„Wir glauben doch nicht an Geister!“ antwortet unser jugendlicher Stadtführer entsetzt auf meine Frage, und die Empörung spritzt beinah aus seinen Augen. Unterstelle ich ihm und seinen Landsleuten hier etwa Naivität oder gar Dummheit? Nein, so war die Frage doch gar nicht gemeint. Einige Stunden zuvor hatte unser österreichischer Skipper Hansjörg von Sailorama, der uns in Kooperation mit Weltweitwandern von Spanien hierher in die marokkanische Mittelmeerstadt Chefchaouen brachte, diese These aufgestellt: Die blaue Farbe an den Häusern, für die die Medina – die Altstadt – berühmt geworden ist, diente zur Geisterabschreckung, hatte er gemeint. Eine interessante These, die beim Teenager offenbar ganz und gar nicht gut ankommt. „Es ist hier sehr heiß und die blaue Wandfarbe kühlt“, sagt er. Die blaue Farbe solle Mittel gegen Mücken und Fliegen sein (aber nein, die gibt es hier doch gar nicht – behauptet wieder um Najib, Vater unseres jugendlichen Stadtführers) oder Schutz vor dem bösen Blick bieten, meinen andere. Ganz sicher ist sich über den Ursprung dieses Blaulichtviertels offensichtlich keiner.

Tatsache aber ist eines: Chefchaouen (Merksatz fürs Aussprechen: Chef schauen), die mit 55.000 Einwohnern größte Stadt in der Region, gilt als eine der schönsten Orte Marokkos und zieht Jahr für Jahr Bustouristen sowie Tagesausflügler wie uns ins sonst recht verkannt-unbekannte Rif-Gebirge. Zurecht wurde sie 2013 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt. Schuld daran sind eben jene bereits erwähnten blau getünchten Fassaden der Häuser in der Altstadt: Zartes Himmelblau über Türkis, Kobaldblau bis dunkles Meerblau – die Wände, Winkel, ja, selbst die Gassenwege glitzern in sämtlichen vor- und unvorstellbaren Blau-Schattierungen.

„Ah, oh, warte mal, schau doch da her“, unser Spaziergang durch die Medina der Stadt, die ihren Namen den zwei „Hörnern“ - den Gipfeln Tissoukou und Djabal Meggou – verdankt, hört sich recht einseitig an. Tatsächlich kommen wir mit dem Staunen, geschweige denn Knipsen gar nicht nach – überall blitzt uns ein Foto-Motiv entgegen: Zwei Jungs in schlabbrigen T-Shirts US-amerikanischer Baseballmannschaften, die die saftigen Orangen auspressen, deren Duft uns in der Nase kitzelt. Gewebte Decken in knalligem Pink, Gold, Türkis und Lila, die fast unüberhörbar schreien: Kauf uns, kauf uns! Alte Souvenirverkäuferinnen, sie vor ihrem Laden mit Tee auf kleinen Hockern sitzen und dabei über dem Kopftuch den typischen, mit bunten Wollbommeln verzierten Strohhut der Bäuerinnen im Rif-Gebirge tragen. Streunende Katzen, die gemächlich und elegant über die Pflastersteine durch die Füße der Spaziergänger winden. Die Männer mit ihren Furchengesichtern, die auf einem Holzkarren ihre Waren hinter sich durch die Gassen ziehen – Platz für motorisierten Verkehr gibt es hier nicht. Die traditionell in weißem Gewand gekleideten älteren Herrschaften, die vor der Zitadelle in der Ortsmitte auf den Bänken diskutieren – vielleicht über die Touristen, die mit ihren offenen Mündern vorbeiziehen...

Bergauf, bergab begleitet uns unser Stadtführer und wartet bemüht geduldig auf uns, wenn wir uns mal wieder in den ach so fremden Eindrücken verlieren. Das hätten wir noch viel, viel, viel länger tun können: Nur zwei, drei Stunden waren wir in Chefchaoen, das 1471 für Moslems gegründet wurde, die aus Spanien und den spanisch besetzten Städten Tanger und Ceuta geflohen sind. Es hätte noch viel länger sein können... Was bleibt ist die Erinnerung an unsere Zeit an die vielen "different shades of blue".

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fischundfleisch

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Silvia Jelincic

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