erforderlich gewesen wäre. Eine Wiederholung der Abstimmung auf der Krim über die Zugehörigkeit derselben unter internationaler Abstimmungsbeobachtung bleibt nach wie vor eine Möglichkeit.

Ich stimme übrigens mit der im betreffenden Artikel erwähnten Theorie des in den USA lebenden Sohnes von Nikita Chruschtschow, Sergej Chruschtschow, es seien rein ökonomische Gründe (Eisenbahnlinienbau oder Kanalbau leichter, wenn Krim Teil der Ukraine ist) ausschlaggebend für die Übertragung gewesen, nicht zu, weil die dominante Ebene eben die sowjetische war, sondern vertrete vielmehr die Auffassung, es sei möglich, dass eine Schwächung Russlands und eine Stärkung der Ukraine für den Ukrainer Chruschtschow speziell nach Stalins Holodomor in der Westukraine, Chruschtschows Hauptgrund gewesen sein könnte, was er allerdings nicht öffentlich zugeben konnte, ohne massiven Widerstand von seiten der russischen Teilrepublik der UdSSR, der mit Abstand mächtigsten Teilrepublik, hervorzurufen. Ein weiterer Aspekt besteht darin, dass Chruschtschow 1954 seine Macht als ungefestigt betrachtet haben könnte und diese Verschiebung umsetzen wollte, bevor für ihn Ablösungsgefahr bestand.

Allerdings blieb z.B dieses Ereignis, der Holodomor in der Westukraine eine Belastung für die Ukraine, die dieses Land entlang eines Ost-West-Unterschieds spalten sollte; und diese Belastung war derart massiv, dass man daran zweifeln kann, ob die Ukraine als (demokratischer) Staat mit einem beträchtlichen Anteil russischer, russisch-stämmiger bzw. pro-russischer Bürger jemals funktioniert hätte. Diese Zweifel an der nachhaltigen Funktionsfähigkeit der Ukraine diskreditieren bis zu einem gewissen Grad sowohl die westlichen als auch die russischen Versuche, die Ukraine als Ganzes ohne tiefgehende Reform in ihren Machtbereich zu integrieren.

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Leela Vogel

Leela Vogel bewertete diesen Eintrag 03.09.2020 18:45:45

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