Wie widerlich ist der unbekannte Durchschnittsidentitäre wirklich ?

Die "Jagdgesellschaft", wie Jörg Haider das nannte, hat wieder Jagdsaison. Nach dem Attentat von Christchurch und der Spende des Täters an die Identitären beherrscht das große Empörungsritual die Medien und die Politik.

Aber ich frage mich, ob bei durchaus berechtigter Ablehnung von Sellner und seinen Auftritten, der identitären Ideologie insgesamt hier nicht oft übers Ziel hinausgeschossen wird.

Die andere Sicht, die eigentlich demokratisch wichtig wäre, aber in unserer hysterischen Empörungsgesellschaft nicht vorkommen darf, ist:

Durch das Attentat von Christchurch könnten viele unbekannte Basis-Identitäre erschreckt sein vor der Ideologie, vor den Kollegen, vor Sellner. Durch das Attentat von Christchurch könnten viele Identitäre sich von sich aus abwenden von dieser Gruppe.

Mit emotionalisierenden und skandalisierenden Begriffen wird nur so um sich geschmissen: die Identitären seien widerlich, so Kanzler Kurz (nicht die Ideologie der Identitären!), der Verteidigungsminister Kunasek erlässt Sperrvermerke.

Der "Großmeister" linker Skandalisierung, Peter Pilz, macht aus jedem Identitären beim Bundesheer einen Massenmörder, der mit Maschinengewehr hunderte unschuldige Menschen tötet.

Wenn jeder Identitäre, der in der Vergangenheit seinen Dienst beim Bundesheer leistete (und das dürften zahlreiche gewesen sein), als Massenmörder tätig wurde, so wie Peter Pilz das suggeriert, wieso haben wir dann nichts von diesen Massenmorden gehört ? Weil die Kronenzeitung oder Info-Direct sie vertuscht haben ? Weil Strache und Kickl alle Medien erpressen, nichts über die unzähligen massenmörderischen Verbrechen der Identitären, die in der Vergangenheit beim Bundesheer waren, zu berichten ?

Für das Bundesheer gilt genau dasselbe, was auch für Parteien gilt: es kann ein Ort des Zusammenkommens sein, wo sich verschiedene Klassen und Berufe, verschiedene Hintergründe (mit Migrationshintergrund, ohne Migrationshintergrund), verschiedene Ideologien (Linke, Rechte) treffen und zusammen Dienst tun; wo man erkennt, dass das andere Lager gar nicht so schlimm ist, wie die Propaganda der eigenen Partei behauptet.

Und dieses Zusammenkommen beim Bundesheer, dieses Verlassen der eigenen Blase, entspricht auch einer Funktion, die die Politikwissenschaft den Parteien zuschreibt: Aufgabe der Parteien sei es, politische Extreme zu integrieren und zu moderieren, zu mäßigen.

Traditionell haben natürlich Rechtsdenkende eine gewisse Neigung zum Bundesheer oder zur Polizei, was als solches noch nichts problematisches sein muss; es gilt auch hier das alte Paracelsus-Zitat: die Dosis macht das Gift.

Aber wieso wird statt Einzelfallbeurteilung, wie es in einem Rechtsstaat üblich sein sollte, eine Kollektivstrafe verhängt, die auch mit einem immensen Imageschaden für einzelne Identitäre zusammenhängen kann, in deren Fällen es gar nicht gerechtfertigt ist, weil sie sich durch die Anschläge von Christchurch von der identitären Ideologie und von den Identitären distanziert haben ?

"Österreich ist ein zutiefst hysterisches Land", sagte der Philosoph Rudolf Burger einmal. Und es mag sein, dass die lange Zeit der scheinbaren Hyperstabilität in Österreich (1950-2000) zu einer Art Verwöhnung geführt hat, dazu, dass Österreichs Medien und Bürgern vielfach die Coolness, die Krisenroutine fehlt, um mit so etwas wie dem Terror von Christchurch umzugehen, ohne verrückt zu werden.

Diese Hysterie im Umgang mit den Identitären ist der Hysterie im Umgang mit dem IS nicht unähnlich. Ein bisschen mehr christliche Feindesliebe wäre statt der Hysterie angebracht.

Da man nix genaues weiss, da man niemanden kennt, weder einen Identitären noch ein IS-Mitglied, blühen die absurdesten Befürchtungen und Ängste: "Unter dieser Gruppe, von der ich nix aus eigener Anschauung weiss, könnten ja auch viele Terroristen sein"

Die Gegenthese wäre: genauso wie sich durch die Niederlage des IS zahlreiche vom IS abwenden, genauso wenden sich auch durch den Christchurch-Terror viele frühere Identitäre von dieser Bewegung ab.

Ein alter Spruch aus der Militärgeschichte lautet: Militärs und Politiker sind in Gedanken immer noch beim letzten Krieg und übersehen, dass sich die Bedrohungen seither geändert haben.

Und noch mehr gilt das offensichtlich für große Teile der Öffentlichkeit: sie scheint eher eine Rinderherde auf Stampede zu sein, ein blinde und verrückte Masse im Canetti´schen Sinne, als ein Volk, das Probleme vernünftig löst.

Oder eine Massenpanik.

Wenn die Lautsprecher in einem Stadion zum Beispiel verkünden, dass in zwei Minuten eine Bombe hochgeht, die das Stadion zerfetzt und alle, die dann noch im Stadion sind, tötet, dann kann eine Massenhysterie entstehen, in der dann viele Menschen totgetrampelt werden, ganz ohne Bombe.

Und so einen ähnlichen Zustand haben wir jetzt fast.

Natürlich spielt da auch wieder die übliche Wahlkampfübertreibung eine Rolle: Peter Pilz, der "Meister" der Übertreibung, sieht jetzt, als Möchtegern-Sekundär-Profiteur des Christchurch-Terrors, seine große Stunde gekommen, Schwarz-Blau massiv zu schaden.

Und diese unverhältnismäßige Skandalisierung ist vielleicht schlimmer als so mancher Rand-Identitärer oder als so mancher Rand-IS-ler.

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