Ich habe es ja im ersten Moment für eine Zeitungsfehlinformation gehalten. Die SPÖ-Stadtregierung würde planen, den Fiakern (also den zweispännigen Lohnkutschen mit Pferden) das Benutzen der Wiener Strassen zu verbieten und die Fiaker auf einige wenige Grünflächen zwingen, womit die Fiakerunternehmen einen Großteil der touristischen Kundschaft verlieren werden und wahrscheinlich großteils zusperren müssen.

Aber weitere Medienberichte bestätigten das dann auch noch.

Und ausschlaggebend, bzw. Vorwand für diese Zerstörungsaktion eines jahrhundertealten Wiener Kulturgutes war eine Unterschriftenaktion der angeblichen Tierschutzorganisation "Vier Pfoten", die 80.000 Unterschriften gegen die Wiener Fiaker gesammelt hatte. 80.000 - das sind in etwa 4 Prozent der Wiener Wohnbevölkerung und in etwa 0.9% der österreichischen Bevölkerung, also weit entfernt von den 50%-Mehrheiten, die man für demokratische Entscheidungen eigentlich brauchen würde.

Auch in der damaligen Wiener Volksbefragung wurde das Thema der Fiaker-Abschaffung nicht behandelt, vielleicht weil man wusste, dass sich sowieso keine Mehrheit gegen die Fiaker ergeben würde, wo man schon zahlreiche frühere Probleme in Zusammenhang mit den Fiakern, wie zum Beispiel die Scheisse, gelöst hatte, unter Anderen durch die Puh-Bags, in der Fiakersprache "Scheiss-Sackerln", was auch die diesbezügliche Reserviertheit der Fiaker zum Ausdruck bringt.

Die Wiener Fiaker waren ein Alleinstellungsmerkmal für Wien, und selbst eine Touristenattraktion, die von Touristenattraktion zu Touristenattraktion kutschierte. Und nicht nur, dass dieses Alleinstellungsmerkmal nun verlorenzugehen droht, so bleibt doch das touristische Nachfragepotenzial.

Und so kann man annehmen, dass nach der Zerstörung der Wiener Fiakerunternehmen in Städten in der Nähe mit einer ähnlichen historischen Tradition, beispielsweise Budapest oder Prag, dort diese Marktlücke entdeckt wird, und dort Fiakerunternehmen florieren werden. So dass die ganze Aktion nicht nur aus der ohnehin rein theoretischen Tierschutzsicht rein gar nichts bringt und nur die Effekte verlagert, sondern damit auch noch das damit verbundene touristische Potenzial abwandert, sodass Wien Städtetouristen verlieren wird, und Prag oder Budapest Städtetouristen gewinnen werden.

Dazu kommt noch, dass die Tierschutzgesetze und die Tierschutzkultur in den vermutlich zukünftigen Fiakerstädten Prag und/oder Budapest schlechter sind, sodass die Dinge aus Tierschutzsicht in Wirklichkeit schlechter werden könnten, im Gegensatz zu den falschen Behauptungen und Versprechen der radikalen Tierschützer, die vor lauter Emotion und Hysterie unfähig scheinen zu realpolitischem Denken.

Die Stadt Wien gibt Zigmillionen Euro aus für die ohnehin fragwürdige Überdachung des Naschmarkts, aber einige Tausend Euro für Fiakerüberdachungen, damit die Fiakerpferde in Zeiten der extremen Sommersonnenhitze durch Schatten geschützt sind, sind für die Stadt Wien natürlich unaufbringlich.

Auch andere Alternativen, wie eine Senkung der Höchstarbeitstemperatur der Fiakerpferde von 35 Grad Celsius auf 32 oder 30 Grad Celsius kam für die Stadt Wien offensichtlich nicht in Frage, nein, die absolute Zerstörung musste es sein, noch dazu unehrlich verschleiert durch die Beschränkung auf einige wenige Grünflächen ohne Tourismuspotenzial - denn Grünflächen und Rasen können Touristen auch anderswo sehen, dazu brauchen sie nicht nach Wien zu kommen.

Der weltweite Werbewert der Fiaker wird nun wegfallen, zahlreiche verärgerte Touristen, die sich darauf verlassen hatten, dass alte Fiakerwerbevideos noch Gültigkeit haben, werden den früheren Werbewert zur Antiwerbung verkehren.

Den radikalen Tierschützern sei gesagt: Pferde sind keine Autos, Pferde sterben hin und wieder, ähnlich wie Haustiere, meist an natürlichen Ursachen, z.B. altersbedingt. Es ist absoluter Unsinn, jeden Tod eines Nutztiers zum einem Tierquälerskandal zu verfälschen.

Wobei das Verhältnis zwischen Tierhaltern und -halterinnen einerseits und den Pferden andererseits ohnehin meist ein sehr inniges ist. Und eine ganze Berufsgruppe abzuschaffen, nur wegen eines schwarzen Schafs oder einigen wenigen darunter, würde niemandem bei einem anderen Beruf als dem Fiaker einfallen.

Die radikalen Tierschutzorganisationen tun wieder einmal das, was ich schon in der Frage der Tierversuche kritisierte: sie lassen jedes Verantwortungsgefühl für internationale Zusammenhänge vermissen.

Die Schikanierung der Fiaker ist in Wien sowas wie eine schlechte Tradition: so bekam ein Fiakerfahrer eine Strafe von 365 Euro wegen eines kurzen Absetzens einer Melone, eines Hutes. Gerade bei Hitze ist es praktisch unvermeidlich, den Hut kurz abzusetzen und sich den Schweiss abzuwischen.

Die Zerstörung der letzten Nutztiergattung in Wien läuft natürlich auch Gefahr, den Stadt-Land-Konflikt zu verschärfen, den Konflikt zwischen Stadt-Menschen, die nichts anderes kennen als Haustiere, und Land-Menschen, die Nutztierhaltung betreiben bzw. Verständnis dafür haben.

Das Wiener Magistrat schreibt vor, dass der Fiakerbetrieb erst um 11 Uhr beginnen darf, und nicht früher, und dann kurz nach Elf wird der Fiakerbetrieb im Sommer oft wieder geschlossen, weil die 35-Grad-Grenze erreicht wird.

Und alles das, um die autogerechte Stadt zu erreichen, für die die (langsamer fahrenden) Fiaker ein gefühltes Verkehrshindernis sind.

Gerade in Hinblick auf Klimawandel, CO2-Ausstoss und Ausstieg aus den fossilen Rohstoffen müsste die Strategie eigentlich umgekehrt sein: Fiaker forcieren und ihnen Entfaltungsmöglichkeiten geben, hingegen den Autoverkehr einschränken, der die oft mittelalterlichen Gässchen in der Wiener Innenstadt ohnehin überfordert, die Abgasproblematik für die Anrainer und die Fussgänger und die Radfahrer einmal ganz abgesehen.

Niemand würde den Autoverkehr abschaffen, nur weil einige wenige Autofahrer die Geschwindigkeitsbegrenzung verletzen. Bei den Fiakern argumentiert man umgekehrt: weil einige wenige Fiaker die Auflagen verletzen, müsste die ganze Branche abgeschafft werden. Ob das verfassungsrechtlich haltbar ist, sei einmal dahingestellt, kann man das doch als gravierende Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes der Verfassung sehen.

Siehe auch:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/sind-radikale-tierschuetzer-fuer-groesse-der-covid-impfschaeden-verantwortlich-73736

https://de.wikipedia.org/wiki/Fiaker

CC / Friedrich Boehringer https://de.wikipedia.org/wiki/Fiaker#/media/Datei:AUSTRIA_Parlament_3.JPG

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

invalidenturm

invalidenturm bewertete diesen Eintrag 12.09.2021 20:03:57

philip.blake

philip.blake bewertete diesen Eintrag 12.09.2021 17:39:25

Zaungast_01

Zaungast_01 bewertete diesen Eintrag 12.09.2021 15:41:40

28 Kommentare

Mehr von Dieter Knoflach