Totalanfechtung Wien-Wahl. Dringend !

Für eine Totalanfechtung der Wien-Wahl von vor dreieinhalb Wochen suche ich dringend eine wahlwerbende bzw. wahlgeworben habende Gruppe.

Es geht dabei um eine Verfassungswidrigkeit auf Bezirksebene, ihre Auswirkungen auf die Landtags- / Gemeinderatsebene, die Nichtpublikation der beiden vorangegangenen Sachverhalte durch Medien, sowie die Auswirkungen dieser Nichtpublikation auf die Wahlen selbst, und zwar auf beiden Ebenen.

Beginnen wir mit VfSlg 8.321, einem Verfassungsgerichtshofurteil aus dem Jahr 1977/1978. Es ging dabei um burgenländische Wahlkreise, und um die Frage, ob es verfassungsrechtlich erlaubt sei, dass das Burgenland aus einem einzigen Wahlkreis bestehen darf. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) befand: "Nein, darf es nicht." Die Argumentation war, dass in der Verfassung, also im B-VG §95(3) steht: "Die Wähler üben ihr Wahlrecht in Wahlkreisen aus" (also eine "Wahlkreise"-Pluralformulierung). Und aus dieser Pluralformulierung kann man ableiten, dass es mindestens zwei sein müssen, so der VfGH.

Dasselbe Argument läßt sich natürlich auch auf eine andere Formulierung anwenden, nämlich B-VG §116(1) "Jedes Land gliedert sich in Gemeinden" (Pluralformulierung, also mindestens zwei Gemeinden). In den Ausnahmebestimmungen des B-VG §108-112 für Wien findet sich keine Ausnahme von der Vorschrift, sich in mehrere Gemeinden zu gliedern. D.h. die Verpflichtung, sich in mindestens zwei Gemeinden zu gliedern, gilt auch für Wien. Und die Wiener Bezirke sind die einzige Struktur, die diese Pluralerfordernis erfüllt.

Die Wiener Bezirke sind daher eigentlich Gemeinden. Bisher konnte man die Position vertreten, für die Wiener Bezirke dürfen andere Regeln und auch Wahlregeln (z.B. die Bezirksvorsteherwahlregel, nach der die Hälfte der Abgeordneten der stimmenstärksten Partei den Bezirksvorsteher stellen darf) gelten als für Gemeinden. Bisher konnte man argumentieren, für die Wiener Bezirke gelten weder die Vorschriften der Verfassung Länder betreffend noch die Vorschriften der Verfassung Gemeinden betreffend, weil Bezirke eben weder Länder noch Gemeinden seien. Aber wenn die Wiener Bezirke Quasi-Gemeinden sind, weil Wien sich in mehrere Gemeinden gliedern muss, dann stimmt das natürlich nicht mehr, und für Wiener Bezirke müssen dieselben Regeln gelten wie für sonstige Gemeinden, z.B. Verhältniswahlrecht B-VG §117 (der Bezirksvorsteher muss dann entweder direkt durch die Gemeindemitglieder oder von einer absoluten Mehrheit der Bezirksräte, nicht mehr von der Hälfte der Bezirksräte der stimmenstärksten Partei gewählt werden).

Dieser Unterschied verändert natürlich auch das Wahlverhalten: ein Teil der Wählerschaft denkt, dass für die Wahl des Bezirksvorstehers bzw. der Bezirksvorsteherin die relative Mehrheit der stimmenstärksten Partei ausreicht und richtet danach sein Wahlverhalten aus, während in Wirklichkeit die absolute Mehrheit der Bezirksräte nötig wäre (aber okay, man kann argumentieren, dass das alte Gesetz gilt, bis der VfGH es aufgehoben hat).

Wahlsysteme verändern aber nicht nur das Verhalten der Wähler und -innen, sondern auch der Politiker und -innen. Das Wahlbündnis zwischen FPÖ und Ursula Stenzel wäre wahrscheinlich eher nicht gebildet worden, wenn die Wahlregelung bzgl. Bezirksvorsteher eine andere wäre. H.C. Strache sagte ja auf der Pressekonferenz nach der Einigung mit Stenzel, dass Chancen der FPÖ für die Bezirksvorsteherwahl im ersten Bezirk bei der Entscheidung, sich mit Stenzel zu einigen, eine Rolle gespielt hatten. Bei einem rein theoretischen getrennten Antreten hätten FPÖ und eine etwaige "Liste Stenzel" zusammengerechnet eine andere Stimmenzahl erreicht als die Liste FPÖ-Stenzel.

Jetzt zum Spezifikum der Liste FPÖ-Stenzel: Ursula Stenzel wurde nicht FPÖ-Mitglied, sondern sie ist unabhängige Kandidatin auf der Liste, deren Mitglieder mehrheitlich der FPÖ angehören. D.h. man kann diese Liste als eine Mischliste mit mindestens einem unabhängigen Kandidaten bzw. mindestens einer unabhängigen Kandidatin betrachten. Und ob einer solche Liste Wiener Parteienförderung zusteht, ist fraglich: das WrPartFG normiert, dass als politische Parteien im Sinne dieses Gesetzes die im Wiener Landtag/Gemeinderat vertretenen Parteien, bzw. die in den Bezirksvertretungen vertretenen Parteien gelten.

Es stellt sich die Frage: ist nun die FPÖ als Partei in den Wiener Vertretungskörpern vertreten und verdient Parteienförderung, oder ist eine Mischliste, deren Teil die FPÖ ist, vertreten und verdient daher keine Parteienförderung, weil eine Mischliste eben keine Partei ist ?

Genau dieser Interpretationsspielraum des 2013 von Rot-Grün beschlossenen Gesetzes, der eigentlich verfassungswidrig ist (denn Gesetze müssen präzise / bestimmt sein), war sehr vielen Leuten, die auch nur am Rande mit Politik zu tun haben, bekannt, aber eben Strache nicht. Strache hätte, so wie ich als Bundesvorstand einer wahlbündnisorientierten Partei rein sicherheitshalber ein VfGH-Verfahren einleiten müssen, um zu gewährleisten, dass auch Mischlisten sicher Parteienförderung erhalten (die FPÖ kann jetzt sehr grob gesprochen ca. 1000mal mehr verlieren, als ein VfGH-Verfahren gekostet hätte). Kurioserweise enthält das Wiener Parteienförderungsgesetz die Formulierung "Das Land als Träger von Privatrechten fördert die Tätigkeit der politischen Parteien in Wien nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes.", obwohl politische Parteien und ihre Förderung ganz eindeutig ins öffentliche Recht gehört, nicht in private.

Was auch kurios ist am WrPartFG: wenn es darum geht Parteienfinanzierung zu bekommen, dann verwendet es den Begriff "Parteien" ohne Zusätze §3(3). Wenn es hingegen darum geht, die Wahlkampfspenden zu begrenzen, dann verwendet es die Formulierung "politische Partei und jede wahlwerbende Partei, die keine politische Partei ist", §7 (1).

Der Hintergrund des von Rot-Grün 2013 beschlossenen WrPartFG ist folgender: bereits damals kündigte sich an, dass Piraten und KPÖ ein Wahlbündnis machen könnten. Und einem zusätzlichen Konkurrenten muss aus SPÖ-Machtlogik heraus wohl das Leben so schwer wie möglich gemacht werden, notfalls auch mit verfassungswidrigen Gesetzen.

Ganz besondere Bedeutung hat das auch in Hinblick auf die Entscheidung des Magistrats Wien, dem Wahlbündnis Wien-Anders die Nutzung von Plakatständern zu verweigern, die durch die KPÖ angemeldet waren, obwohl die KPÖ Teil des Wahlbündnisses Wien-Anders war. Jeder, der die politische Szene nur ein bißchen beobachtete, wußte, dass der Wiener Magistrat extrem hart entscheidet, wenn es im Zusammenhang mit Wahlbündnissen irgendwelche Interpretationspielräume gibt. Jeder - nur eben Strache nicht.

Ich habe Wochen vor der Wahl Texte mit diesem Inhalt an verschiedene Medien versandt. Aber alle diese Medien veröffentlichten die Texte nicht. Als Reaktion auf den "Presse"-Gastkommentar "Warum kein Bürger-Bürgermeister für Wien ?" schrieb ich einen Text, der alles oben Gesagte enthielt. Mit Hinweis auf das VfGH-Urteil, das auch eine Bezugnahme auf die B-VG-Erfordernis nach dem "geschlossenen Gebiet" enthält: Artikel 95(3)Die Wähler üben ihr Wahlrecht in Wahlkreisen aus, von denen jeder ein geschlossenes Gebiet umfassen muss

Statt meinen Text zu publizieren, der eine wahlbeeinflussende Bedeutung hatte, informierte scheinbar ein Mitarbeiter der Tageszeitung "Die Presse" heimlich die ÖVP NÖ, denn Niederösterreich hatte bzw. hat seit 1993 ein verfassungswidriges Wahlsystem, weil der Wahlkreis Wien-Umgebung eben kein geschlossenes Gebiet darstellte. Jede der niederösterreichischen Parteien hätte die Aufhebung der Niederösterreichischen Landtagswahlordnung wegen Verfassungswidrigkeit mit Erfolg begehren können, aber keine tat es - und das mehr als 20 Jahre lang. Und drei Tage nach meinem Brief / Gastkommentarentwurf an die "Presse" wurde der Bezirk/Wahlkreis Wien-Umgebung abgeschafft, bzw. seine Abschaffung eingeleitet, na so ein Zufall aber auch ;)   Nachdem mehr als 20 Jahre lang niemandem die Verfassungswidrigkeit aufgefallen war, ging´s auf einmal nach meinem Brief ganz schnell.

Ähnliches passierte mir auch bei der NZZAT: ich kontaktierte selbige wenige Tage nach Auflösung bzw. Auflösungseinleitung des Bezirks/Wahlkreises Wien-Umgebung mit einem Text, der Alles erläuterte, samt dem Konnex "Presse"-Leserbrief-Wien-Umgebungs-Auflösung, und wieder wurde nichts publiziert.

Rechtswidrigkeiten in Zusammenhang mit Publikationen sind, wenn sie eine wahlbeeinflussende Wirkung haben, ein zugkräftiger Anfechtungsgrund, und oft wird in ähnlichen Fällen einer Anfechtung stattgegeben mit Argumenten wie "Im Hinblick auf die Art der erwiesenen Rechtswidrigkeiten ist weiters davon auszugehen, dass diese auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnten."

Im Fall Sittersdorf ging es um eine rechtswidrige Publikation im Vorfeld der Bürgermeister-Wahl, nicht um den Wahlprozess an sich. Der Fall ist nicht 100% identisch, aber ähnlich genug: in meinem Fall ging es um die Nichtpublikation von Rechtswidrigkeiten, deren hypothetische Publikation die Wahlen wahrscheinlich beträchtlich verändert hätte. Das heisst, es bestand so wie in anderen Fällen, in denen einer Anfechtung stattgegeben wurde, ein Zusammenhang bzw. mutmaßlicher Zusammenhang zwischen Rechtswidrigkeit und Einfluss auf das Wahlergebnis. Wenn die Medien, die ich kontaktierte, meine Texte schnell, also vor der Wahl veröffentlicht hätten, dann wäre ganz Wien klar, das H.C. Strache sowohl in Hinblick auf die Bezirksvorsteherregelung als auch in Hinblick auf den nun drohenden Verlust der FPÖ-Wien-Parteienfinanzierung massive juristische Fehler machte. Und als Folge davon wäre die Wahl beträchtlich anders ausgegangen.

Was mir jetzt einzig und alleine noch fehlt, ist eine wahlwerbende Gruppe, die bereit ist, bis Sonntag diese Argumente als Anfechtung einzubringen, das müsste dann reichen für eine Totalwiederholung der Wien-Wahl, in allen Bezirken und auf Landtags-/Gemeinderatsebene. Ich würde mich auch kostenmäßig beteiligen. Laut Verfassungsgerichtshofgesetz dürfen derartige Wahlanfechtungen nur von wahlwerbenden Gruppen eingebracht werden, während meine Partei knapp daneben, nämlich nur eine wahlteilnahmeanstrebende bündnisorientierte Partei war bzw. ist. Knapp daneben ist eben auch vorbei.

Daher: wahlwerbende Gruppe, bitte dringend melden ! Wer auch immer als Partei am Wahlzettel stand, kann diese Argumente einbringen. Allerdings nur mehr bis Samstag, den 7.11.; ob eine Einbringung am Sonntag, dem 8.11. noch ausreicht, ist fraglich. Es könnte auch auf die Uhrzeit ankommen. Und Präzedenzfälle für die Einbringung genau am letzten Tag der Frist habe ich momentan nicht bei der Hand.

Dieter Knoflach, Bundesparteivorstand der RSD (realpolitische Sozialdemokratie)

P.S.: ich wäre ja gespannt, wohin eine etwaige Debatte laufen würde, falls die Anfechtung Erfolg hätte, wer die Schuld daran trüge, dass ca. 20 Millionen Euro für einen Wahlkampf verschwendet wurden, der völlig irregulär war (auch in Anbetracht der wohl manipulativen Meinungsumfragen, die Kopf-an-Kopf prognostizierten, während in Wirklichkeit ein 9%-Vorsprung herauskam, obwohl die Schwankungsbreite bei 99% Konfidenz ca. 3-4% beträgt). Wäre Strache schuld, wären es Medien, wären es die Parteien, die die Verfassungswidrigkeit jahrzehntelang nicht entdeckten ?

P.P.S.: die SPÖ oder die Grünen hätten natürlich genau diese Kritik an Strache (Fehler, die auf Verlust der FPÖ-Parteienfinanzierung hinauslaufen können) auch schon im Wahlkampf üben können, haben aber genau das nicht getan. Was sagt uns das ? Dass SPÖ und Grüne Strache als Feindbild aufrechterhalten wollten, weil er eben wegen seiner Mängel ein Gegner ist, der nie eine Chance auf Bürgermeisteramt bzw. Kanzleramt hatte und hat ?

Quellen:

Bundes-Verfassungsgesetz:

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000138

VfSlg 8.321 (Pluralformulierungen bedeuten "mindestens zwei";):

http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=vfb&datum=0043&page=382&size=45

Wiener Parteienförderungsgesetz:

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrW&Gesetzesnummer=20000317

Pleschberger-Artikel in der Tageszeitung "Die Presse":

http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/4811338/Warum-kein-BurgerBurgermeister-fur-Wien?from=suche.intern.portal

erfolgreiche Wahlanfechtung Sittersdorf:

http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Vfgh&Dokumentnummer=JFR_20150925_15W_I00005_01&ResultFunctionToken=ce21eac9-4517-4f56-88da-82dc1d25f100&Position=1&Entscheidungsart=Undefined&Sammlungsnummer=&Index=&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False&GZ=&VonDatum=&BisDatum=05.11.2015&Norm=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=Wahlanfechtung

Verfassungsgerichtshofgesetz:

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000245

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