Das angebliche Qualitätsmedium "Die Presse" behauptet in einem Artikel, dass UN-Resolutionen Zweifel offen liessen.

http://diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/4872022/IS-und-Neutralitaet_UNResolution-laesst-Zweifel-offen?from=suche.intern.portal

Dabei ist der konkrete Anlass die UN-SCR (United-Nations-Security-Council-Resolution; Vereinte Nationen-Sicherheitsrats-Resolution) 2249, die alle UN-Mitglieder auffordert, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um IS-Terroranschläge zu verhindern und seine in Syrien und Irak befindlichen Stellungen zu zerstören.

Unter "alle notwendigen Massnahmen" wird normalerweise "auch militärische Massnahmen" verstanden.

Wie der Artikel richtig sagt, gab es auch beim Kuwaitkrieg 1991 eine derartige Resolution. Österreich sah sich durch diese Resolution damals veranlasst, NATO-Überflüge zu erlauben, was auch durchaus Sinn macht.

Im Irakkrieg von 2003 beriefen sich Bush, Blair und Co. (eine breite Koalition der Willigen, der auch ca. die Hälfte der EU-Mitglieder angehörten) auch auf ähnliche UN-Resolutionen, die aber nicht deswegen problematisch waren, weil darin von "allen notwendigen Massnahmen" die Rede war, sondern deswegen, weil sie angejahrt waren. Im Unterschied zu den Resolutionen zu Kuwait und dem IS, die ganz frisch waren, und nicht viele Jahre alt.

https://en.wikipedia.org/wiki/Iraq_War

Meiner Ansicht nach war die Entscheidung Österreichs, 1990/1991 Überflüge zu genehmigen, durch die entsprechende UN-Sicherheitsratsresolution ausreichend gedeckt.

Die Argumentation des Autors, die UN-Resolution sei unzureichend für eine derartige Entscheidung, weil ein expliziter Hinweis auf Kapitel VII der UN-Charta fehle, kann ich nicht zustimmen.

"Alle notwendigen Mittel" ist eine ziemlich eindeutige Formulierung, und wenn es der Wille des UN-Sicherheitsrats gewesen wäre, eine Einschränkung vorzunehmen, dann hätte er das leicht tun können, z.B. durch die Formulierung "Alle notwendigen Massnahmen mit Ausnahme von militärischen".

Alle UN-Sicherheitsratsmitglieder sind ebendort durch fähiges Personal vertreten, das derartige Formulierungen genau abzuwägen imstande ist.

Ein weiterer Teil des Artikels dreht sich um die Frage "Wie weit geht die Neutralität, insbesondere in Anbetracht des Terrorismus, insbesondere in Anbetracht des islamistischen Terrors ?"

Um diese Frage zu beantworten, sollte man sich das österreichische Neutralitätsgesetz einmal genauer anschauen:

"(1) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.

(2) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen."

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000267

Mit anderen Worten: die österreichische Neutralität ist keine absolute, sondern eine zweckgebundene; die österreichische Neutralität gilt nur solange, solange sie dem Zweck, die Unabhängigkeit nach außen dauerhaft zu behaupten, bzw. die Unverletzlichkeit der Grenzen zu garantieren, dient. Wenn die österreichische Neutralität diesen Zwecken nicht mehr dient, bzw. sich sogar als Hindernis für diese Zwecke erweist, so verliert sie gemäß Neutralitätsgesetz ihre Gültigkeit.

D.h. zumindest im Falle von Terror, der Österreich trifft, kann man durchaus argumentieren, dass die Neutralität ihre Gültigkeit verloren hat und dass Österreich sich auch an militärischen Massnahmen zur Bekämpfung eben dieses Terrors beteiligen darf, wohl insbesondere dann, wenn Österreich auch als UN-Mitglied vom UNO-Sicherheitsrat dazu aufgefordert wird, alle notwendigen Mittel (also auch militärische) einzusetzen, um den entsprechenden Terror zu beenden.

Das Neutralitätsgesetz von 1955 stammt auch aus einer Vor-EU-Zeit, d.h. es ist fraglich, inwieweit der EU-Beitritt (der mit Zweidrittelmehrheit in einer Volksabstimmung 1994 angenommen wurde) das österreichische Neutralitätsgesetz verändert.

Einerseits kann man argumentieren, dass das EU-Beitrittsgesetz (bzw. EG-Beitrittsgesetz) das viel ältere Neutralitätsgesetz derogiert und aufhebt.

Andererseits kann man argumentieren, dass die im Neutralitätsgesetz enthaltenen Begriffe der "Unabhängigkeit" und der "Unverletzlichkeit der Grenzen" sich seit dem EU-Beitritt nicht mehr auf Österreich, sondern auf die EU beziehen.

Ich halte die Position des Autors, dass die österreichische Neutralität auf jeden Fall EU-Regeln außer Kraft setze, für äußerst fragwürdig.

Auch die im Artikel enthaltene Kritik am ehemaligen Verteidigungsminister Klug (SP) kann ich nicht, bzw. zumindest nicht im vollen Umfang, nachvollziehen.

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