Vonn, Shiffrin oder Moser-Pröll ? Streit um beste Alpinskisportlerin

Ein US-Magazin schlagzeilte "Shiffrin beste Alpinskisportlerin aller Zeiten".

Die Folge war das, was österreichische Boulevard-Medien als "Zickenkrieg im US-Team" bezeichneten: Lindsay Vonn twitterte, sie sei die größte Alpinskisportlerin, und nicht Shiffrin, weil sie, Vonn, 78 Weltcupsiege (inklusive dem heutigen) erreichte hatte, hingegen Shiffrin "nur" 41.

Allerdings: Vonn ist 33 Jahre alt, Shiffrin 22. D.h. die Annahme ist plausibel, dass Shiffrin wahrscheinlich im Alter von 33 mehr Weltcupsiege haben wird als Vonn heute bzw. am Ende ihrer Karriere (es sei denn, sie erleidet eine schwere Verletzung, was im Spitzensport viel häufiger vorkommt als bei Normalmenschen). Die deutsche Sportschau spricht davon, Shiffrin sei auf Legendenkurs.

Wenn man "die beste Alpinskisportlerin aller Zeiten" definiert als diejenige Frau, die im Jänner den größten Vorsprung auf die Zweitplatzierte in Weltcuppunkten hatte, dann ist vielleicht in der Tat heute schon Mikaela Shiffrin die Beste. Ich kann mich nicht erinnern, dass schon jemals im Jänner eine Läuferin mehr als 1200 Weltcup-Punkte hatte, hingegen die Zweitplatzierte "nur" weniger als 600.

Zur Ehrenrettung des sowieso allzuhäufig als Nazi-Brutstätte gebrandmarkten oder mit Australien verwechselten Austria kann ich natürlich nicht anders, als zu behaupten:

Annemarie Moser-Pröll ist die größte Alpinskisportlerin aller Zeiten.

Sie erreichte zwar nur 62 Weltcupsiege, aber das zu einer Zeit, als es erstens nur drei Disziplinen gab (Slalom, Riesenslalom, Abfahrt), während es heute fünf gibt (Super-G und Kombination sind dazugekommen);

und als es zweitens pro Disziplin weniger Rennen pro Saison gab als heute.

Wnn man Moser-Prölls Anteile an Siegen pro Saison hochrechnet auf heutige Zahlen der stattfindenden Rennen, könnte Moser-Pröll ein Weltcupsiege-Äquivalent von 120 oder 130 erreichen, das sowohl Shiffrin als auch Vonn schlecht aussehen lassen würde.

Auch was Seriensiege in einer Disziplin betrifft, so ist Annemarie Moser-Pröll mit einer Serie von 11 Siegen unübertroffen und Rekordhalterin (nämlich in der Abfahrt). Weder Vonn noch Shiffrin konnten eine derartige Serie erreichen. Besser war nur ein Mann, nämlich der Schwede Ingemar Stenmark mit 14, und zwar im Riesenslalom.

Auch was die Gesamtweltcupsiege betrifft, so liegt Moser-Pröll mit 6 vor Vonn mit 4 und vor Shiffrin, aber wie gesagt, Shiffrin ist noch jung. Hirscher liegt übrigens auch bei 6.

Vonn liegt hingegen bei den Abfahrtsgesamtweltcupsiegen (also in der als "Königsdisziplin" bezeichneten Disziplin) mit 8 vor Moser-Pröll mit 7 und vor Renate Götschl mit 5 (so viel Steirerblut muß mir erlaubt sein) und Franz Klammer mit ebenfalls 5.

In Riesenslalom und Slalom liegt Stenmark mit 8 weit vorne. Hirscher mit 4 hat vielleicht Chancen, hier gleichzuziehen.

Es kommt eben immer darauf an, wie man "beste Alpinskisportlerin aller Zeiten" definiert.

Manche sprechen wegen der Schwierigkeit, hier eine allen Seiten gerecht werdende Definition zu finden, von Inkommensurabilität, was man in etwa mit Unvergleichbarkeit übersetzen könnte.

Im Übrigen gibt es in der Sportwissenschaft die These, dass die Leistungsdichte beim Damen-Alpinskisport geringer sei als beim Männeralpinskisport, weshalb Vorsprünge wie der von Shiffrin in diesem Jänner nur bei Frauen auftreten können, nicht aber beim Männern.

Und wenn wir schon bei Geschlechterdifferenzen sind:

der Begriff "Zickenkrieg" bezieht sich mit dem Begriff der "Zicke" auf die junge, weibliche Ziege, die nach Liebe, Zuwendung und Milch der Ziegenmama meckert.

Allerdings sind es auch junge, männliche Ziegenböcke, die nach Liebe, Zuwendung und Milch der Ziegenmama meckern, ohne dass es einen Begriff wie "Böckleinskrieg" gäbe.

(Die Ziegenmama, nach deren Aufmerksamkeit gemeckert wird, wären im Sport Fans, Medien, Sponsoren, oder ähnliches)

Und in manchen Sportarten, wie zum Beispiel dem männlichen Boxsport, sind diese testosterongeladenen "Bockskriege" viel heftiger als jeder "Zickenkrieg" im Frauensport.

Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit hier psychologische Kriegsführung und Medienstrategie eine Rolle spielt.

Und es ist natürlich bei beiden Geschlechtern eine (kapitalismus-immanente?) Konkurrenz um den besten Werbevertrag: diejenige Sportlerin, die von den Medien als "beste Skisportlerin der Geschichte" gefeiert wird, bekommt die 10-Millionen-Dollar-Verträge, die andere nicht.

Polemisch übertrieben und vielleicht sexistisch gesagt: von Annemarie Moser-Pröll sind derartige "Zickenkriege" vielleicht nur deswegen unbekannt, weil damals die Werbeverträge - in realer Kaufkraft gemessen - viel geringer waren als heute, auch möglicherweise ein Beispiel der obenerwähnten Inkommensurabilität / Unvergleichbarkeit.

Und noch ein kleiner Nachsatz zur "Zicke": letzten Sommer sah ich eine Junge Frau mit einem T-Shirt mit der Aufschrift "Don´t be such a Sissy!", was sie mir auf Nachfrage mit "Sei keine solche Zicke!" übersetzte.

"Sissy" bezieht sich möglicherweise auf die österreichische Kaiserin "Sissy", Elisabeth 1837-1898, die einen insbesondere für die damalige Zeit auffallenden Schönheitskult und Körperkult betrieb. Als "Zickenkrieg" der damaligen Zeit könnte man auch die Art und Weise betrachten, mit der die in Marischka-Filmen idealisierte "Sissy" auf ihre Schwester Sophie Charlotte reagierte, nachdem diese einen Bürgerlichen geheiratet hatte und (eben deswegen?) wegen angeblicher Geisteskrankheit in ein Sanatorium eingewiesen wurde; eine Episode, die alle "Sissy"-Filme verschweigen, IIRC.

Elisabeth war körperlich nicht sehr robust und wurde wegen einer Art Tuberkulose-Verdacht nach Korfu gesandt; und wegen ihrer oftmaligen Abwesenheit wandte Kaiser Franz Joseph sich mehr der Schauspielerin Katharina Schratt zu.

Der abfällige Aspekt des "Sissy"-Begriffs bezieht sich vielleicht auch darauf, dass Elisabeth nach dem Tod von Kronprinz Rudolf nur mehr schwarz trug; was vielleicht auch eine Kritik an manchmal drakonischen Erziehungsmaßnahmen im Hause Habsburg war.

Zitat: "Die Zeitgenossin Fürstin Nora Fugger beschrieb die Kaiserin in ihrer Biographie: Die „Repräsentationspflichten lasteten schwer auf der Kaiserin, die Diamantkrone drückte ihr Haupt. Jede prunkvolle Veranstaltung, jedes Hoffest war ihr ein Gräuel. Es war auch immer etwas Gezwungenes in ihrem Wesen, wenn sie an den Hoffestlichkeiten teilnahm. […] Die Kaiserin entzog sich immer mehr der Gesellschaft, auch den Blicken des Volkes.“[3]"

Im möglichen Gegensatz dazu steht, dass Elisabeth beim Attentat auf sie durch Lucheni den Stich zunächst ignorierte, was aber auch ein Schockzustand gewesen sein kann.

Einer anderen Theorie zufolge kommt "Sissy" von "Sister".

CC BY SA 3.0 / Stefan Brending https://de.wikipedia.org/wiki/Lindsey_Vonn#/media/File:2017_Audi_FIS_Ski_Weltcup_Garmisch-Partenkirchen_Damen_-_Lindsey_Vonn_-_by_2eight_-_8SC8048.jpg

Lindsay Vonn

CC BY SA 3.0 / Werner / Tsui / Schuba https://de.wikipedia.org/wiki/Annemarie_Moser-Pr%C3%B6ll#/media/File:Annemarie_Moser-Pr%C3%B6ll_2011.jpg

Annemarie Moser-Pröll

CC BY SA 4.0 / Manfred Werner / Tsui / Schuba https://de.wikipedia.org/wiki/Mikaela_Shiffrin#/media/File:Sportler_des_Jahres_%C3%96sterreich_2016_red_carpet_Mikaela_Shiffrin_5.jpg

Mikaela Shiffrin

https://www.reuters.com/article/us-olympics-2018-alps-miller-interview/alpine-skiing-shiffrin-the-best-ive-ever-seen-bode-miller-idUSKBN1ES170

https://www.newyorker.com/magazine/2017/11/27/mikaela-shiffrin-the-best-slalom-skier-in-the-world

Rein, was die Leistungen betrifft, sind eigentlich alle drei beachtenswerte Sportlerinnen. (Auch wenn man im Sport dunkle Seiten wie Doping oder sadistische Trainingsmethoden nie ausschliessen kann).

Gerade was die kapitalismus-immanente Glorifizierung der "Sport-Helden" betrifft, möchte ich eine Kritik der US-Schauspielerin Jodie Foster in Erinnerung rufen, die meinte, Superheldenfilme würden die Gesellschaft zerstören, ähnlich wie Fracking die Umwelt.

Jodie Foster hatte angeblich geplant, einen Film über die umstrittene Filmemacherin Adolf Hitlers, Leni Riefenstahl, machen zu wollen, soll aber erklärt haben, den Film nicht machen zu wollen, weil sie sich für zu alt halte.

(Das hat irgendwie was von Vorwand: gerade bei dieser Nazi-Dämonisierung kann ich jeder US-Schauspielerin nur abraten, Riefenstahl zu spielen und dabei auch noch Regie und Produktion zu machen; der Verdacht des ideologischen Nahestehens wäre hier nur allzu naheliegend; und gerade die Trump-Ära ist dafür vielleicht der falsche Zeitpunkt).

Generell scheint unsere Zeit ikonoklastischer, also helden-kritischer geworden zu sein, was man auch als Bestätigung der "Post-Heroismus"-These aus der Militärwissenschaft sehen kann: Sport und Krieg hängen ja zusammen, wie ich schon in früheren Blogs beschrieb, was man auch daran erkennt, dass zahlreiche österreichische Sportler aus der HSNS kommen, der Heeres-Sport- und Nahkampfschule. Im antiken Griechenland hatte die Olympiade nur militärische Disziplinen wie Speerwurf, Hammerwurf, Ringen, Hürdenlauf, Schwertkampf, etc.

Die Kritik an Toni Sailer ist ebenso wie die an Boris Becker eine, die in dieser Form früher unmöglich gewesen wäre.

Allerdings ist auch der Bedarf an Nationalhelden (Lauda wird ja bei uns interessanterweise oft als "Niki Nazionale" bezeichnet) nicht mehr so groß wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der nach der Weltkriegsniederlage und dem Entwicklungsrückstand gegenüber weiten Teilen Europas ein Minderwertigkeitskomplex bestand, der sich auch in der Überhöhung von Cordoba 1978 niederschlug, als das österreichische Fussballnationalteam das deutsche bei einer WM mit 3:2 besiegte, was als großer Erfolg gesehen wurde, obwohl es tabellarisch völlig bedeutungslos war, weil Österreich mit Platz 5 den Aufstieg ins Semifinale genausowenig schaffte, wie das mit Platz 7 der Fall gewesen wäre.

Ich bin irgendwie skeptisch, ob man die Vorwürfe gegen Sailer in einem völlig anderen zeitlichen Kontext abhandeln kann: es könnte sein, dass der Weltkrieg oder die harten Jahre der unmittelbaren Nachkriegszeit eine gewisse Verrohung bedingten, die weit über Sailer hinausging, es kann sein, dass es eine durch den Kalten Krieg bedingte Intrige war, und es kann sein, dass im Spitzensport eine Art "masochistischer Sportler - sadistischer Trainer"-Verhältnis zu Erreichung der Weltspitze nötig ist, das eine gewisse Nähe zur Vergewaltigung hat.

Sailer war als Trainer nicht sehr erfolgreich, was allerdings auch die Möglichkeit einer Frust-Vergewaltigung offenläßt. Allerdings gibt es auch die These, bei Prostituierten (und im Sailer-Fall geht es den Berichten nach um eine solche) bestünde, insbesondere wenn sie mit dem Spruch "Ich mache alles, was Deine Frau nicht macht" Werbung betreiben, eine Art der billigenden Inkaufnahme von Vergewaltigung und die Vergewaltigung gehöre gleichsam zum Berufsrisiko. Damals war die Unterscheidung in Vanilla-Prostituierte (die man nicht vergewaltigen darf) und BDSM-Bottom-Prostituierte, mit denen man mit Stoppwortvereinbarung sogenannte "Vergewaltigungsspiele" betreiben darf, in der normalen Öffentlichkeit und in der medialen Diskussion unbekannt.

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