Zum kontraproduktiven(?) NS-Verbotsgesetz und dem Weisungsstreit

Es gibt eine ziemliche Meinungsverschiedenheit zwischen dem Mitglied des Weisungsrats, dem in Pension gegangenen Werner Pleischl und verschiedenen Grün-Politikern, z.B. Öllinger, was die Verbrechensleugnung im immer emotionalisierenden Thema des Nationalsozialismus-Verbotsgesetzes betrifft:

http://derstandard.at/2000047635364/Experten-warnen-vor-laxem-Umgang-mit-Verbotsgesetz

http://oe1.orf.at/player/20161214/453820

https://www.gruene.at/themen/justiz/warum-schuetzt-die-justiz-den-gaskammern-leugner

Das Weisungsrecht ermöglicht bzw. ermöglichte Ministern, Beamten vorzuschreiben, was sie tun müssen (allerdings haben betroffene Beamte das Recht, die Weisung schriftlich zu verlangen). In manchen Ressorts wurde das ministerielle Weisungsrecht quasi an Weisungsräte auslagert, um den Eindruck ministeriellen Machtmißbrauchs zu verhindern.

Es gehe um Gesetzesauslegung, sagte Pleischl. Aber im konkreten Fall könnte es insofern schwieriger sein, als es um ein Gesetz geht, nämlich das österreichische Verbotsgesetz aus dem Jahr 1947, das Züge eines stalinistischen Willkürgesetzes hat und auch während der Herrschaft des sowjetkommunistischen Diktators Josef Stalin, der 1953 starb, beschlossen wurde (Die Rote Armee verliess 1955 Ostösterreich).

Rechtsstaatlich besonders problematisch ist Verbotsgesetz §3g wegen der unpräzisen Formulierung und der willkürlichen Anwendbarkeit.

Zitat: "§ 3g. Wer sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, wird, sofern die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung strenger strafbar ist, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung bis zu 20 Jahren bestraft."

"Andere als die in a bis f bezeichnete Weise" .... Was soll denn das sein ?

Angenommen, jemand sagt: "Ski Heil !" oder "Berg Heil !" und ein Staatsanwalt und ein Richter meinen, mit dem im Gruß verwendeten Wort "Heil" werde ein Nazi-Code verwendet, weil im Nationalsozialismus der Gruß "Heil Hitler !" gebräuchlich war, darf dann dieser jemand zu ein bis zehn Jahren Haft wegen "anderer als in §§3a bis 3f bezeichneter Weise definierten Wiederbetätigung" verurteilt werden ?

Wenn jemand Hitlers Autobahnbau lobt, betreibt er dann nationalsozialistische Wiederbetätigung im Sinne des österreichischen Verbotsgesetzes, aber auf andere als in §3a bis 3f definierte Weise ?

Und was ist mit dem Anwalt im gegenständlichen Fall ? Hat der Anwalt in seinem ganzen Leben sich kein einziges mal nationalsozialistisch wiederbetätigt, hingegen im Gerichtssaal im Versuch, seinen Mandanten zu verteidigen, eine Formulierung gewählt, die in die Nähe von im Verbotsgesetz definierten Straftatbeständen kommt ?

Das Ziel, einen Mandanten zu verteidigen, ist etwas anderes als das im Verbotsgesetz definierte Ziel, zu versuchen, nationalsozialistische Organisationen wiederherzustellen oder Ähnliches.

Verbotsgesetz $3h nimmt Bezug auf §3g und damit auf einen rechtsstaatlich problematischen Gummiparagraphen, der sehr leicht zu diktatorischer Willkürjustiz mißbraucht werden kann.

Zitat: "§ 3h. Nach § 3g wird auch bestraft, wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder wer sonst öffentlich auf eine Weise, daß es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht."

Der Grüne Öllinger behauptet, dies sei "klar Verdacht auf Wiederbetätigung nach §3h Verbotsgesetz". Soweit kann man dem zustimmen.

Aber dem Zusatz "dass jeder Zweifel ausgeschlossen sein sollte", muß man nicht zustimmen. Ich kenne den Fall des von Öllinger erwähnten Arztes nicht, aber bei einem Arzt kann man - anders als bei einem Anwalt - ausschliessen, dass er eine zumindest verbotsgesetznahe Äußerung tätigt, nur um seinen Mandanten zu verteidigen, ohne Wiederbetätigungsabsicht.

Wie auch immer: das Verbotsgesetz ist mMn nicht, wie Österreichs politische Linke behauptet, der Inbegriff des "Antifaschistischen Grundkonsenses", sondern zumindest teilweise ein problematisches, gummiparagraphenhaftes, dehnbares, kontraproduktives und zu Willkür und Mißbrauch einladendes Gesetz, das auch aufgrund seines historischen Entstehungszusammenhangs an stalinistische Willkürgesetzgebung und stalinistische Schauprozesse erinnert.

Um weitere Probleme und Faschismushysterien und (speziell von linken oder linksextremen Gruppen kommende) Vorwürfe an die österreichische Justiz, sie sei rechtsextrem, zu verhindern, sollte das Verbotsgesetz mMn geändert werden.

Dazu bieten sich verschiedene Möglichkeiten an:

1.) Aufhebung von §3g und §3h

2.) Totaländerung, die sich in etwa am französischen Verbotsgesetz orientiert, das die Leugnung jedes Völkermords unter Strafe stellt, egal, ob hitleristisch oder stalinistisch oder sonstiger Art.

Die jetzt gültige Version des Verbotsgesetzes ist nicht nur zu Willkür und Mißbrauch einladend, sondern es ist auch kontraproduktiv, insofern, als es diejenige "extreme Rechte" begünstigt, die es zu bekämpfen vorgibt.

Denn in weit rechten Kreisen wird natürlich argumentiert: "Wie unfair ! Die Leugnung hitleristischer Völkermorde ist verboten, die Leugnung stalinistischer Völkermorde wie des Holodomor in der Westukraine ist erlaubt ! Welche Doppelmoral in diesem angeblichen Rechtsstaat Österreich!"

Was der FPÖ sogar einen Märtyrerbonus und Mitleidsbonus verschafft, den Jörg Haider ehrlicherweise zugab, als er auf die Journalistenfrage, was er seinen Gegnern in Stammbuch schreiben wolle, antwortete: "Gar nichts, weil die lernen´s sowieso nie. .... Oder doch: Bleibt so, wie Ihr seid, Ihr habt uns genutzt. Danke, Euer Jörg!"

Bei strittigen Fällen in Zusammenhang mit der Meinungsäußerungsfreiheit ist es oft besser, klare Gesetze zu haben, die wenig verbieten, als unklare Gesetze, die möglicherweise viel verbieten. Erstens wegen der Wahrscheinlichkeit von Mißverständnissen bei unklaren und willkürlichen Gesetzen und zweitens wegen des Arbeitsaufwands für die Gerichte.

Verbotsgesetz 1947:

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000207

https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Stalin

https://de.wikipedia.org/wiki/Autobahn#Autobahnbau_und_Naturschutz

(Zahlreiche der während der Nazi-Herrschaft, z.B. 1933 und 1934 fertiggestellten Autobahnen wurden übrigens schon vorher begonnen, aber der Eröffner bekommt oft mehr Ruhm als der Planer und Bauer)

Ein Aspekt in der Debatte ist die tatsächliche Befürchtung weit linker Kreise, in Österreich stehe ein Wideraufleben des Nationalsozialismus mehr oder weniger unmittelbar bevor, weshalb man auch Willkür und Gummiparagraphen beinhaltende Gesetze brauche.

Ich persönlich halte das aus folgenden Gründen für zweifelhaft:

1.) die Niederlage des Nationalsozialismus 1945 mit Hitler an der kommandierenden und verantwortlichen Spitze war eine totale.

2.) der zeitliche Abstand zum Nationalsozialismus ist riesengroß.

3.) Die heutige Verflechtung Österreichs (Medien, Wirtschaftsbeziheungen, familiäre Beziehungen, etc.) ist groß.

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