Wie man in Uganda Arbeitsplätze schafft statt welche zu suchen

Die Straßen Ugandas sind voll mit ihnen: Kinder und Jugendliche, die schwere Wasserkanister – manchmal einen in jeder Hand – mit sich mitschleppen. Andere, die ihre kleineren Geschwister oder eigenen Kinder mit sich herumtragen. Oder andere, die einfach am Straßenrand Nüsse und Co. verkaufen. Über 50 % Bevölkerung ist unter 15 Jahren alt. Die Weltbank spricht von einer Jugendarbeitslosigkeit von 83%. Das alles sind Faktoren, die die ohnehin nicht gerade stabile wirtschaftliche Lage des ostafrikanischen Landes noch weiter negativ beeinflussen.

Was tun? Der Deutsche Etienne Salborn zeigt mit seinem Projekt SINA – The Social Innovation Academy einen möglichen Ausweg aus der Misere, der nicht nur für Uganda zukunftsweisend sein könnte. In den Hügeln über der Stadt Mpigi schafft die Academy einen Raum für Jugendliche, statt nach nicht vorhandenen Arbeitsplätzen zu suchen, sich selbst ihre Arbeitsplätze in eigenen Sozialunternehmen zu schaffen. In Gruppen arbeiten sie an kreativen Ideen bis hin zur Gründung von eigenen Unternehmen. „Unsere Innovation ist es, Schüler in ihrer Gegenwart ohne Perspektiven abzuholen und bis zur Selbständigkeit zu fördern“, erklärt Etienne das Konzept, mit dem sein Team für den HIVOS Social Innovation Award nominiert ist, „anders als Business Inkubatoren fangen wir nicht erst dort an, wo Menschen bereits eine konkrete Unternehmensidee haben, sondern stellen uns der Herausforderung, wie man am effektivsten an diesen Punkt kommt. Und wie auch Waisenkinder und Jugendliche aus armen und schwierigen Verhältnissen dorthin kommen können.“ Dabei wird der Betrieb der Akademie bereits als Lerngelegenheit gesehen: Von Rechnungswesen bis Personalmanagement wird alles von den Jugendlichen übernommen.

Ich habe SINA besucht und mit Etienne über seine Ideen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesprochen.

Etienne, mit Uganda verbindet  dich eine besondere Geschichte. Was verbindet dich so mit diesem Land?

Alles begann 2006 durch meinen Zivildiensteinsatz in einem Waisenhaus im Dorf Kankobe. Im Waisenhaus werden Kinder mit dem Nötigsten versorgt und können die Grundschule im Dorf besuchen. Danach werden diejenigen, die noch Verwandte haben, zu diesen zurückgeschickt oder landen auf der Straße. Einen weiteren Schulbesuch auf einer Oberschule kann sich das Waisenhaus nicht leisten. Deshalb bat ich Freunde und Verwandte um finanzielle Hilfe, es entstand ein Bildungpatenschaften-Projekt, das bis heute andauert. 2009 gründete ich dazu den gemeinnützigen Verein „Jangu e.V.“. Heute unterstützen wir 100 Kinder und Jugendliche nach Ende des Waisenhauses, bis sie auf eigenen Beinen stehen. Viele der Kinder nennen mich „Daddy“...

Wie kam es von diesem ersten Projekt zur Gründung von SINA?

2013 schloss die erste Generation geförderter Jugendlicher erfolgreich ihr Abitur ab. Um anderen etwas von den Möglichkeiten weiterzugeben, die ihnen der Schulbesuch verschafft hat, gründeten sie selbst einen Verein: "Bakuze Uganda” - "Sie sind erwachsen geworden”. Eine weitere Förderung für die Universität oder Berufsschule konnte aber nur in Ausnahmefällen durch die Patenschaften getragen werden. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit erschwerte die Jobsuche zusätzlich. Um einen Ausweg aus dieser Problematik zu finden, haben wir in einem Open Space Workshop gemeinsam nach Lösungen gesucht. Die Idee eines Ortes, an dem Schüler zu Unternehmern werden und ihre eigenen Arbeitsplätze schaffen, war geboren.

Zu dieser Zeit hatte ich Frieden und Entwicklung sowie Peace Education studiert. In die Ausarbeitung des Konzeptes flossen daher viele Erfahrungen aus meinem Studium ein. So ist mir zum Beispiel der Besuch einer projektbasierten Schule in Costa Rica eindrucksvoll in Erinnerung geblieben. Dort haben 14 jährige Jugendliche in einem Projekt durch die Verwendung von Handy-Kameras ein Gerät entwickelt, das Blinden hilft. Dies hat mich stark beeindruckt, und wir brachten den projekt-basierten Ansatz in unser Konzept. Jugendliche lernen erwiesenmaßen besser, wenn sie an ihren eigenen Ideen arbeiten dürfen statt an vorgegebenen Lehrplänen.

Nun fördert ihr vor allem die Gründung von sozial-, umwelt- und ökonomisch nachhaltigen Unternehmen.Warum ist euch das wichtig?

Meiner Meinung nach darf Profit nicht durch Ausbeutung der Umwelt oder Gesellschaft entstehen und Erfolg darf nicht daran gemessen werden, wieviel Profit erwirtschaftet wird. Andernfalls ist eine nachhaltige Entwicklung schlicht nicht möglich. Urvölker versuchten zum Beispiel sieben Generationen voraus zu denken. In SINA versuchen wir eine Brücke zwischen der Kurzatmigkeit der Gegenwart und verantwortungsvollen Handeln zu schlagen.

Ein Werkzeug, um Bewusstsein und Verantwortungsgefühl zu fördern, stellt eben unsere alltägliche Organisationskultur selbst dar. Denn eine Kultur der Nachhaltigkeit kann nicht vermittelt, sondern nur vorgelebt werden. Hierzu versuchen wir jeden Aspekt der Academy sorgsam gemeinsam zu gestalten. Beispiele hierfür sind neben einer horizontalen selbstorganisierenden Lernstruktur, Gebäude aus Plastikflaschen eine Biogasanlage oder ein Projektinkubationskonzept, welches Anreize schafft für Problemlösungen in der Gesellschaft und für die Umwelt.

Ist die Schule selbst auch als ein Sozialunternehmen geführt oder spendenfinanziert?

SINA ist in den ersten Jahren spendenfinanziert, geht aber kontinuierlich in ein Sozialunternehmen über. Es gibt 10 verschiedene Einkommen generierende Projekte, in denen als Synergie die SchülerInnen ebenfalls wertvolle Fähigkeiten erlernen und erfahren wie ein Projekt professionalisiert wird. So gibt es z.B. die Herstellung von Briketts aus Biomasse, Kunsthandwerk, Landwirtschaft, die Herstellung von Schreibbüchern oder den Upcycling-Bau aus Plastikflaschen.

Die Sozialunternehmen, die gegründet werden, gehören am Anfang SINA. Schritt für Schritt aber können Anteile durch das Gehalt erworben werden. Ein kleiner Teil bleibt im Besitz von SINA und bring dauerhaft Profit zurück. Das erste gegründete Sozialunternehmen, ein Bodenbelags aus Eierschalen und Plastiktüten, bringt so bereits Gewinne zu SINA zurück.

Ein Unternehmen, das sich auf Bodenbelag aus Eierschalen und Plastiktüten spezialisiert hat?! Klingt interessant...

Es ist eine weltweit einzigartige Erfindung. Die Anmeldung zu einem Patent läuft bereits. Die Idee stammt von Godfrey Sengonzi, einem Mentor in SINA, der mit drei Schülern nun in Uganda’s Hauptstadt das Sozialunternehmen leitet und Bodenbeläge wie Fliesen herstellt. Das Team sah das Problem von tausenden herumfliegenden Plastiktüten, die in Kampala sogar Überschwemmungen hervorrufen, weil sie die Abwasserkanäle verstopfen.

Viele Ideen in SINA haben mit upcycling zu tun und die Schüler in SINA haben eines sehr gut verstanden: Sie selbst haben wenig, aber es gibt viele Rohstoffe, die herumliegen, verschwendet werden und als Müllentsorgung vor Haustüren verbrannt werden. Dies machen sich unserer SchülerInnen zunutze und werden teilweise sogar dafür bezahlt, die Rohstoffe einzusammeln.

Die Idee hat auch bereits das nationale Fernsehen angezogen, die einen kleinen Dokumentarfilm drehten. Nach dessen Ausstrahlung konnten die ersten Kunden gewonnen werden, die den Bodenbelag bisher in ihren Privathäusern haben möchten, da er die kostengünstigste Variante eines verbreiteten Terrazzo Bodenbelages darstellt.

Gibt es in Uganda generell einen Markt für Sozialunternehmer wie diese?

Sozialunternehmer schaffen meist neue Märkte oder bewegen sich am Rande der etablierten Märkte. Bedarf an Unternehmen, die soziale Herausforderungen innovativ lösen, ist mehr als vorhanden in Uganda. Durch das enorme Bevölkerungswachstum wird sich die Bevölkerung voraussichtlich in weniger als 20 Jahren auf 80 Millionen verdoppeln und hierbei werden sich die sozialen wie auch ökologischen Herausforderungen zuspitzen.

Die Chancen stehen also gut nach dem Abschluss von SINA?

Ja, der aktuelle Entwicklungsstand bietet im Moment eine enorme Chance für neue Ideen und Innovationen: die Bevölkerung und der Markt wächst, mit nur 20 Euro lässt sich ein nachhaltiges Projekt starten und mit 500 Euro ein ganzes Unternehmen gründen. Dies bietet viel Raum fürs experimentieren neür und weiterer Lösungsansätze, die sich auch auf andere Länder ausweiten lassen können.

Gerade weil sie sich am Rande von etablierten Märkten bewegen, haben sie am Anfang keine oder wenig Konkurrenz und können sich voll und ganz auf die (weiter)Entwicklung des Unternehmens konzentrieren. Danach hängt Erfolg von vielen, meist unbestimmbaren, Faktoren ab. Worauf jedoch in der SINA besonders viel Wert drauf gelegt wird, ist die Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen Schülers durch Life-Coaching und Projekt-Mentoring für ein starkes Durchhaltevermögen und der Erkenntnis Fehler als Lernerfahrung zu verstehen.

Was sind die nächsten Ideen und Schritte für SINA?

Neue Schülerprojekte stehen in den Startlöchern, um Sozialunternehmer zu werden. Darunter unser Biogasprojekt und Ziegelsteine, die nicht gebrannt werden müssen. Die Herausforderung ist dabei, wie die Gründung gestaltet und die Langzeitfinanzierung sowie Nachhaltigkeit von SINA durch Gewinnbeteiligung gesichert wird.

Unser Ziel ist es dann, dass weitere SINAs in anderen Landesteilen Ugandas und weltweit gestartet werden und wir das Potenzial von tausenden von Jugendlichen entfalten und hunderte neuer Sozial- und Umweltunternehmen entstehen, die Arbeitsplätze schaffen und kreative Problemlösungen bieten.

Viel Erfolg!

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